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17:51 Uhr - 31.07.2019

«Die IPO-Bewertungen sind nicht vertretbar»

Alex Tedder, Leiter globale Aktien des Vermögensverwalters Schroders, wartet noch auf den richtigen Zeitpunkt, um sich zyklisch zu positionieren.

Herr Tedder, der US-Aktienmarkt hat sich über Jahre besser als der Rest der Welt entwickelt. Wird das so weitergehen?
US-Aktien erzielten in den letzten zehn Jahren eine doppelt so gute Performance wie die anderen Märkte. Bullenmärkte dauern nicht ewig, und auch der aktuelle Bullenmarkt wird zu Ende gehen, aber wir sind nach wie vor übergewichtet in nordamerikanischen Aktien. Der Grund für die Outperformance liegt in der einzigartigen Zusammensetzung des US-Marktes. Es gibt so viele Wachstumsbranchen, darunter Technologie-, E-Commerce-, Biotech- und Social-Media-Unternehmen.

Wann ist es mit der Outperformance der US-Aktien denn vorbei?
Es gibt eine Tendenz zur Rückkehr zum Durchschnitt. Der Zeitpunkt nähert sich, an dem die Bewertungen für US-Aktien im Vergleich zum Rest der Welt zu hoch sind. Das ist noch nicht der Fall, da die Gewinne in den USA gut ausfallen und die Wirtschaft weiter wächst. So könnte es für den US-Markt weiter bergaufgehen, Europa sowie Japan könnten zurückfallen. Mittelfristig werden sich die USA aber weniger gut entwickeln als Europa. Das liegt nicht am Misserfolg amerikanischer Unternehmen, sondern am niedrigeren Niveau in Europa.

Die Konjunktursorgen wachsen – warum steigen die Aktien dann noch?
Die Rally wird nicht von den Überzeugungen der Investoren getragen. Der Grossteil der Aktienkäufe in den vergangenen Jahren kam von Buybacks der Unternehmen. Jetzt sieht man FOMO aufkommen: Fear of Missing out – die Angst, etwas zu verpassen, wenn man keine Aktien hält. Das wird die Rally noch für einige Zeit stützen. Aber auf Sicht von achtzehn Monaten erwarten wir eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und eine Baisse – allerdings ohne massive Rückschläge.

Stellen Sie Ihr Portfolio nun defensiver auf?
In den vergangenen Jahren wie auch in den vergangenen Monaten haben die Anleger auf Sicherheit gesetzt. Grund sind die Sorgen um den wirtschaftlichen Ausblick. Neben Technologiewerten haben sich defensive Sektoren wie Grundnahrungsmittel, Versorgungsunternehmen und Immobilien sehr gut entwickelt. Die Bewertungen der defensiven Valoren sind hoch, während die volatileren, zyklischen Aktien relativ günstig bewertet sind.

Trotz negativer Wachstumsaussichten wagen Sie sich also in zyklische Titel?
Wir fangen an, über ein Engagement in zyklischen Sektoren wie dem Automobilsektor nachzudenken. Aber damit sich ihre Bewertungen bessern, braucht es einen Auslöser – der fehlt noch. Man muss sich nicht beeilen, konjunktursensitive Titel aufzustocken. Das richtige Timing zu finden, ist sehr schwierig, und kurzfristig ist zu erwarten, dass defensive und wachstumsstarke Papiere noch teurer werden. Sollte sich die Konjunktur jedoch erholen, würde sich der europäische Markt besser entwickeln als der US-Markt – allein schon weil dort der Anteil der zyklischen Aktien höher ist. Der Konsens erwartet für 2019 in den USA ein Gewinnwachstum von 11%. Das könnte zu optimistisch sein. Für den Rest der Welt werden etwa 7 bis 10% erwartet. Das scheint viel eher erreichbar zu sein, auch weil sich die Gewinne auf einem niedrigen Niveau befinden.

Welche Sektoren kaufen Sie jetzt?
Im Technologiesektor positionieren wir uns schon zyklischer. Der Markt zeigte sich pessimistisch in Erwartung eines Abschwungs bei Herstellern von Speicherbausteinen und Halbleitern. Aber die Zahlen fallen nicht so schlecht aus. Micron (MU 46.005 -3.07%) bietet ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 6, da man sinkende Gewinne erwartet. Die Zahlen überraschten positiv. Mittelgrosse Softwareunternehmen haben ein gutes Geschäftsmodell, sind aber sehr teuer – nun sind sie bis zu drei Standardabweichungen über dem historischen Durchschnitt bewertet. Da mangelt es an jeglichem Puffer, wenn etwas schiefläuft.

Und neben Technologietiteln?
Im Industriesektor schichten wir von stabilen Branchen wie der Luft- und der Raumfahrt zu Gesellschaften um, die von strukturellen Veränderungen profitieren. Schneider Electric ist beispielsweise ein Unternehmen, das von Investitionen in erneuerbare Energien profitiert. Und in den USA gefällt uns der Energieversorger NextEra Energy (NEE 208.3767 -0.48%), der in diesem Bereich ebenfalls sehr aktiv ist.

Die FAANG – Facebook (FB 198.3 0.64%), Amazon (AMZN 1888.286 -0.54%), Apple (AAPL 217.65 4.25%), Netflix (NFLX 330.1089 1.28%) und die Google-Mutter Alphabet – machen einen massiven Teil am globalen Aktienmarkt aus. Wie steht es mit ihnen?
Die grossen Technologieaktien sind eine sehr heterogene Gruppe. Für Google (GOOGL 1229.94 0.16%) und Facebook sind die Treiber für das Ergebniswachstum noch intakt. Das grösste Problem für sie ist nicht das Geschäftsmodell, sondern die Regulierung. Vor allem wenn es in den USA einen neuen Präsidenten geben sollte, könnte regulatorischer Gegenwind diesen Konzernen schaden. Aber auch die Trump-Regierung geht gegenüber den grossen Technologieunternehmen aggressiv vor. Was das Geschäftsmodell betrifft, so sind wir eher bei Netflix und Apple besorgt.

Wie beurteilen Sie Netflix nach den letzten Zahlen, die einen Rückgang der Anzahl US-Abonnenten gezeigt haben?
Es scheint, dass die US-Kundschaft sensibel auf höhere Preise reagiert: Netflix hat die Gebühren im Januar um 18% erhöht. Aber das grösste Problem sind die Inhalte. Die Sitcoms «Friends» und «The Office» sind sehr beliebte Shows auf Netflix und werden bald verschwinden. Disney (DIS 143.81 -0.77%) startet demnächst die Streaming-Plattform Disney+, betreibt die Sport-Plattform ESPN+ und erweitert den Hulu-Service mit der Integration von Fox. Am Ende wird Disney mit drei Angeboten gegen Netflix antreten – und das ist nicht der einzige Wettbewerber.

Wie viele Konkurrenten gibt es am Ende?
In den USA wird es fünf grosse Streaming-Plattformen geben, darunter Amazon Prime Video. HBO Warner bietet sehr starke Inhalte, und NBC Universal wird Anfang nächsten Jahres starten. Der Trend wird sich fortsetzen, dass die Menschen ihre Kabel-TV-Verträge kündigen – auch international. Das Geld, das sie dadurch sparen, werden sie zwischen diesen Plattformen aufteilen. Streaming hat eine grosse Zukunft für diejenigen Anbieter, die die richtigen Inhalte offerieren. Netflix scheint durch den steigenden Wettbewerb stark unter Druck zu stehen.

Was halten Sie von Amazon?
Das Cloud-Geschäft von Amazon, AWS, wächst nach wie vor stark und wird weiterhin einen grossen Teil des Gewinns ausmachen. Ausserdem zeigt das Prime-Angebot die Sinnhaftigkeit der Diversifikationsstrategie von Amazon. Es ist ein sehr gutes Angebot, um Kunden an Amazon zu binden. Und es wird stetig weiterentwickelt. Das Prime-Abonnement ist nicht teuer und bietet viel Mehrwert. Es gibt auch grosses Potenzial für Amazon, von Werbeeinnahmen zu profitieren: Für 56% aller Produktsuchen in den USA wird Amazon verwendet. Für Wiederverkäufer könnte es effektiver werden, bei Amazon und nicht bei Google zu werben.

Auch wenn Investoren nicht vom Bullenmarkt überzeugt sind – einige IPO scheinen von extremem Optimismus zu profitieren.
Wir haben am Börsengang von BeyondMeat teilgenommen, einem Unternehmen, das eine pflanzliche Alternative zu Fleisch anbietet. Uns hat das Konzept gefallen, da es zu unserem thematischen Ansatz passt, auf Veränderung im Lebensmittelkonsum zu setzen. Pflanzenbasierte Lebensmittel sind ein wachsender Markt. Beim Börsengang war der Marktwert von 1,2 Mrd. $ angemessen. Aber die Investoren stürzten sich darauf, und der Marktwert stieg auf 10 Mrd. $. Solche Bewertungen halte ich derzeit nicht für gerechtfertigt. Ein weiteres Beispiel ist der Börsengang des Videokonferenzdienstleisters ZoomVideo. Die Bewertungen solcher IPO sind nicht vertretbar. Die Anleger sind in der aktuellen Marktphase anfällig für irrationalen Überschwang. Das kann uns mittelfristig in eine Baisse bringen.

Wie reagieren Sie auf mögliche Konsequenzen des Handelskriegs?
Die direkte Auswirkung des Handelskriegs auf das Wachstum ist nicht gross. Gemäss dem Internationalen Währungsfonds wird der Effekt für Chinas Bruttoinlandprodukt schlimmstenfalls –2,2% betragen. Wegen der grossen Binnenwirtschaft sind die USA mit –0,3% noch weniger betroffen. Die indirekte Wirkung ist gefährlicher. Die Unternehmen haben weltweit an Vertrauen verloren und Investitionsentscheidungen verschoben. Das Szenario einer Rezession wird so wahrscheinlicher. So könnten defensive Aktien noch teurer werden. Deshalb sind wir diversifiziert aufgestellt und bleiben in Titeln mit stabilem Wachstum übergewichtet. Aber wir warten auf den richtigen Zeitpunkt, in Zykliker zu gehen.

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