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16:21 Uhr - 20.05.2016

«In Japan hört man schon die Helikopter»

Russell Napier, unabhängiger Stratege, erwartet die Monetarisierung der Staatsschulden in Japan. Das Helikoptergeld werde den Yen empfindlich schwächen.

Trotz Negativzinsen und Wertschriftenprogramm der Bank of Japan und der Europäischen Zentralbank haben sich der Yen und der Euro dieses Jahr aufgewertet. Damit rückt das Inflationsziel von 2% in weite Ferne. Es droht eine lange Phase mit sinkendem Preisniveau und Nullwachstum. Vor einer globalen Deflation warnt der Stratege Russell Napier schon seit Jahren. «Finanz und Wirtschaft» traf den Querdenker diese Woche in Zürich, wo er als Redner bei der  Analystenvereinigung CFA Society eingeladen war. Laut Napier spielt sich an den Finanzmärkten derzeit Historisches ab: Die Märkte hätten den Glauben an die Allmacht der Zentralbanken verloren. Europäische Anleger seien mit Bargeld am besten bedient. Chancen böten auch währungsgesicherte japanische Aktien.

Zur PersonDer Schotte Russell Napier ist unabhängiger Anlagestratege und Gründer der Online-Research-Plattform eri-c.com. Zuvor war er für das asiatische Brokerhaus CLSA in Hongkong tätig, zuerst als Aktienanalyst und dann als Stratege. Napier ist Autor des Buches «Anatomy of the Bear», das von der «Financial Times» als bestes Finanzbuch 2006 ausgezeichnet wurde. In den vergangenen Jahren hat er wiederholt auf die sich anbahnenden Probleme in den Emerging Markets und die Gefahr einer Deflation hingewiesen. Dass China den Renminbi abwerten müsse, war für ihn eine Frage der Zeit. Napier wohnt in einem kleinen Dorf nahe Edinburgh, wo er in der Freizeit Rosen züchtet und Biogemüse anbaut.Herr Napier, haben die Zentralbanken alles Pulver verschossen?
Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte glaubt der Markt nicht mehr daran, dass die Zentralbanken es schaffen, die Geldmenge im Umlauf zu erhöhen. Das war bis anhin nicht vorstellbar. Die ganze akademische Literatur basiert auf der Annahme, dass eine Notenbank in einem Papier- oder Fiat-Geldsystem die Geldmenge beliebig ausweiten kann. Wenn sie das nicht mehr schafft, beziehungsweise die Marktteilnehmer daran zweifeln, und eine Volkswirtschaft gleichzeitig Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, wertet sich die Währung zwingend auf. Genau das erleben wir derzeit.

Inwiefern unterscheidet sich die Situation in Japan von derjenigen der Eurozone?
In beiden Fällen sind die Marktteilnehmer zur Überzeugung gelangt, dass mit negativen Zinsen nichts mehr zu bewirken ist. Als die EZB den Einlagenzins weiter senkte, gab der Euro zuerst nach. Doch als ihr Chef Mario Draghi dann sagte, dass damit wohl die untere Grenze erreicht sei, schlug das Pendel in die andere Richtung aus. In Japan verpuffte die Wirkung der Negativzinsen nach einem Tag, und die Yenstärke hat sich seither akzentuiert. Der grosse Unterschied ist, dass Japan bereit ist, noch einen Schritt weiter zu gehen.

Und dieser wäre?
Die Einführung von Helikoptergeld. Noch versucht Premier Shinzo Abe, die G-7-Regierungen für einen koordinierten Fiskalstimulus zu gewinnen. Doch insbesondere Deutschland und die US-Republikaner lehnen diese Idee ab, und Japan wird schliesslich unilateral handeln. Während Abe noch diskutiert, drehen sich im Hintergrund schon die Rotoren der Helikopter.

Was verstehen Sie unter Helikoptergeld? Gibt es für alle einen Scheck?
Wenn die Staatsausgaben mit der Geldpresse direkt finanziert werden, dann spricht man von Helikoptergeld. Es ist im  Endeffekt das Gleiche, wie wenn jeder Bürger ein paar neue Geldscheine von der Zentralbank bekommt. Der ehemalige Fed-Chef Ben Bernanke beschrieb in der legendären Helikopter-Rede 2002 exakt, wie Deflation bekämpft werden kann. Als letztes Mittel nannte er eine durch die Notenbank finanzierte Steuersenkung.

Warum sollte Japan zu einem solch radikalen Mittel greifen? Ist die Lage so schlimm?
Die Arbeitslosigkeit ist zwar niedrig, aber die Löhne steigen nicht. Ohne Lohnwachstum lässt sich das Inflationsziel von 2% nicht erreichen.

Gibt es für Helikoptergeld überhaupt genügend Rückhalt in der Bevölkerung?
In Japan herrscht eine ausgeprägte Konsenskultur. Es hat mehr als zwanzig Jahre gebraucht, bis sich das Land auf die vor drei Jahren eingeschlagene Abwertungs- und Reflationierungspolitik einigen konnte. Für eine überalterte Gesellschaft wie Japan ist das bemerkenswert, denn gerade für ältere Menschen ist mehr Inflation eher ein Nachteil. Von diesem Konsens wird Japan nicht so schnell abrücken. Die Leute stehen hinter Abenomics, der Wirtschaftspolitik von Abe, und deshalb wird Japan jetzt aufs Ganze gehen. Und seien wir ehrlich, ein so radikaler Schritt wäre die Einführung von Helikoptergeld nicht mehr, schliesslich war das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik von Anfang an der Kern von Abes Reflationierungspolitik.

Werden die Finanzmärkte auf diese radikale Massnahme nicht panisch reagieren?
So wie ich den Markt einschätze, wird die erste Reaktion positiv ausfallen. Der Yen wird sich wieder abwerten und Japan einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Das wird die Aktienkurse befeuern. Ob Helikoptergeld aber längerfristig etwas bewirkt, weiss ich auch nicht. Es kommt auf die Umsetzung an. Der Erfolg hängt davon ab, ob es gelingt, den jungen Leuten mehr Geld in die Hand zu geben. Dann würde die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes eher zunehmen.

Ist eine Wiederholung der Aktienrally von 2013 wahrscheinlich?
Ja, ich würde in der aktuellen Situation japanische Aktien kaufen, aber gleichzeitig das Wechselkursrisiko absichern.

Welche Folgen hätte ein deutlich schwächerer Yen für Chinas Wechselkurspolitik?
Ich halte eine weitere Abwertung des chinesischen Yuans schon länger für unausweichlich. Die Zeiten mit dem grossen robusten Leistungsbilanzdefizit sind vorbei. China kann nicht mehr länger gleichzeitig den Kapitalverkehr liberalisieren, den Wechselkurs stabil halten und die Zinsen senken. Politisch ist eine Yuanabwertung aber umstritten. China will nicht als Währungsmanipulator dastehen. Doch eine starke Abwertung des Yens gäbe China ein gutes Argument, um den Yuan deutlich abwerten zu lassen. Eine Yuanabwertung würde den deflationären Druck im Rest der Welt erhöhen, weil chinesische Produkte noch billiger würden.

Und es droht ein Abwertungswettlauf.
Ja, genau. Und das Verrückte dabei ist, dass ein solcher Währungskrieg unterdessen sogar von akademischer Seite Zustimmung findet. So argumentiert Ex-Fed-Mitglied Kocherlakota, dass die G-7-Länder mit einer gemeinsamen Abwertung gegen den Dollar das Inflationsziel eher erreichen könnten.

Was hiesse das für die Entwicklung der Inflation?
Wenn wenige Staaten mit einer extremen Ausweitung der Geldmenge die Währung abwerten, dann wirkt das auf den Rest der Welt deflationär, weil tendenziell die Importpreise fallen. Wenn aber alle G-7-Länder das tun, wird das Gegenteil der Fall sein: Dann zieht die Inflation deutlich an.

Am letzten G-20-Gipfel in Schanghai haben sich die Finanzminister und die Zentralbankchefs gegen eine Abwertungspolitik ausgesprochen. Wie bedeutsam sind solche Abmachungen?
Japan steht mit dem Rücken zur Wand und wird sich nicht daran halten. Das US-Fed und der Internationale Währungsfonds nehmen die Gefahren eines Abwertungswettlaufs jedoch sehr ernst. Es ist einer der Gründe, weshalb das Fed weniger expansiv agiert als zuvor. Auch die EZB zielt weniger auf einen schwachen Euro als auch schon. Nicht zufällig hat sich in den vergangenen Wochen der Euro zum Dollar aufgewertet.

Historisch war ein schwächerer Dollar gut für Schwellenländeranlagen und Rohstoffe. Ist  jetzt der Zeitpunkt, in diese Märkte  zu investieren?
Nein, die Abwertung des Dollars ist kein Kaufsignal. Der Dollar ist nicht deshalb schwach, weil sich die Weltwirtschaft erholt und mehr Inflation entsteht, sondern weil der Euro und der Yen erstarken. Die Ursache der Dollarschwäche ist also die Deflation in Europa und Japan und nicht eine Reflation wie etwa in den Neunzigerjahren. Das ist höchst besorgniserregend und keine gute Grundlage für Anlagen in Rohstoffe und Schwellenländer.

Sie haben mehrfach auf die Schieflage Osteuropas hingewiesen. Hat sich die Lage inzwischen gebessert?
Die Region ist immer noch in Schwierigkeiten. Das Wirtschaftswachstum sieht zwar nicht schlecht aus. Aber in Polen zum Beispiel fallen die Konsumentenpreise seit zwei Jahren. In einer verschuldeten Gesellschaft ist Deflation verheerend. Ungarn ist nicht besser dran. Das ebenfalls hoch verschuldete Land bewegt sich politisch in eine gefährliche Richtung. Die Unternehmen sind vor Enteignung nicht mehr sicher. In einem solchen Umfeld investiert niemand mehr, und die klugen Köpfe wandern aus.

Was hätte der EU-Austritt Grossbritanniens für Konsequenzen?
Der Brexit wäre der Beginn einer Referendumswelle in anderen Mitgliedstaaten.  Wenn erst mal ein Eurozonemitglied über den Verbleib in der Währungszone abstimmt, dann ist die Hölle los. Sobald sich ein Austritt abzeichnet, werden Kapitalverkehrskontrollen nicht mehr zu verhindern sein. Ich glaube allerdings nicht, dass der Brexit beim Volk eine Mehrheit findet. Die Wettquoten sind ziemlich eindeutig. Ich sehe in der Abstimmung allerdings auch eine Chance für Europa: Für eine wirkliche föderale Union braucht es Volksabstimmungen zu den zentralen Themen. Ohne die Zustimmung des Volkes werden die politischen Extreme nur noch stärker.

Anders als in Europa und Japan nimmt die Teuerung in den USA zu. Wie gut steht die US-Wirtschaft da?
Die rückläufigen Unternehmensgewinne  zeigen eine akute Schwäche an. Die Inflationsrate ist im April zwar auf 1,1% gestiegen. Einen Trend sehe ich da aber nicht. In den monatlichen Inflationszahlen steckt viel Zufall. Ich erinnere mich noch gut an 2007, da ist die Inflation noch weiter gestiegen, als viele andere Konjunkturindikatoren schon nach unten zeigten.

Sie empfehlen europäischen Anlegern vor allem Cash. Doch die Zinsen auf dem Konto sind bei null und vielleicht schon bald negativ.
Das ist ja eben das Absurde an der heutigen Geldpolitik. Mit dem Negativzins drängen die Zentralbanken die Anleger dazu, Gold (Gold 1251.22 -0.47%) zu kaufen oder Bargeld in einem Tresor zu bunkern. Das sind die unproduktivsten Investments überhaupt.

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