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16:07 Uhr - 07.04.2015

«Den Zinseszins gibt es nicht mehr»

Asoka Wöhrmann, Chefanlagestratege der Deutschen Asset & Wealth Management, spricht von «Gezeitenwende». Die Dividende ist der neue Zins.

Das Zinstief in Europa werde noch drei Jahre anhalten, schätzt Asoka Wöhrmann. Derweil mache sich eine langsame, aber konstante wirtschaftliche Besserung breit, mit niedriger Inflation und Vorteilen für Aktien. «Die Dividende ersetzt in den nächsten Jahren den sicheren Zins.» Längerfristig erwartet er den Dax bei 20’000, «das sehe ich ganz entspannt», sagt er im Interview. Wöhrmann ist Chefanlagestratege der Deutschen Asset & Wealth Management. Mit einem Anlagevermögen von über 1000 Mrd. € vereint sie alle Asset- und Wealth-Management-Kompetenzen der Deutschen Bank.

Herr Wöhrmann, Europas Börsen haben sich eindrücklich zurückgemeldet, allen voran der Dax mit einem Plus von 23% seit Jahresbeginn. Wie viel davon sind Vorschusslorbeeren, dass das Anleihenkaufprogramm der EZB gelingen wird?
Zur PersonAsoka Wöhrmann ist Chefanlagestratege und Geschäftsleitungsmitglied der Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Asset & Wealth Management. Diese ist mit einem Anlagevermögen von gut 1000 Mrd. € und 6000 Beschäftigten einer der grössten globalen Vermögensverwalter in Bankbesitz, bekannt vor allem durch die Fondsprodukte mit Namen DWS. Wöhrmann stiess 1998 zum Unternehmen, wo er zunächst den Devisenhandel betreute und Fondsmanager für internationale Anleihen war. Er besitzt den Master in Volkswirtschaft der Universität Bielefeld und trägt den Doktortitel in Ökonomie der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg.Die Europäische Zentralbank geht noch konsequenter vor als die amerikanische. Die EZB hat den Interbankenzins auf Negativ gestellt, ein gigantisches Kaufprogramm für Staatsanleihen lanciert und den Aussenwert des Euros massiv geschwächt. Er hatte vor einem Jahr noch 1.40 $ Wert, jetzt sind es gerade noch 1.10 $, nachdem er zeitweilig auf 1.03 $ gesunken war. Das ist eine massive Verbesserung der Exportchancen, namentlich für deutsche Unternehmen, die weltweit erfolgreich sind. Das monetäre Rezept ist das gleiche wie in den USA. Auch Grossbritannien hat es erfolgreich praktiziert, ebenso – mit etwas weniger Durchschlagskraft – die japanische Notenbank. Man kann sagen: Das Quantitative Easing à la Fed ist zum globalen Exportschlager geworden.

Sie gehen davon aus, dass es auch in Europa klappen wird. Weshalb?
Schauen wir, was in den USA geschah. Als man feststellte, dass Nullzinsen nicht ausreichen, um die Wirtschaft genügend zu entschulden, entschloss sich das Fed zu Negativzinsen. Wie erzeugt man sie? Mit dem Kauf von Staatsanleihen.

Staatsfinanzierung durch die Notenpresse sieht man in Deutschland, aber auch in der Schweiz nicht gerne.
zoomWas ich absolut verstehe. Aber wenn’s nicht anders geht, heiligt der Zweck die Mittel. Amerika hat es vorgemacht. Als Folge der quantitativen Lockerung QE kamen die Finanzierungskosten und der Aussenwert des Dollars massiv zurück. Damit erkauften sich die USA zwei bis zweieinhalb Jahre Zeit für die Restrukturierung der Privatwirtschaft, mit dem Resultat, dass 2014 die Entschuldung – die härteste Bilanzrezession seit den Dreissigerjahren – zu Ende ging. Und jetzt nimmt der zyklische Aufschwung in den USA Fahrt auf. Das gleiche Rezept gilt für Europa.

Aber verabreicht mit Verzögerung. Und die Unternehmen, obschon weitgehend gesund, halten sich mit Investitionen zurück. Sind die Erfolgsaussichten intakt?
In Europa haben wir andere Voraussetzungen. Sie erschweren es, im Krisenfall unmittelbar zu reagieren. Es braucht mehr Zeit, was man bei aktuell neunzehn Staaten und zahlreichen Regierungsparteien in der Eurozone auch verstehen muss. Die USA haben zwei Parteien, mit der Tea Party als Teil der einen. Die US-Zentralbank ist mächtig und straff geführt. In Europa gilt das ausgeprägt erst jetzt mit Mario Draghi. Nun sind die politischen Widerstände überwunden, QE hat grünes Licht. Ich meine sogar, dass die EZB die einzige handlungsfähige Institution Europas ist. Sie hält Europa zusammen und treibt es voran. Wenn auch jeweils spät, so haben die europäischen Länder ihre Probleme in den letzten siebzig Jahren stets überwunden.

Die Vorsicht der Unternehmen hat ihren Grund: Sie misstrauen der Politik, dem Wachstum. Was könnte den Knoten lösen?
Sie sprechen nicht ein europäisches, sondern ein globales Phänomen an. Die Unternehmen halten sich im Verhältnis zu ihren Möglichkeiten mit Investitionen zurück. Deshalb sehen wir nicht den normalen zyklischen Aufschwung. Auf eine Rezession folgt in der Regel ein Wirtschaftswachstum von 3% und mehr. Das sehen wir annähernd nur in den USA. Warum nicht auch anderswo in der westlichen Welt? Weil viele Unternehmen heute global aufgestellt sind. Der nationale Blick auf das Sozialprodukt liefert ein verzerrtes Bild. Hinzu kommt die Wahrnehmung, wir würden in einer innovationsarmen Phase stecken. Das Gegenteil ist der Fall, wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution.

Macht die Digitalisierung nicht auch Angst?
Einerseits ja, aber schauen wir uns nur an, was in der Autobranche passiert. Um ein neues Modell zu entwickeln, arbeitete früher eine grosse Truppe  – Ingenieure, Designer, Techniker. Sie zeichneten, malten, entwickelten, probierten aus. Das geschieht heute alles digitalisiert.  Die  3-D-Technik eröffnet ganz andere Möglichkeiten. Neue Tätigkeiten mit neuen Arbeitsplätzen ersetzen alte und unproduktive Prozesse.

Deutschen Unternehmen wird vorgeworfen, sie investierten zu viel im Ausland und zu wenig im Inland. Zudem könnte der schwache Euro sie genügsam stimmen. Trifft der Vorwurf zu?
Nein. Tatsache ist: Deutsche Unternehmen sind, wie alle globalen Konzerne,  nicht nationale respektive deutsche Unternehmen im eigentlichen Sinn, sondern diversifizierte, international agierende Gesellschaften. Sie sind nahe an den Absatzmärkten und sind dadurch Wechselkursschwankungen und politischer Einschränkung weniger ausgesetzt. Früher hätte eine Wechselkursveränderung wie jetzt im Dollar, im Franken oder im Euro drastische Konsequenzen gehabt. Aber weil sie Kosten und Ertrag vielfach im selben Land oder in derselben Region haben, ist nur der Nettobetrag das Problem. Hinzu kommen die niedrigen Rohstoffpreise, die niedrigen Finanzierungskosten, die Nachfrage aus China, wo vonseiten der stark wachsenden Mittelschicht eine hohe Nachfrage nach westlichen Gütern besteht. Das alles ist für die Wirtschaft förderlich, zusätzlich zu den Massnahmen der EZB, auch wenn deren Liquidität teils gar nicht in die Unternehmen gelangt.

Ist das der Unterschied zu den USA?
Wenn QE Erfolg hat wie in den USA, können wir uns beglückwünschen. In Europa gibt es natürlich Einschränkungen. Das  europäische Finanzsystem ist noch nicht bereinigt wie das amerikanische, das QE voll ausreizen konnte. Wir haben in Europa Divergenzen: Nord/Süd, angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Dann verschärft Europa mit Blick auf die übermässige Staatsverschuldung die Fiskaldisziplin, was die USA nicht getan haben. Amerika kaufte Bonds und kreierte gleichzeitig massive Staatsdefizite. Per saldo heisst das: QE in Europa wird voraussichtlich weniger stark wirken, aber trotzdem positiv sein. Das Timing ist gut, Inflation wird in mässiger Form zurückkehren, weil der Basiseffekt des gesunkenen Ölpreises Ende des Jahres nicht mehr bestehen wird. Europa kommt aus der zweijährigen Rezession heraus, rappelt sich hoch zu einem langsamen Aufschwung. Ich nenne es den Schildkrötenzyklus: langsam, aber nachhaltig, mit niedriger Inflation und tiefen Zinsen.

Wie drückt sich das in Zahlen aus?
Für Europa rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 respektive 1,6% in diesem und im nächsten Jahr, nach 0,9% im vergangenen. Was die Zinsen angeht, muss Europa noch die nächsten drei Jahre mit Null- bis Negativzinsen rechnen. In den USA dürften die Leitzinsen im September zwar steigen, aber auch da wird man sich über eine grosse Zinsverschiebung keine Sorgen machen müssen.

Was sehen Sie für den Euro voraus?
Heute bewegt sich der Eurokurs um 1.10 $. Die Kaufkraftparität liegt bei  rund 1.16 $. Wahrscheinlich wird der Euro im Laufe des Jahres zwischenzeitlich noch unter 1 $ fallen, in den höheren 90-Cent-Bereich, dann dürfte respektive sollte Schluss sein. In zwölf Monaten erwarten wir den Dollar auf Parität mit dem Euro. Man darf es mit der Euroschwäche auch nicht übertreiben.

Wie meinen Sie das?
Bei aller Wertschätzung für die EZB, sie läuft Gefahr, zu dominant zu werden. Die Schweizerische Nationalbank gab die Euromindestgrenze auf und musste als Gegenmassnahme zur Euroschwäche zusätzlich Negativzinsen einführen – Dänemark hat den Negativzins jüngst erhöht, und Schweden ergeht es nicht anders. Alle sind mit ihren Zinsen auf Giroguthaben der Banken zu einem Satz unter –0,2% gezwungen. Diese Zentralbanken reagieren mit aussergewöhnlichen Massnahmen auf die extrem expansive Geldpolitik der EZB.

Tat die Schweizerische Nationalbank gut daran, den Euromindestkurs aufzuheben?
Der Schritt kam überraschend und machte den Eindruck einer Verzweiflungstat. Wenn man sich an die Beteuerungen zur Untergrenze bis unmittelbar vor dem Entscheid erinnert, ist die Reputation der SNB (SNBN 1060 3.41%) nicht gerade gestiegen.

Und der Schritt selbst, war er unumgänglich?
Meiner Meinung nach war die Einführung einer fixen Untergrenze schon sehr fraglich. Asiatische Zentralbanken gingen nach der schmerzlichen Erfahrung mit fixen Wechselkursen in der Asienkrise von 1998 zu einem kontrollierten Peg über: Sie lassen den Kurs gegen einen Korb von Währungen in einer bestimmten Bandbreite schwanken. Singapur macht das vorzüglich. Wenn der Druck zu gross wird, lässt es Luft ab und bindet den Kurs nicht fix an, bis am Ende der Kessel platzt. Der Mindestkurs war ein Mühlstein am Hals der SNB, davon hat sie sich befreit.

Zurück zur Börse. Konsens ist: Solange die Notenbanken massiv Liquidität schöpfen, hält die Aktienhausse aus Mangel an Alternativen an. Ist Anlegen so einfach?
Die Börsen befinden sich in einem Rausch, und solange dem Rausch immer wieder nachgeholfen wird, hält er an. Für das zweite Halbjahr erwarten wir eine deutlich höhere Volatilität, aber keine Trendwende. Es ist weiterhin sinnvoll, bei Rückschlägen Aktien zu kaufen. Wir müssen uns Folgendes vor Augen halten: Vor 25 Jahren, bei der deutschen Wiedervereinigung, rentierten zehnjährigen deutsche  Staatsanleihen rund 9%. Im Jahr 2000 waren es 5%, das heisst, das Kapital hat sich mit Zins und Zinseszins nach rund fünfzehn Jahren verdoppelt.

Was bei den jetzigen Zinsen nicht mehr gilt. Welches sind die Alternativen?
Aktuell sind wir für zehnjährige Bunds bei einer Rendite von 0,2% angelangt. Was glauben Sie, wie lange dauert es bei diesem Wert, bis sich ein Vermögen verdoppelt? 350 Jahre! Mit anderen Worten: Wir stehen in einer Gezeitenwende bei der Kapitalanlage. Der sichere Zins ist verschwunden. Das gilt besonders in der Schweiz, wo die zehnjährigen «Eidgenossen» eine Negativrendite aufweisen. Und Euroland geht in den nächsten Jahren den gleichen Weg. Das führt zur Erkenntnis: Der Zinseszins ist weg. Selbst wer sein Kapital nur erhalten will, kommt um Aktien nicht herum.

Aktien aus Europa, wie die meisten Strategen empfehlen, oder gibt es Alternativen?
zoomWir empfehlen ein breit diversifiziertes Portfolio, zu dem auch Immobilien gehören. Bei Aktien bevorzugen wir Titel von soliden, nachhaltig erfolgreichen und dividendenstarken Unternehmen. Auf Regionen bezogen sind derzeit US-Aktien vom Dollarschatten belastet, deshalb ziehen wir kurz- bis mittelfristig Valoren der Eurozone vor, die starken Währungsrückenwind haben und bisher keineswegs zu hoch bewertet sind. Wichtig ist eine langfristige Strategie. Die historische Erfahrung zeigt: Wer Aktien nur ein Jahr hält, geht eine 30%ige Verlustwahrscheinlichkeit ein. Über zehn Jahre beträgt die Verlustwahrscheinlichkeit 5%, und bei zwanzig Jahren ist sie gleich null. Selbst bei den schlimmsten Rückschlägen haben Anleger über diesen Zeitraum jährlich 5% verdient – die Hälfte davon aus der Dividende.

Die Dividende ist der neue Zins?
Absolut, die Dividende ersetzt in den nächsten Jahren den sicheren Zins. Und «sicher» sage ich, weil ich das Aktienrisiko auf lange Sicht für absolut vertretbar halte.

Wie misst sich das am Dax?
Das sehe ich ganz entspannt. Längerfristig erwarte ich ihn bei 20’000. Die Börse wird weiter steigen. Daran ändert auch Griechenland nichts.

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