Zurück zur Übersicht
09:24 Uhr - 27.05.2022

Führt die US-Inflation in eine Rezession?

Sollte sich die Konjunktur abrupter abschwächen als vom Fed erwartet, wird es auf die Abschwächung im laufenden Jahr schneller reagieren müssen als auf den Anstieg 2021. Ein Kommentar von Michael R. Strain.

Die rapide Verbraucherpreisinflation in den Vereinigten Staaten verschleiert die Anzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs, der die Stabilität des derzeitigen Wachstums gefährden könnte. Während die nominalen persönlichen Konsumausgaben zwischen Oktober 2021 und März 2022 (dem aktuellsten Monat, aus dem Daten verfügbar sind) 3,4% gestiegen sind, zeigt der Blick auf die höheren Preise, dass die persönlichen Konsumausgaben insgesamt stagnierten. Und die inflationsbereinigten Einzelhandelsumsätze sehen sogar noch schlechter aus: Sie stagnieren seit März 2021.

Diese Verlangsamung spiegelt sich auch in den Meinungsdaten. Eine CNBC-Momentive-Umfrage vom vergangenen Monat ergab, dass mehr als die Hälfte der Amerikaner bereits weniger auswärts essen geht und dass mehr als ein Drittel weniger Auto fährt oder ein Monatsabonnement gekündigt hat. Solche Ausgabenkürzungen könnten sich noch verschärfen: 40% der Befragten gaben an, dass sie mit anhaltend hohen Preisen die Stornierung eines Urlaubs in Betracht ziehen würden, und 76% äusserten die Befürchtung, dass höhere Preise sie zwingen würden, ihre finanziellen Entscheidungen zu überdenken.

Diese Ergebnisse werden durch die Inflation untermauert, die den Konsumklimaindex der University of Michigan auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren getrieben hat – sogar niedriger als im Frühjahr 2020, als die Covid-19-Pandemie einen plötzlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit und einen schweren wirtschaftlichen Abschwung verursachte.

Stimmung verschlechtert sich

Stagnierende Ausgaben und die Zurückhaltung in künftigen Ausgaben sollten nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass die Inflation die Reallöhne der meisten Arbeitnehmer gesenkt hat. Trotz der Auswirkungen der höheren Preise auf die Haushaltsbudgets haben die Verbraucher ihre laufenden Ausgaben bisher weitgehend beibehalten. Aber das wird nicht ewig so bleiben, und vielleicht nicht einmal in der zweiten Jahreshälfte.

Der Löwenanteil der US-Wirtschaft entfällt auf die Verbraucherausgaben, aber auch vorausschauende Unternehmen könnten sich auf eine Verlangsamung einstellen. Vergangenen Monat zeigte eine Umfrage der US Federal Reserve Bank of Philadelphia, dass die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes die niedrigsten Nettoerwartungen für einen Anstieg der künftigen Tätigkeit seit Dezember 2008 – dem Tiefpunkt der grossen Rezession – hatten. Mehr als 85% der Unternehmen gaben an, ihre Inputpreise seien gestiegen.

Ähnlich verhält es sich gemäss einer im April von der National Federation of Independent Business durchgeführten Umfrage unter Kleinunternehmen: Lediglich 4% der Unternehmen gaben an, dass die nächsten drei Monate ein guter Zeitpunkt für eine Expansion wären – ein Rückgang um mehr als die Hälfte im Vergleich zu den vorangegangenen sechs Monaten. Im letzten Herbst erwarteten die Unternehmen häufiger höheren Umsatz in den kommenden drei Monaten; jetzt erwarten 12 % mehr Unternehmen niedrigeren Umsatz in den nächsten drei Monaten als höhere Einnahmen.

Wirtschaft vor Abkühlung

Zwar deuten zahlreiche andere Indikatoren darauf hin, dass sich der Aufschwung weiterhin auf Kurs befindet. Diese Ergebnisse sind jedoch besorgniserregend, denn sie lassen vermuten, dass die Verbraucher sich zurückziehen und dass Haushalte und Unternehmen zunehmend pessimistischer werden. Dementsprechend muss die US-Notenbank ihre Pläne – und ihre Rhetorik – an alle Daten anpassen.

Während der Fed-Vorsitzende Jerome Powell davon spricht, die Zinsen «zügig» auf ein Niveau anzuheben, bei dem die Geldpolitik die Nachfrage nicht mehr stimuliert, drängen die Falken im geldpolitischen Ausschuss der Zentralbank auf ein noch aggressiveres Vorgehen. James Bullard, der Präsident der Federal Reserve Bank of St. Louis, möchte beispielsweise, dass der Leitzins des Fed bis Ende des Jahres die Spanne von 3,25 bis 3,5% erreicht.

Dieser Weg könnte am Schluss notwendig sein. Aber angesichts der blinkenden gelben Lichter – einschliesslich der Verlangsamung des durchschnittlichen Nominallohnwachstums im April – sollte das Fed darauf achten, sich nicht auf einen bestimmten Kurs festzulegen, indem es die Markterwartungen unvorsichtigerweise mit restriktiver Rhetorik konditioniert.

Die Falken im Fed könnten immerhin überschätzen, wie schwierig es sein wird, die Wirtschaft abzukühlen. Normalerweise muss das Fed Entlassungen einleiten, um die Wirtschaft zu bremsen. Der heutige Arbeitsmarkt ist jedoch wegen übermässig vielen freien Stellen angespannt, nicht wegen der hohen Beschäftigungszahlen. Der Abbau von Leerständen wird sich als einfacher erweisen als die Einleitung von Entlassungen.

Hinter der Kurve zurück

Darüber hinaus reagieren die finanziellen Bedingungen bereits rasch – und präventiv – auf eine mögliche Straffung der Geldpolitik, wobei die Renditen von Staatsanleihen steigen und die Zinssätze für dreissigjährige Festhypotheken von rund 3% zu Beginn des Jahres auf mehr als 5% in diesem Monat steigen. Zusätzlich zu diesen Entwicklungen werden Russlands Krieg in der Ukraine und die Konjunkturabschwächung in China die US-Wirtschaft bis zu einem gewissen Grad abkühlen, was die Last des Fed weiter verringert.

Hinzu kommt, dass die langfristigen Inflationserwartungen einigermassen stabil sind, was bedeutet, dass es für das Fed jetzt einfacher sein dürfte, die kurzfristige Inflation neu zu bestimmen als in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als die langfristigen Erwartungen von Grund auf neu festgelegt werden mussten.

Das Fed ist 2021 auf schmerzliche Weise hinter der Kurve zurückgeblieben. Weil es das Ausmass des sich aufbauenden Inflationsdrucks nicht erkannte, pumpte es Benzin in eine Wirtschaft, die bereits auf Hochtouren lief. Sollte sich die Konjunktur abrupter abschwächen als vom Fed erwartet, wird es auf die Abschwächung im laufenden Jahr schneller reagieren müssen als auf den Anstieg 2021. Dies könnte davon abhängen, ob die USA im nächsten Jahr in eine Rezession geraten oder nicht.

 Copyright: Project Syndicate.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.