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18:29 Uhr - 10.05.2019

Neue Eskalationsstufe im Handelskonflikt

Trotz laufender Verhandlung erhöhen die USA die Zölle. China kündigt Gegenmassnahmen an. Die wichtigsten Antworten zum Handelsstreit

Die USA machen Ernst im Handelskonflikt mit China. Seit Freitag müssen zusätzlich chinesische Einfuhren im Wert von 200 Mrd. $ mit 25% verzollt werden. US-Präsident Donald Trump hatte die Einführung schon im Januar angedroht und kündigte die Implementierung überraschend vergangenes Wochenende über Twitter (TWTR 38.135 -1.69%) an. Dennoch reiste die chinesische Delegation um Vize-Premier Liu He für die Verhandlungen nach Washington. Bis zur Frist um Mitternacht wurde aber keine Einigung erzielt.

Welche Güter sind betroffen?
Nun wird für rund die Hälfte der Importe aus China der Satz von 25% angewandt. Auf der Liste stehen fast 6000 Produkte – von Honig, über Fahrräder bis Toilettenpapier. Letztes Jahr galten die 25% noch vorwiegend für Elektronik aus China mit einem Volumen von 50 Mrd. $. Für weitere Importe im Wert von 200 Mrd. $ wurde im September ein Zoll von 10% eingeführt, der nun auf 25% erhöht wurde. Begründet wird dies mit der Weigerung Chinas, den USA in zentralen Punkten entgegenzukommen. 2018 importierten die USA chinesische Waren im Wert von 530 Mrd. $. Trump droht, auch die restlichen Importe höher zu besteuern.

Wie sieht Chinas Reaktion aus?
China hat auf Zolldrohungen der USA umgehend Vergeltungsmassnahmen angekündigt. Seit vergangenem Sommer hat China neue Zölle auf US-Importe in der Höhe von 110 Mrd. $ verhängt. Laut dem chinesischen Handelsministerium wird das Land auch diesmal mit Gegenmassnahmen reagieren. Man hoffe jedoch, in den laufenden Verhandlungen doch noch eine Lösung zu finden.

Was sind die wirtschaftlichen Folgen für China, die USA und den Rest der Welt?

Chinas Exporte in die USA machen 3,2% des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Gemäss Berechnungen von Capital Economics haben die schon eingeführten Zölle Chinas Wirtschaftswachstum um 0,4 Prozentpunkte (Pp) gebremst. Oxford Economics schätzt, dass die neuen Handelshemmnisse das US-BIP im Jahr 2020 um 0,3% belasten werden, das von China um 0,8%. Die Ökonomen von Bloomberg Economics kommen auf ähnliche Werte: Sollten die USA auf alle chinesischen Importe 25% verlangen, würde sich Chinas Wirtschaftswachstum 1,5 Pp reduzieren. Ein Hochschaukeln im Zollkonflikt würde gemäss Oxford Economics wohl in eine globale Rezession münden.

Wie haben die Börsen auf die neuen Zölle reagiert?

Seit Trumps Twitter-Drohung am Wochenende haben die Börsen weltweit eingebüsst. Nach der Ankündigung am Freitag reagierten die asiatischen Märkte zuerst mit weiteren Kursrückschlägen. Dann drehte sich das Bild – zumindest für den chinesischen Aktienmarkt. Anders als der japanische Markt schloss er am Freitag im Plus. Der Grund für die überraschende Erholung waren wohl Stützkäufe chinesischer Banken im staatlichen Auftrag. Auch in Europa erholten sich die Kurse am Freitag. Für Entspannung sorgte wohl die Erwartung, dass Peking sich nun bemühen wird, die Stimmung bei den Unternehmen nicht einbrechen zu lassen. Ausserdem gibt es weiterhin Hoffnung für die Verhandlungen, die weiterlaufen.

Droht ein Kurssturz wie im Herbst?
Dauerhafte Zölle und die Möglichkeit einer weiteren Eskalation wären eine grosse Belastung für die Aktienmärkte weltweit. Das Damoklesschwert einer Rezession schwebt über der Weltwirtschaft. Zwar werden die Notenbanken mit geldpolitischen Massnahmen und China mit seiner aktivistischen Wachstumspolitik versuchen, Wachstum und Börsenstimmung am Laufen zu halten. Doch ob das gelingen wird, ist alles andere als sicher. UBS (UBSG 12.14 -0.04%) erwartet, dass sich die Bewertungen der asiatischen Märkte auf einen Stand «wie in einer Rezession» bewegen würden. Die Ökonomen des Research-Hauses Capital Economics sehen die Möglichkeit, dass eine Fortsetzung des Handelskonflikts chinesische Aktien in einen Bärenmarkt stürzen könnten. BofA Merrill Lynch erwartet für die US-Unternehmen einen direkten Gewinnverlust von 3%. Die US-Börsen würden dann zumindest zeitweise um 5 bis 10% sinken. Im Falle einer weiteren Eskalation und einer Rezession wäre ein Absturz von 30% möglich.

Welche Anlageklassen sind besonders negativ betroffen?

Je geringer die Aussicht auf eine Einigung im Handelsstreit, desto stärker werden Risiken gemieden. Riskante Anlagen hängen besonders an Chinas Konjunktur. Das sieht man etwa an Minen- und Schwellenländeraktien, die eine starke Gleichläufigkeit mit der chinesischen Kreditvergabe aufzeigen. Zyklische Unternehmen wie Autohersteller haben ebenfalls schlechte Karten. Industrietitel leiden überproportional unter dem Handelskrieg. Die Konjunkturabkühlung würde sie belasten, ausserdem werden ihre Wertschöpfungsketten gestört oder können gar nicht mehr aufrechterhalten werden.

Welche Anlagen sind zu bevorzugen?
Pharma- und Basiskonsumaktien und inländisch orientierte Sektoren wie Telecom und Versorger sollten besser abschneiden als der Gesamtmarkt. Echten Wertschutz bieten aber nur Cash und Staatsanleihen. Vorsicht ist bei kleinkapitalisierten US-Titel (Small Caps) geboten. Sie werden gemäss BofA Merrill Lynch oft als inländisch-orientiert und defensiv aufgefasst. «Bei einem weltweiten Abschwung werden sie aber üblicherweise stärker getroffen als Titel von internationalen Konzernen», warnen die Analysten.

Beschreitet Trump mit den Zöllen Neuland?

Bis 2018 waren die USA eine der offensten Volkswirtschaften der Welt mit tiefen Zöllen. Über Jahrzehnte wurden die Handelshemmnisse sukzessive abgebaut. Das klare Bekenntnis zum Freihandel hat historische Wurzeln. Denn die USA machten in den 1930er-Jahren schlechte Erfahrungen mit dem Protektionismus. Mit dem Smoot-Hawley-Gesetz erliessen die Amerikaner 1930 hohe Importzölle auf fast 20 000 Produkte. Angeführt von Kanada reagierten die Handelspartner ihrerseits mit hohen Zöllen auf US-Produkte. Die US-Exporte brachen bis 1933 um mehr als die Hälfte ein. 1934 wurden die Zölle aufgehoben. Sie gelten seither als Sinnbild für eine gescheiterte Abschottungspolitik.

Was bedeutet der Streit für die Schweiz?
Der neue US-Protektionismus richtet sich in erster Linie gegen China. Die letztes Jahr eingeführten Zölle auf Stahl (25%) und Aluminium (10%) gelten aber auch für Importe aus anderen Ländern. Der Effekt für die Schweiz ist jedoch klein, haben Schweizer Unternehmen 2017 doch lediglich Stahl und Aluminium im Wert von 90 Mio. Fr. in die USA exportiert. Schweizer Stahlexporteure leiden indes unter den Schutzzöllen, die die EU auf Importe erhebt, die wegen der US-Zölle zusätzlich in die EU kommen. Höhere Zölle zwischen China und den USA treffen indirekt die Schweiz, weil sie in globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist und eine Abschwächung der Weltwirtschaft auch die Schweizer Konjunktur bremst.

Gibt es Länder, die vom Handelsstreit zwischen China und den USA profitieren?

Streiten sich zwei, freut sich der Dritte. Dieser Dritte könnte etwa das asiatische Schwellenland Vietnam sein, das dank gut ausgebildeter und günstiger Arbeitskräfte schon viele Investitionen von Unternehmen gewinnen konnte, die bisher in China produziert haben. Gegen den Trend eines geringeren Welthandelsvolumens nehmen in vielen asiatischen Ländern die Ausfuhren in die USA zu. Indien und Vietnam konnten gar insgesamt ihre Exporte steigern. Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) errechnete im Februar, dass europäische Unternehmen bis zu 70 Mrd. $ vom chinesisch-amerikanischen Handel übernehmen könnten. Der bilaterale US-China-Handel nehme ab und werde durch Handel aus anderen Ländern abgelöst. Auch Japan, Mexiko und Kanada könnten dann von den Zöllen profitieren. Brasilien konnte wegen der chinesischen Zölle auf US-Sojaimporte bereits Markteinteile gewinnen.

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