Die Führung der Genfer Privatbank stellt sich öffentlich hinter ihren Partner. Doch die Rechtsrisiken bleiben: Finma auch die Staatsanwaltschaft prüfen, ob sie Verfahren eröffnen.
So etwas hat es in der 215-jährigen Geschichte der Bank Pictet wohl noch nicht gegeben: Die Bankführung muss sich öffentlich zu einem ihrer Partner bekennen: «Wir stehen voll hinter Boris Collardi – das gilt für alle geschäftsführenden Teilhaber, und ich denke, ich kann ebenfalls für die Mitarbeitenden der Bank sprechen», sagte Renaud de Planta, Senior-Teilhaber der Bank Pictet, zur «NZZ (NZZ 5000 0%) am Sonntag».
Er will mit diesem Machtwort die Spekulationen beenden, dass Collardi zur Last der auf Diskretion bedachten Genfer Privatbank geworden sei. «Vergangenheit von Ex-Bär-Bankchef Collardi führt zu Nervosität bei Pictet», titelte zum Beispiel die Finanznachrichtenagentur «Bloomberg» Anfang März.
Im Extremfall droht Collardi ein Berufsverbot
Doch die Unruhe dürfte sich nicht mit einem Interview aus der Welt schaffen lassen. Es ist weiterhin offen, ob die eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma nach ihrem Rüffel gegen Collardis ehemaligen Arbeitgeber Julius Bär (BAER 41.49 0.19%) ein sogenanntes Enforcementverfahren gegen Einzelpersonen und damit gegen Collardi selbst eröffnet. Im Extremfall könnte die Aufsicht ein Berufsverbot aussprechen.
Unheil droht ihm auch von der Justiz. Die Westschweizer Zeitung «Le Temps» behauptete zwar am 20. Juni, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft ihre laufenden Vorabklärungen im Fall Bär zu den Akten legen würde. Die Staatsanwaltschaft selbst dementiert dies jedoch: «Basierend auf einem anonymen Hinweis vom Februar 2020, laufen bei der Zürcher Staatsanwaltschaft noch immer Vorabklärungen, ob ein Anfangsverdacht für strafrechtliches Fehlverhalten vorliegt», erklärt ein Sprecher.
«Es steht somit nach wie vor nicht fest, ob ein Anfangsverdacht für strafrechtliches Fehlverhalten vorliegt. Es ist bis jetzt denn auch kein formelles Strafverfahren eröffnet worden.» Ein weiteres Damoklesschwert also.
Schwere Mängel in der Geldwäschereibekämpfung
Collardi war Chef von Julius Bär von Mai 2009 bis Dezember 2017. Und genau in diesem Zeitraum hatte die Finma «schwere Mängel in der Geldwäschereibekämpfung» festgestellt. Vor allem im Zusammenhang mit den Korruptionsfällen um den venezolanischen Ölkonzern PDVSA und den Weltfussballverband Fifa habe es an Kontrollen der Kundenbeziehungen gefehlt, gab die Finma im Februar bekannt.
In einem zweiten Schritt prüft die Aufsichtsbehörde nun, «ob Verfahren gegen Einzelpersonen eröffnet werden.» Da sich die Zeit, in der die Kontrollmängel festgestellt wurden, mit Collardis Amtszeit deckt, liegt der Schluss nahe, dass er ins Visier der Finma geraten könnte. Laut einer Quelle könnte sich auch die US-Justiz für den Fall des venezolanischen Ölkonzerns PDVSA interessieren, denn dieser steht unter US-Sanktionen.
Finma könnte sich auch Ex-Risikochef vorknöpfen
Andere ehemalige Bär-Manager könnten ebenfalls ins Visier der Finma geraten, zum Beispiel Bernhard Hodler. Bevor er überraschend im Herbst 2017 Boris Collardi auf den Chefstuhl bei Bär folgte, diente er vier Jahre lang als Risikochef der Bank.
Hodler hat allerdings kein Amt mehr in der Finanzbranche inne. Collardi dagegen ist in den erlauchten Kreis der sieben Partner von Pictet aufgestiegen, einer der grössten Vermögensverwaltungsbanken der Schweiz. Weder die Finma noch Collardis Anwälte machen Angaben dazu, ob die Aufsicht ein Enforcementverfahren gegen den Pictet-Partner eröffnet hat.
Ein oft genanntes Argument, warum dies unwahrscheinlich sei, besteht darin, dass die Finma Collardis Wechsel von Bär zu Pictet genehmigen musste. Wenn es also persönliche Verfehlungen Collardis gegeben habe, so hätte die Finma den Wechsel wohl nicht genehmigt, heisst es.
Allerdings hatte Collardi bereits im Herbst 2017 seinen Wechsel zu Pictet angekündigt. Und laut Finma hat die Aufsicht erst im selben Jahr einen Prüfbeauftragten bei Julius Bär eingesetzt. Sprich, die Untersuchung stand bei Collardis Wechsel noch ziemlich am Anfang.
Pictet lässt sich eine Hintertür offen
Laut Experten für das Schweizer Aufsichtsrecht ist die Schwelle für ein Enforcementverfahren gegen Personen hoch. «Es muss eine unmittelbare, persönliche Verantwortung für eine schwere Verletzung des Aufsichtsrechts vorliegen», erklärt ein Gesprächspartner. Und die muss gerichtsfest belegt sein.
Schilderungen in diese Richtung gibt es aber einige in der Bankbranche. So berichtete das Finanzportal «Finews», dass Collardi regelmässig den Stichentscheid für die Annahme heikler Kunden getroffen habe, wenn es Diskussionen zwischen Beratern und der Rechtsabteilung gegeben habe. Das habe Collardi aber stets dementiert. Ein ehemaliger UBS-Banker erzählte dieser Zeitung, dass er Collardi einmal persönlich vor der Annahme eines Risikokunden aus Südamerika gewarnt habe. Dazu nimmt Collardis Anwalt keine Stellung.
Und was macht Pictet, wenn die Finma tatsächlich ein Verfahren eröffnet? Hier lässt sich Pictet-Partner de Planta eine Hintertür offen: «Wir werden die Fakten bewerten, wenn wir sie kennen.»
(Tages-Anzeiger)
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