An den Finanzmärkten wird täglich über Änderungen im Preis des Edelmetalls berichtet. Wo sich all das Gold genau befindet, bleibt aber weitgehend im Dunkeln.
Es schimmert stumm hinter den meterdicken Wänden aus Stahl und Beton. Annähernd 6400 Tonnen Gold (Gold 1263 -0.25%) schlummern hier im Tresorraum der Federal Reserve Bank of New York, dem grössten bekannten Speicher der Welt. In den Zwanzigerjahren gebaut, befindet sich die Hochsicherheitsanlage mehr als 24 Meter unter der Erdoberfläche.
Um nur schon in die Nähe der rund 510’000 Goldbarren im Wert von gut 250 Mrd. $ zu kommen, müssten Diebe zwei Monate lang durch das Felsgestein an der Südspitze Manhattans bohren. Ausserhalb des Gebäudes im Stil eines florentinischen Palazzo patrouillieren Polizisten mit kugelsicheren Schutzwesten und halbautomatischen Schusswaffen. Noch nie habe jemand versucht einzubrechen, erklärt während einer streng überwachten Besichtigung eine Fachperson, deren Name nicht genannt werden darf.
Um das Gold an der 33 Liberty Street ranken sich immer wieder Mythen. Wem genau es gehört, ist öffentlich nicht bekannt. Die Vereinigten Staaten selbst bewahren ihre Reserven in den Militäranlagen Fort Knox und West Point auf. Das Gold, das hier im Speicher der New Yorker Fed-Distriktnotenbank lagert, bewahrt sie für andere Regierungen sowie internationalen Organisationen auf.
Die meisten Barren kamen während und nach dem Zweiten Weltkrieg an, da viele Länder ihr Gold an einem möglichst sicheren Ort deponieren wollten. Mitte der Siebzigerjahre erreichte der Bestand den Höhepunkt, worauf mit der Auflösung des Bretton-Woods-Systems ein gradueller, aber stetiger Rückgang einsetzte. Er hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt. Vermutlich deshalb, weil Staaten wie Deutschland, Österreich und die Niederlande ihr Gold zurückführen. Details zu diesen Aktionen werden bislang allerdings weitgehend verschwiegen.
Eine vergessene Geschichte
Die Intransparenz ist bezeichnend, wenn es um das delikate Geschäft mit Gold geht. Das archaische Metall, das weder mit Luft noch mit Wasser reagiert und deshalb immer glänzt, ist zurück im Fokus von Investoren. Seit Anfang Jahr ist die Notierung für ein Kilogramm fast 20% auf 40 500 Fr. gestiegen.
«Die Medien berichten täglich über den Preisverlauf, womit Gold primär als Spekulationsobjekt thematisiert wird. Das ist aber nur ein Teil der Story», sagt Simon Mikhailovich. Seine Firma TBR Bullion Reserve bietet das Aufbewahren von Gold ausserhalb von Banken in privaten Sicherheitseinrichtungen rund um den Globus an, darunter auch in der Schweiz. «Für uns ist Gold in erster Linie eine reale Vermögensanlage, die weltweit als Zahlungsmittel akzeptiert ist und vor den Risiken im Finanzsystem schützt», meint Mikhailovich weiter. Wo also befindet sich all das Gold überhaupt?
«Nur schon herauszufinden, wie viel Gold tatsächlich existiert, ist extrem schwierig», sagt John Mulligan vom World Gold Council. Der Verband der globalen Goldminenindustrie schätzt, dass seit Beginn der Menschheitsgeschichte rund 187’000 Tonnen ans Tageslicht gefördert worden sind.
Weil Gold eine sehr hohe Dichte aufweist, ist das überraschend wenig. So lässt sich damit lediglich ein Würfel mit einer Kantenlänge von etwas mehr als 21 Metern füllen. Das entspricht etwa dem Volumen von dreieinhalb Schwimmbecken, in denen olympische Wettkämpfe ausgetragen werden. «Annähernd die Hälfte davon entfällt auf Schmuck, der sich hauptsächlich im Besitz reicher Familien aus China, Indien und aus der Türkei befindet», erklärt Mulligan.
Weitere bedeutende Anteile machen industrielle Verwendungszwecke und die staatlichen Reserven der Zentralbanken aus. Nachdem diese ihre Vorräte in den vergangenen Jahrzehnten fortwährend reduzierten, hat der Trend nach der Finanzkrise gedreht. Besonders Staaten aus den aufstrebenden Märkten stocken ihre Lager auf, allen voran Russland und China.
Auch die Schweizerische Nationalbank zählt zu den weltgrössten Besitzern. Das, obschon sie ihre Reserven seit der Jahrtausendwende um mehr als die Hälfte auf gut 1000 Tonnen reduziert hat. Wo genau die Schweizer Währungshüter das Gold lagern, zählt zu den bestgehüteten Geheimnissen des Landes. Im Rahmen der im Herbst 2014 abgelehnten Goldinitiative wurde immerhin bekannt, dass 70% davon im Inland, 20% in Grossbritannien und 10% in Kanada liegen.
Das Rätsel von London
Das Gold, das als Wertanlage für Investoren übrig bleibt, macht rund 38’000 Tonnen oder 20% des Gesamtbestands aus. Der grösste Teil wird in den Safes von Banken gelagert. Geografisch spielen die Finanzzentren London und New York eine zentrale Rolle, wo ein Grossteil des globalen Handels abgewickelt wird und Branchenkolosse wie J. P. Morgan Chase oder HSBC (HSBA 625.8 -0.02%) für das Trading bedeutende Speicheranlagen bewirtschaften.
Der rund 40 Mrd. $ umfassende Bestand des weltgrössten Gold-ETF von State Street (STT 71.41 0.75%) etwa ist im Londoner Safe von HSBC deponiert, über dessen Standort regelmässig gerätselt wird. Als neue Handelszentren etablieren sich zudem Hongkong und Singapur. Parallel dazu expandieren asiatische Grossbanken ins Goldgeschäft, während sich westliche Konkurrenten wie Deutsche Bank, Credit Suisse oder Barclays zurückziehen.
Fast noch mehr Diskretion herrscht, wenn es um den Goldbestand ausserhalb des Bankensystems geht. In diesem wenig übersichtlichen Bereich, der seit der Finanzkrise floriert, mischen Unternehmen wie Brink’s, Loomis, Malca-Amit und G4S vorne mit, die auf das Transportieren und das Lagern kostbarer Gegenstände spezialisiert sind. In der Schweiz führend ist in diesem Geschäft der Wertlogistiker Via Mat, der 2014 von Loomis übernommen wurde.
Wachsender Beliebtheit erfreuen sich zudem sogenannte Freeports wie die Hochsicherheitsanlage unter dem Flughafen Zürich (FHZN 184.8 -0.05%). Von Edelmetallen über Gemälde bis hin zu Oldtimer-Autos werden in diesen Einrichtungen alle denkbaren Wertgegenstände deponiert. Seit einer Betrugsaffäre am Flughafen Genf ziehen sie nun vermehrt die Aufmerksamkeit der Steuerbehörden auf sich. In der Schweiz entstanden, gibt es solche Freeports mittlerweile auch in Luxemburg, Singapur, Dubai und Hongkong.
Der Mythos Gotthard
«Die Schweiz ist sehr beliebt, wenn es um das Lagern von Gold geht. Soweit ich es abschätzen kann, gibt es kein anderes Land, in dem mehr Gold aufbewahrt wird», sagt Ludwig Karl von Swiss Gold Safe. Ein Bankschliessfach in der Schweiz gilt nach wie vor als einer der sichersten Plätze der Welt.
Daneben bietet eine wachsende Zahl von Firmen wie Swiss Gold Safe Speichermöglichkeiten an. «Genaue Daten über die Zahl der Lagerplätze existieren nicht», berichtet Karl. Man könne sich aber gar nicht vorstellen, wie viele Sicherheitsanlagen es in der Schweiz gebe. Oft werden alte Militäreinrichtungen umfunktioniert.
So nutzt die Firma den bombensicheren Bundesratsbunker aus dem Zweiten Weltkrieg im Gotthard-Massiv. «Der Gotthard strahlt bis heute Wehrhaftigkeit, Beständigkeit und Sicherheit aus. Diese Symbolik darf man nicht unterschätzen», meint Karl.
Dass die Schweiz eine bevorzugte Destination für Gold ist, hat einen weiteren Grund. Natürliche Vorkommen gibt es zwar nur in kleinen Mengen. Die letzte Mine wurde 1961 im Tessin geschlossen. Landesweit gibt es aber gleich fünf Goldraffinerien, die zu den grössten der Welt zählen.
«Wir lagern Gold nicht nur wegen der politischen Stabilität und der hohen Eigentumssicherheit in der Schweiz. Dank den Raffinerien ist sie auch ein wichtiger Handelsplatz», sagt Branchenspezialist Mikhailovich. «Wenn wir Gold verkaufen, müssen wir es so nicht zuerst um die halbe Welt fliegen, sondern können es einfach per Laster ausliefern.»
Die Raffinerien machen die Schweiz zu einer Hauptrelaisstelle für internationale Goldströme. Häufig werden Barren aus Grossbritannien und den Vereinigten Staaten importiert, zu einfacher handelbaren Kilogrammplatten oder Münzen umgeschmolzen und dann nach Indien, Hongkong, China oder Singapur exportiert.
Gemäss der Eidgenössischen Zollverwaltung sind vergangenes Jahr rund 2600 Tonnen Gold im Wert von annähernd 70 Mrd. Fr. in die Schweiz eingeführt worden. Das sind rund drei Viertel des jährlichen Fördervolumens.
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