Matthew Lovatt, Investmentspezialist von Axa Investment Managers, setzt auf die Zukunftsthemen Demografie, Wohlstandsverschiebung, Gesundheit und digitale Welt.
Herr Lovatt, wo spielt in Wirtschaft und Aktienmärkten die Musik?
Wir stellen vier grundlegende Treiber fest, die für Anleger längerfristig relevant sind und überdurchschnittliches Wachstumspotenzial bergen. Nummer eins ist das Altern der Bevölkerung, Nummer zwei das Steigen des Wohlstands in den Schwellenländern und Frontiermärkten aufgrund der stark wachsenden Mittelschicht. Die Treiber drei und vier basieren auf der technologischen Entwicklung: E-Commerce und Industrie 4.0, sprich Automation und mehr Effizienz.
Welche Vorteile bietet die demografische Alterung dem Anleger?
Mit den Baby Boomers wird die ältere Bevölkerungsgruppe in den nächsten Jahren fast explosionsartig zunehmen. Zusätzlich werden die Leute immer älter. Das bedeutet Wachstum für alles, was mit Gesundheit zu tun hat: Wellness, Medizin, Pharma, Pflege, Alterswohnungen, Seniorenheime. Die ältere Generation besitzt zudem den Grossteil der globalen Privatvermögen. Das kommt dem Wealth Management zugute – sowohl in den westlichen Ländern als auch in den aufstrebenden Regionen. Besonders in Asien wächst in raschem Tempo eine Mittelschicht heran, die zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor werden wird – Stichwort Wohlstandsvermehrung.
Wer sind die Nutzniesser dieses Treibers?
Zum Teil die gleichen wie bei der Alterung. Hinzu kommen Konsumgüteranbieter, weil die jungen Leute in den aufstrebenden Ländern ein anderes Kaufverhalten haben als die älteren. Sie stehen auf Du und Du mit dem Internet, mit Social Media, mit E-Commerce wie die Jungen bei uns.
E-Commerce sehen Sie als drittes Thema mit überdurchschnittlichen Chancen?
Genau, es geht um die wachsende Nutzung des Internets und der vielen Möglichkeiten, die die digitale Welt bietet. Der Onlineverkauf macht in keinem anderen Land so grosse Fortschritte wie in China. Vergangenes Jahr erreichte er einen Marktanteil von 17%, im Jahr 2021 werden es geschätzte 25% sein. E-Commerce wird überall wachsen, in Grossbritannien von 15 auf 20% und in den USA von 10 auf schätzungsweise 17% in vier Jahren. Nicht zu vergessen Indien, ein ganz interessanter und wie China riesiger Markt. Da steht dem Verkauf übers Internet ein Marktanteilswachstum von 4 auf 11% bevor.
Sind diese Wachstumsperspektiven in der hohen Aktienbewertung von Amazon und anderen Technologieleadern wie Alphabet, Facebook und Apple nicht bereits eskomptiert, ja überkompensiert?
Nein. Eine Studie von Goldman Sachs (GS 242.4 -0.08%) zeigt auf, dass die Angst vor einer IT-Blase wie vor der Jahrtausendwende unbegründet ist. Die Tech-Stars von heute sind mit den Favoriten von damals nicht zu vergleichen. Die Unternehmen, die Sie nennen, sind hochrentabel, besitzen immense Cashreserven und haben eine Ertragsvisibilität, wie sie früher nicht vorhanden war.
Sie würden also weiterhin investieren?
Wir sind in all den Unternehmen, die Sie genannt haben, engagiert. Im Onlineverkauf gibt es weltweit nur zwei dominante Unternehmen: Amazon (AMZN 995 0.79%) in den USA sowie in Europa und Alibaba (BABA 184.69 0.86%) in Asien. Das öffnet viel Raum für neue Anbieter, auch solche, die mit den Grossen zusammenspannen und ihrerseits mit grossem Erfolg unterwegs sind. Ein solches Beispiel ist Vakrangee in Indien. Das Unternehmen widmet sich im ländlichen Teil des Landes der letzten Meile. Es ist Schnittstelle für eine riesige, digital noch kaum erschlossene Bevölkerung. Vakrangee versorgt das urbane Indien mit Bancomaten, vermittelt Versicherungen und Kredite und erschliesst seit dem vergangenen Jahr als Kooperationspartner von Amazon das urbane Indien für E-Commerce.
Bleibt der vierte Treiber: industrielle Automation und Effizienz, was bietet er?
Im weiten Sinn geht es um die Digitalisierung und die neue Welt, die sich damit auftut. Die Robotik ist dabei ein wichtiger Trend, bei Dienstleistungen wie auch in der Industrie. Wer die Chancen der Digitalisierung richtig nutzt, steigert Effizienz, Wettbewerbskraft und Marktpotenzial. Dem digitalen Wandel kann sich niemand entziehen. Für den Investor gilt es auf der richtigen Seite zu stehen.
Wo befindet sich diese, von der Robotik abgesehen?
Bisher richtete sich der Fokus auf die Produkte, auf die Leistung, die ein Unternehmen verkauft. Das bleibt zwar wichtig, aber noch wichtiger ist die Frage: Wie interagiert ein Unternehmen mit den Kunden, welche Verkaufskanäle benutzt es? Hat es die Zeichen der Zeit erkannt, ist es flexibel genug, um rasch auf veränderte Bedürfnisse reagieren zu können?
Woran erkennt man die Gewinner, diejenigen Unternehmen, die die Transformation von der alten in die neue Welt, wie Sie es beschreiben, am besten meistern?
Es braucht dazu ein starkes Management, gute Finanzen, Innovationskraft und Flexibilität. Die Managementqualität ist so wichtig wie noch nie, denn die Anforderungen steigen laufend. Das sieht man daran, wie der Lebenszyklus von Unternehmen stetig abnimmt. Dieser Zyklus betrug Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch durchschnittlich sechzig Jahre, heute sind es zwölf.
Mit Blick auf die zahlreich entstehenden Robotik-Fonds stellt sich auch da die Frage: Wird der Bogen nicht überspannt?
Wenn ich Nein sage, dann nicht, weil wir unlängst ebenfalls einen Robotikfonds lanciert haben. Das Potenzial ist riesig. Es lässt sich an der Zahl der Roboter pro 10 000 Arbeiter ablesen. Südkorea ist mit 478 Robotern an der Spitze, vor Japan mit 314 und Deutschland mit 292. Die USA und China als grösste Volkswirtschaften liegen mit 164 respektive 35 deutlich zurück. Wollen beide nur schon das Niveau von Südkorea erreichen, steht der Automatisierung und Robotik ein gewaltiges Wachstum bevor. Aber die Digitalisierung reicht viel weiter. Es geht um die vielen Unternehmen, die diese Mittel nutzen und ihre Effizienz steigern.
Schaffen das die grossen Industriekonzerne und Finanzdienstleister, oder soll sich der Investor besser unter den kleineren, meistens flexibleren Gesellschaften umsehen?
Sowohl als auch. Unter den Grossbanken messen wir denjenigen gute Chancen bei, die sich aufs Wealth Management mit den Treibern Demografie und wachsender Wohlstand in den Schwellenländern fokussieren. In der Industrie halten wir Philips (PHIA 34.655 0.06%) und Siemens (SIE 119.7 0.04%) für Musterbeispiele, wie auch Grosskonzerne sich den technologischen Umbruch, die technologische Disruption, wie das Schlagwort heisst, zunutze machen.
Was besticht an Siemens?
Siemens bewegt sich vom diversifizierten Industriehersteller zum Konzern für ganzheitliche Lösungen. Siemens Digital Factory ist der am schnellsten wachsende Bereich mit einem Umsatzanteil von bereits 25%. Man könnte aber auch ABB (ABBN 24.37 -0.33%) nennen. Der Schweizer Industriekonzern vollzieht eine ähnliche Transformation.
Und Philips?
Philips verabschiedet sich schrittweise von der Elektronik und investiert kräftig in die Medizinaltechnologie, in den Bereich der Gesundheitschecks: zum Beispiel ein Scanner, der von Patienten im Spitalbett alle relevanten Daten online registriert und Therapien skizziert und unterstützt. Des weiteren Gesundheitsanalyse, Operationsroboter und vieles andere, was unter künstliche Intelligenz fällt.
Sie empfehlen, in Themen statt in Regionen zu investieren. Spielen Währungsräume keine Rolle?
Die allermeisten Unternehmen sind erfahren und clever genug, um mit Währungsveränderungen zurechtzukommen, sofern sie nicht schockartig sind. Auch die Depotaufteilung nach Regionen ist für mich sekundär. Wo eine Gesellschaft ihren Sitz hat, spielt in der globalisierten Wirtschaft keine grosse Rolle mehr.
Sind Aktienkäufe nach dem langen Aufschwung mit Kursen auf oder nahe am Rekord allgemein noch attraktiv?
Ich meine Ja, gerade in den Themen, über die wir gesprochen haben – diversifiziert und auf längere Sicht bestimmt.
Weshalb geht die Börsenhausse weiter?
Bei enthusiastischer Anlegerstimmung, wäre ich nervös, aber das ist nicht der Fall. Viele Investoren verhalten sich vorsichtig, was man auch verstehen kann. Die Finanzkrise 2007/08 war ein so grosser Schock, dass es bis zur vollständigen Heilung noch einige Zeit dauert. Wir befinden uns irgendwo in der Mitte zwischen Rezession und extensiver Konjunktur. 2017 ist das erste Jahr seit langem mit synchronem Wachstum. Dieser Trend hält an, und die Unternehmen sind so fit, dass sie auch einen allfälligen Zinsanstieg verkraften können. Die Gefahren für die Börsen lauern bei der Politik – Populismus, Terrorismus, Regierungen, die sich ungeschickt verhalten –, aber nicht bei der Wirtschaft und den Unternehmen.
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