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06:59 Uhr - 04.04.2016

Woran Pharma an der Börse krankt

Investoren verabschieden sich von Gesundheitstiteln, allen voran von Novartis. Sie befürchten politischen Gegenwind in den USA.

Mehr zum ThemaDer Biotech-Sektor ist noch mehr unter Druck als die Big Pharma. Lesen Sie hier den Bericht von FuW-Redaktor Michael Griesdorf.Die Kursentwicklung bei den Pharmatiteln ist miserabel. Man könnte meinen, dem Sektor stünden Umwälzungen bevor. Seit dem Höchst im Juli 2015 haben Titel von Arzneimittelherstellern deutlich an Wert verloren. Zwar zeigt sich das Börsenumfeld derzeit generell von der unfreundlichen Seite. Die Minuswerte bei Pharma waren jedoch gerade 2016 überdurchschnittlich hoch. «In einer Korrektur wird dort zuerst verkauft, wo die grössten Gewinne angefallen sind», sagt Silvano Cominelli von der Beteiligungsgesellschaft HBM Healthcare (HBMN 98.2 -1.26%).

zoom Grund dafür ist die gegenwärtige Sektorrotation bei institutionellen Investoren. Sie verlassen den lange überbewerteten Pharmasektor und ergreifen zunehmende Opportunitäten in anderen Industrien, wie zyklischer Konsum und Versorger.

zoomDamit präsentiert sich ein Klima, das Rückschläge einzelner Pharmaunternehmen bei klinischen Studien sowie die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton mit ihrem Wahlkampf noch verstärken: Mit ihrem Statement über den Kurznachrichtendienst Twitter (TWTR 15.98 -3.44%) am 21. September 2015 sagte Clinton der aggressiven Preispolitik einzelner Pharmakonzerne den Kampf an. Anleger befürchten schwindende Margen. Denn die USA gelten als wichtigster Pharmamarkt, sie sind weit marktorientierter als Europa und lassen damit höhere Preise zu.

Psychologisches Phänomen

Der aktuelle Wahlkampf verunsichert die Anleger. Zu Unrecht, finden einige Experten. Denn Medikamentenpreise sind ein besonders geeignetes Thema, um auf Stimmenfang im Wahlkampf zu gehen. «Obschon die im Vergleich zu Europa höheren Preise in den USA ein dringliches Thema sind, sollten Anleger die Wahrscheinlichkeit einer substanziellen Preisreduktion nicht zu hoch bewerten», sagt Arzt und ZKB-Analyst Michael Nawrath. Für innovative Medikamente würden in den USA nach wie vor hohe Preise bezahlt.

Der Blick in die Historie zeigt, wie stark die bestehende Preismacht im wichtigsten Markt USA ist: Der amtierende Präsident Barack Obama kündigte vor seinem Amtsantritt vor acht Jahren eine grosse Gesundheitsreform an. Er hat zwar etwa 50 Mio. einkommensschwache Amerikaner krankenversichert, Reformen zu Preissenkungen bei Medikamenten blieben jedoch aus. Der Grund: Die Pharmalobby in Washington ist einflussreich und seit vielen Jahren prominent unter den Wahlkampfsponsoren vertreten.

zoomDer gegenwärtige Preissturz bei den Pharmatiteln sei vor allem ein psychologisches Phänomen, sagt Analyst Nawrath. Die Ängste seien aber in diesem Fall übertrieben. «Die Investoren vergessen, dass sich die anfängliche Verunsicherung unter Obama oder seinen Vorgängern letztlich nie mit einer Reduktion der Medikamentenpreise bewahrheitet hat.»

zoom Analysten sehen vorerst also keine Gefahr. Die durchschnittlichen Schätzungen für den Gewinn je Aktie über die nächsten zwölf Monate für den Pharmasektor sind beinahe konstant. «Fundamental hat sich wenig zum Negativen verändert, auch wenn eine gewisse Korrektur dem biopharmazeutischen Sektor gut getan hat», sagt Cominelli von HBM. Die Bewertungsprämie (Differenz des vorwärtsgerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnisses über die nächsten zwölf Monate von Pharma zum Gesamtmarkt), die Anleger bezahlen müssen, ist deutlich zurückgekommen. In Europa wie den USA liegt sie unter dem langfristigen Durchschnitt.

zoomAuch die Titel der Schweizer Pharmakonzerne Roche (ROG 233.2 -1.48%) und Novartis (NOVN 68.5 -1.72%) leiden unter dem Verkaufsdruck an den Finanzmärkten. Doch bei beiden kommen hausgemachte Probleme hinzu. Die Novartis-Aktie schneidet im Pharmasektor am schlechtesten ab. Zu dem Verlust trugen die schlechte Performance in der Augenheilsparte Alcon im vierten Quartal 2015 sowie die Konzerngeschäftszahlen für 2015 bei, die unter den Erwartungen lagen. Auch 2016 befindet sich der Konzern in einer Übergangsphase, in der er weitere Kosten einsparen und den Turnaround bei Alcon schaffen muss.

zoomJüngst hat Novartis mitgeteilt, dass die Integration des Arzneimittelteils von Alcon in die Pharmasparte vollzogen ist und die Prognosen auf Konzernebene für das laufende Jahr unverändert bleiben. Um die Gunst der Anleger wiederzugewinnen, müssen erste Erfolge bei der Augenheilsparte folgen. Beim potenziellen Blockbustermedikament Entresto muss Novartis zudem einen markant höheren Umsatz als im vierten Quartal 2015 erzielen, um die hochgesteckten Erwartungen am Aktienmarkt zu erfüllen.

Es könnte schwierig bleiben

Auch beim Konkurrenten Roche drücken hausgemachte Probleme auf den Kurs der Valoren. Das Unternehmen hat Ende Februar einen Rückschlag bei einem Asthmamedikament mit Milliardenpotenzial erlitten. Die zulassungsrelevanten Versuche scheiterten. Ausserdem meldete die Gesellschaft einen Todesfall bei einem Patienten, der einen Roche-Prüfwirkstoff gegen Hämophilie erhalten hat. Allerdings zweifeln Analysten wie Stefan Schneider der Bank Vontobel (VONN 41.7 0.12%) in einem Research-Bericht, ob der Tod tatsächlich im Zusammenhang mit dem Präparat steht.

Vorerst könnte das Anlageumfeld schwierig bleiben. «Obwohl wir nicht damit rechnen, dass die durch den US-Wahlkampf befeuerte Preisdebatte tatsächlich zu Preissenkungen führt, erwarten wir, dass sie den Kurs der Pharmaaktien noch einige Zeit drücken wird», schreibt Schneider. «Gut möglich, dass die Situation noch einige Monate anhalten wird», glaubt auch Cominelli von HBM. Anleger müssen sich mit Zukäufen also nicht beeilen, selbst wenn die Gewinne stabil bleiben und die Bewertungen geschrumpft sind. Aktuell eine Gegenbewegung zu erwarten, wäre falsch, weil der Einfluss der US-Preisdebatte anhalten dürfte, bis bekannt ist, wer  der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin wird.

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