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07:20 Uhr - 27.09.2016

Was, wenn die Zinsen steigen?

Die flaue Konjunktur stehe einem ernsthaften Zinsanstieg im Weg. Doch wie würde die Anlagewelt aussehen, wenn die Zinsen steigen?

In einem sind sich globale Anlagestrategen einig: Viel weiter können die Zinsen nicht fallen. Die meisten gehen von einem Zinsniveau aus, dass sich im nächsten und womöglich auch noch im übernächsten Jahr nur wenig verändern wird. Die flaue Konjunktur stehe einem ernsthaften Zinsanstieg im Weg. Nur eine Minderheit der Strategen setzt sich mit dem Szenario steigender Kreditsätze auseinander. Zu ihnen gehört Peter Saacke, Chief Investment Officer (CIO) und Manager des Artemis Global Growth Fund der gleichnamigen britischen Fondsgesellschaft, die es in ihrem erst neunzehnjährigen Bestehen schon auf das erstaunlich hohe Anlagevolumen von 28 Mrd. € gebracht hat.

Die Inflationstreiber

Wann der Zinstrend kehrt, weiss auch Saacke nicht. Eher früher als später, meint er an einem internationalen Pressemeeting von Artemis in London. Für ihn sind die Anzeichen, dass der inflationäre Druck zunimmt, offensichtlich. Das würde durchaus dem Ansinnen der Notenbanken entsprechen, die alles daransetzen, ihr Inflationsziel – meist 2% oder künftig vielleicht noch mehr, wie es vorab in den USA prominente Ökonomen fordern – durchzusetzen. Saackes Argumente sind:

  • In Grossbritannien wirkt der Brexit über die drastische Pfundabwertung inflationär.
  • Weltweit wird der Ruf nach fiskalpolitischer Stimulierung als Ergänzung zur ultralockeren Geldpolitik der Notenbanken lauter. In den USA machen sich sowohl Hillary Clinton wie auch Donald Trump für eine expansivere Haushaltpolitik stark. Die Folge wären höhere Staatsausgaben und mehr Konsum.
  • «Die Lohninflation beginnt zu steigen», stellt Saacke für die USA fest, und auch in Europa hellt sich die Lage am Arbeitsmarkt allmählich auf.
  • Statt zu investieren, haben nach der Finanzkrise die meisten Unternehmen bis heute Schuldenabbau betrieben. Die Kapazitäten sind geschrumpft. Zieht die Konjunktur, wenn auch gemächlich, weiter an, entsteht rasch ein (preistreibender) Nachfrageüberhang.
  • Der Ölpreis hat sich erholt, selbst ohne Förderbeschränkung der Opec. Das deutet auf einen steigenden Energie- und Rohstoffhunger hin.
  • Die Zweifel an der Globalisierung wachsen. Politiker, die für ein Abschotten der Märkte einstehen, geniessen Sympathien. Deglobalisierung fördert Inflation.
  • Rezessionsängste sind verflogen. In grossen Schwellenländern wie China und Indien hat sich die Wirtschaft stabilisiert. Je grösser die Zuversicht für eine mehr oder minder gedeihliche Weltwirtschaft, desto mehr wechseln die Erwartungen von Deflation zu Inflation.

Für Saacke stehen die Zinsen dem Beginn einer Normalisierung näher als einem weiteren Rutsch nach unten. Das Thema werde an Aktualität gewinnen, sagt er. Anleger müssten sich auf volatile Märkte einstellen, nachdem die letzten Monate erstaunlich ruhig verlaufen seien.

Schwellenländer und Value-Aktien

Die Suche nach Rendite gehe weiter, führe aber zu weiterer Rotation. «Die höchsten Erwartungen habe ich für Emerging Markets», bemerkt er. Noch sei die Erholung bescheiden, im Vergleich zu den etablierten Märkten seien die Schwellenländer auf Vorkrisenniveau zurückgeblieben. «Das eröffnet ihnen grosses Potenzial.»

Zweitens favorisiert Saacke Value-Aktien. Auch da macht er erheblichen Nachholbedarf aus, der selbst besteht, wenn steigende Zinsen das allgemeine Marktklima eintrüben sollten: «Hinter einem Zinsanstieg steht Wachstum, und zyklische, wachstumsgetriebene Sektoren bzw. Aktien haben gelitten und sind günstig.» Value und Growth also nicht gegen, sondern miteinander, wobei das Entweder-oder schon öfters widerlegt worden ist und nur in den Köpfen hartnäckiger Finanzmarkttheoretiker weiterlebt.

Lieber GM als Tesla

Auch Jacob de Tusch-Lec, Fondsmanager des Artemis Global Income Fund, geht auf die Frage ein, was steigende Zinsen für die Anlagemärkte bedeuten. Mehr Volatilität, das ist klar, und «die Einsicht, dass Aktien, auch dividendenstarke, nicht die neuen Anleihen sind». Manche Anleger hätten sich verleiten lassen, als Ersatz für die renditelos gewordenen sicheren Anleihen defensive Aktien zu kaufen. «Aber Nestlé (NESN 76.1 -0.91%) und Unilever (UNA 40.6 -1.28%) oder deutsche Immobilienaktien, auf die sich Anleger ebenfalls gestürzt haben, sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22 und mehr so teuer, dass sie einem Börsengewitter nicht standhalten», führt er aus.

Gehörten zu den Gewinnern der letzten fünf Jahre Investments wie Immobilien, High Yield Bonds, Small Caps und defensives Wachstum, seien die Profiteure eines Beginns der Zinsnormalisierung US-Banken, inzwischen solid finanziert und wie auch die europäischen Institute unter einer engen Zinsmarge leidend, zudem Lebensversicherer, Large Caps, weil stärker global diversifiziert, schuldenfreie Unternehmen mit hohem Cashflow und – in Übereinstimmung mit Fondsmanagerkollege Saacke – Value-Aktien aus zyklischen Sektoren wie Industrie und Rohstoffe. Als Beispiel nennt er General Motors (GM 31.8 -1%), mit einem KGV von nur 5, «während alle Welt von Tesla spricht, deren Elektroautos noch keineswegs die Marktreife bewiesen haben».

Den US-Treasuries «folgt die ganze Welt»

Weil die USA ihren Zinsvorsprung behalten würden, sei auch der Dollar ein Gewinner der Zinswende, erklärt de Tusch-Lec. Den Zeitpunkt der Wende kenne niemand. Aber ein Indikator sei die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen. «Ihnen folgt die ganze Welt», sagt der Artemis-Manager.

Tatsächlich kam Hektik an den Märkten auf, als die Rendite der zehnjährigen US-Treasuries in den vergangenen Wochen von 1,25 auf 1,5% anzog. Das sind zwar nur 25 Basispunkte, aber relativ eine markante Verteuerung um ein Fünftel. Im Sog enttäuschender Konjunkturnachrichten und des Stillhaltens der US-Notenbank in der Leitzinsfrage hat sich die Rendite etwas zurückgebildet. Einen Vorgeschmack, dass die Ruhe an den Märkten nicht ewig dauern wird, bot die Zinsversteifung allemal.

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