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06:56 Uhr - 28.12.2016

Robert Shiller: «Es ist Zeit, dass die Zinsen steigen»

Robert Shiller gehört zu den Vordenkern der revolutionären ökonomischen Forschung. Der US-Nobelpreisträger sorgt sich über die Rückkehr des Populismus und sieht Anzeichen für animalische Triebe an der Börse.

Professor Shiller, Sie sind nicht nur einer der einflussreichsten Ökonomen, sondern in Ihrer Freizeit auch ein passionierter Astronom. Was würden wohl ausserirdische Wirtschaftsforscher denken, wenn sie heute zu uns auf Besuch kämen?
Ich bin davon überzeugt, dass es Zivilisationen auf anderen Planeten gibt. Bestimmt haben manche eine ähnliche Wirtschaft wie wir, mit Zinsen und spekulativen Märkten. Ökonomie ist eine Art Unterdisziplin von Mathematik und damit eine universale Wissenschaft.

Zur PersonKaum einer versteht mehr von der Psychologie der Finanzmärkte als Robert Shiller. Seit Anfang der Achtzigerjahre hinterfragt er das Dogma der effizienten Märkte und ist heute einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Verhaltensökonomie. Für seine Forschungen wurde der Professor der Eliteuniversität Yale 2013 zusammen mit Lars Peter Hansen und seinem ideologischen Gegenspieler Eugene Fama mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Der siebzigjährige Amerikaner, der in Detroit aufgewachsen ist, erwarb sein akademisches Rüstzeug an der Universität Michigan und doktorierte 1972 am Massachusetts Institute of Technology. Sein neuestes Buch «Phishing for Phools» befasst sich mit Graubereichen in Märkten. Co-Autor ist George Akerlof, mit dem Shiller 2009 bereits den Klassiker «Animal Spirits» veröffentlicht hat.Wie meinen Sie das?
Jede Gesellschaft mit knappen Ressourcen braucht Mechanismen wie Preise und Geld, um sie zu bewirtschaften. Vor fünfhundert Jahren lebte hier in der Gegend der Yale-Universität beispielsweise der Stamm der Algonquin-Indianer, deren Wirtschaft mit Muscheln als Währung funktionierte. Das klingt zwar nicht so fantastisch wie Zivilisationen auf anderen Planeten. Es zeigt aber, dass oft die gleichen Ideen entstehen, wo es intelligentes Leben gibt.

Was würden Ökonomen aus einer anderen Galaxie also über unseren Planeten sagen?
Zu den wichtigsten Entwicklungen zählt derzeit die Rückkehr von Populismus und von Demagogen in der Politik. Erklärungsansätze dafür kann die narrative Ökonomie liefern, die erforscht, wie populäre Geschichten und emotionale Schilderungen die Konjunktur beeinflussen. Auch wenn solche Narrative nicht zwingend wahr sind, können sie uns motivieren, Geld auszugeben, ein Unternehmen zu starten oder neue Mitarbeitende einzustellen. In anderen Situationen verängstigen sie uns, sodass wir mehr sparen und weniger Risiken eingehen.

Was hat das mit Populismus zu tun?
Obwohl manche Narrative haltlos sind, können sie sich wie Viren ausbreiten – etwa, dass Barack Obama in Kenia geboren worden sei und daher nicht für das Amt des US-Präsidenten qualifiziert sei. Als einer der Ersten erforschte dieses Phänomen der Franzose Gustave Le Bon, der als Begründer der Massenpsychologie gilt. In seinem 1895 veröffentlichten Buch «Psychologie des foules» spricht er zwar nicht von Viren, zumal diese damals noch nicht entdeckt worden waren. Er redet aber von Ideen-Mikroben, was im Prinzip das Gleiche ist.

Wie gefährlich sind solche Gedanken-Viren?
Schwachsinnige Behauptungen gibt es immer wieder. Durch das Internet und soziale Medien wie Facebook und Twitter können sich Gedanken-Viren heute aber epidemieartig entfalten. Bislang haben die Leute Zeitungen wie «Finanz und Wirtschaft» vertraut. Fälschlicherweise heisst es jetzt aber zusehends, dass man sich auf etablierte Medien nicht mehr verlassen könne. Die Folge davon ist ein besorgniserregender Realitätsverlust.

In den US-Wahlen hat Donald Trump solche «Fake News» gezielt genutzt. Weshalb ziehen Demagogen wie er die Leute in Massen an?
Das hat wohl mit der sich öffnenden Einkommensschere zu tun. Auch nehmen Befürchtungen zu, dass der technologische Fortschritt Arbeitsplätze vernichtet. Wer früher seinen Job verlor, konnte sich immerhin noch als Taxifahrer durchschlagen. Mit selbstfahrenden Autos ist aber auch das bald nicht mehr möglich. Zudem dringen virtuelle Assistenten wie Google Home oder Amazon Echo in unseren Alltag vor. Mich erinnert das an den Science-Fiction-Klassiker «2001: A Space Odyssey», in dem der Computer HAL alle Funktionen des Raumschiffs steuert und mit der Crew wie ein Mensch spricht (Anm. d. Red.: vgl. Seite 31). Für ein IT-Genie oder den Gründer einer Internetfirma mag das aufregend klingen. Immer mehr Leuten macht es jedoch Angst, in der heutigen Welt nicht mehr mithalten zu können.

Und was spielte das für eine Rolle bei den Wahlen?
In Amerika und in anderen westlichen Ländern fanden viele Männer aus der weissen Bevölkerung früher gute Jobs in der Industrie. Sie übten eine harte, männliche Arbeit aus, die ihnen ein solides Einkommen einbrachte. Solche Stellen gehen zusehends verloren. Das löst Frustration aus, weshalb die Betroffenen nach einem «Retter» suchen. Demagogen wie Trump nutzen das aus und schieben die Schuld für unsere Probleme auf die Globalisierung und die Einwanderung ab. Der Hauptgrund ist jedoch der Technologiewandel, gegen den sich kaum etwas ausrichten lässt.

Als Milliardär aus reichem Elternhaus hat Trump aber wenig mit Arbeitern aus der Industrie gemein.
Seine Anhänger wollen keine Almosen oder Sozialhilfe vom Staat, sondern sich wieder stark und respektiert fühlen. Genau dieses Image hat Trump mit seiner TV-Show «The Apprentice» von sich enorm wirksam verbreitet. Er verkörpert das Narrativ des mächtigen Geschäftsmannes, der Wunder vollbringt und wie ein strenger Vater zu dir ist: Irgendwann wird er dich zwar feuern. Davor gibt er dir aber noch ein paar nette Worte und einen guten Ratschlag mit auf den Weg.

Was passiert, wenn er seine Anhänger enttäuscht?
Das ist meine Befürchtung. Trump hat sich als unternehmerisches Genie verkauft. Er könnte daher denken, dass er diesem Image um jeden Preis gerecht werden muss, und so grobe Fehler begehen. Möglich ist aber auch, dass er die Leute inspiriert und unsere «Animal Spirits» weckt, also irrationale Elemente in der Wirtschaft wie Instinkte, Emotionen und Herdenverhalten. Auch das wäre denkbar, denn der Enthusiasmus, den er unter seinen Wählern entfacht hat, ist verblüffend.

Anzeichen für animalische Triebe gibt es bereits an den Finanzmärkten. So sind etwa die Renditen auf US-Staatsanleihen angesprungen. Ist die Ära der ultratiefen Zinsen vorbei?
Langfristig betrachtet bewegen sie die Zinsen nach wie vor auf tiefem Niveau. Warum, kann niemand genau erklären. Häufig wird auf die Finanzkrise von 2007/08 verwiesen. Sie ist bis heute das dominante Narrativ, weshalb alles irgendwie damit in Verbindung gebracht wird. Die Zinsen sinken aber schon seit über dreissig Jahren, sodass die Finanzkrise kaum der Hauptgrund dafür sein kann. Aus meiner Sicht hat es eher damit zu tun, dass uns die zunehmende Einkommensungleichheit und der Vormarsch der Roboter verängstigen. Das veranlasst die Leute, zu sparen und in vermeintlich sichere Anlagen wie Staatsanleihen zu investieren, wodurch die Zinsen unter Druck geraten.

Was braucht es, dass die Stimmung dreht?
Mich überrascht, dass die Zinsen überhaupt so lange auf diesem niedrigen Niveau verharrt sind. Man könnte daher meinen, dass es auch unabhängig von Trump Zeit für steigende Zinsen ist. Die US-Notenbank hat ja bereits vor den Präsidentschaftswahlen signalisiert, dass sie die Geldpolitik straffen will. Ein weiterer Faktor könnte sein, dass sich die Grundhaltung gegenüber US-Staatsanleihen ändert: Trump ist mit diversen Unternehmen in Konkurs gegangen. Auch wenn ein Zahlungsausfall bei US-Schatzpapieren unwahrscheinlich ist, könnten Investoren aus Trumps Vergangenheit schliessen, dass er Amerikas Integrität am Bondmarkt im Ernstfall kaum bis aufs Letzte verteidigen wird.

Und wie sieht es an den Börsen aus? Das von Ihnen entwickelte Kurs-Gewinn-Verhältnis zur Aktienbewertung beträgt für die USA inzwischen rund 28. So ein stolzes Niveau wurde bislang nur vor den Kurseinbrüchen in den Jahren 1929, 2000 und 2008 beobachtet.
Ehrlich gesagt weiss ich derzeit nicht recht, was ich mit US-Aktien anfangen soll. Trump will die Steuern für Unternehmen kürzen. Das ist ein direkter Stimulus für die Börse. Zweitens haben für ihn Unternehmen gegenüber Umweltvorschriften und anderen Regulierungen Priorität. Auch das spricht für Aktien. Hinzu kommt die emotionale Komponente, die Investoren zu mehr Risiko verleiten könnte. Ich kann mir daher sogar vorstellen, dass amerikanische Aktien weiter steigen, obschon die Bewertungen bereits hoch sind.

Wenn Emotionen wie Gier und Euphorie überhandnehmen, endet das in der Regel aber böse. Warum kommt es an den Finanzmärkten dennoch immer wieder zu Exzessen?
Ein wichtiger Teil dieser Dynamik hängt mit dem zusammen, was Psychologen Wunschdenken nennen. Die meisten Leute halten sich für klug und integer. Sie glauben daher in erster Linie das, was sie glauben wollen, und konzentrieren sich auf Informationen, die ihr Handeln rechtfertigen. Dadurch verändert sich unser Denken, wenn wir ein Investment eingehen.

Besonders exzessiv waren die Übertreibungen während der IT-Blase. Basierend auf Ihren Forschungen warnte US-Notenbankchef Alan Greenspan bereits Ende 1996 vor «irrationalem Überschwang». Was genau spielt sich in solchen Phasen ab?
Auch jetzt könnte es wie 1996 sein. Demnach würde die Hausse vier weitere Jahre andauern. Man darf aber nicht vergessen, auszusteigen – und das Timing zu erwischen, ist schwierig.

Wie erklären Sie sich, was sich Ende der Neunzigerjahre abspielte?
Als Greenspan von irrationalem Überschwang sprach, war das Internet bereits ein grosses Thema. Die Begeisterung nahm zu, und die Kurse stiegen weiter. Zudem stand die Welt vor einem neuen Jahrtausend. Das klingt zwar völlig irrational, zumal unser Kalender auf einer vermutlich falschen Berechnung des Geburtsdatums von Jesus beruht. Dennoch kann eine Jahrtausendwende real und wichtig erscheinen und den Herdentrieb anstacheln. Ab einem gewissen Punkt wird aber die Grenze zur Absurdität überschritten. Ich thematisierte das zu jener Zeit im Buch «Irrational Exuberance». Dabei drängte ich auf eine möglichste rasche Veröffentlichung, denn ich fürchtete, dass die Aktienkurse noch vor der Publikation einbrechen könnten.

Die erste Auflage erschien im März 2000, exakt auf dem Höhepunkt des Internetbooms. Wenn man an effiziente Märkte glaubt, dürfte es solche Spekulationsblasen aber gar nicht geben.
Das Problem ist, dass die Welt kompliziert ist. An den Finanzmärkten sind Wahrnehmung und Antizipation zentrale Faktoren. Als Investor versuche ich zu prognostizieren, wie andere Handelsteilnehmer agieren, und richte mein Portfolio danach aus. An der Börse findet also eine Art Spiel statt. Daher wäre es falsch zu glauben, dass alles stabil ist und sämtliche Informationen optimal in den Kursen eingepreist sind.

Trotzdem hat die Theorie effizienter Märkte die Wirtschaftslehre bis vor wenigen Jahren dominiert. Warum?
Gemäss der Theorie effizienter Märkte handelt zwar nicht jeder Anleger klug. Es gibt aber so etwas wie «smartes Geld». Demgemäss berücksichtigen erfahrene und gut unterrichtete Investoren stets alle Informationen und nutzen Investmentchancen blitzartig aus, wodurch Gewinnmöglichkeiten umgehend erodieren. Es fragt sich dann aber, weshalb sie sich überhaupt abmühen sollten, wenn alles ohnehin immer perfekt ist. Würden sich all diese klugen Köpfe denn nicht mit zufriedenstellenderen Aktivitäten beschäftigen wie Kunst, Musik oder Mikrobiologie? Offensichtlich ist das jedoch nicht der Fall. Daraus folgt, dass sich Geld verdienen lässt, wenn man beim Investieren einen Effort leistet und clever vorgeht.

Inwiefern sollten wir uns überhaupt auf freie Märkte verlassen?
Genau genommen hat es vollkommen freie Märkte noch nie gegeben. Das, weil Regierungen seit jeher über Regulierungen Einfluss nehmen. Das ist nicht zwingend schlecht. Dass es uns heute besser geht als früher, hat nicht zuletzt mit Regulierung zu tun. Im 19. Jahrhundert etwa wurde mit Medikamenten häufig betrogen. Besonders populär war in den USA das angebliche Allheilmittel Swaim’s Panacea. Allein schon der Name hätte skeptisch stimmen müssen. Der Etikettenschwindel flog jedoch erst mit der Gründung der Gesundheitsbehörde FDA auf. Das zeigt, dass uns Märkte nicht nur nützen, sondern auch schaden können und man stets auf Tricksereien oder Fallen gefasst sein muss.

Auch an den Finanzmärkten?
Gerade was Finanzdienstleistungen betrifft, eröffnen sich zahlreiche Gelegenheiten zur Manipulation. Ein typisches Beispiel dafür sind überhöhte Gebühren. Wer in einem Restaurant etwas zu essen bestellt, merkt relativ schnell, wie gut es schmeckt und ob der Preis gerechtfertigt ist. Bei Investmentprodukten hingegen findet man das oft erst Jahre später heraus.

Wie sollten Investoren demnach vorgehen?
Das klingt jetzt etwas abgedroschen, entscheidend ist jedoch Diversifikation. Wenn Angestellte beispielsweise in die Aktien ihres eigenen Unternehmens investieren, mag das vielleicht ein Zeichen von Loyalität sein und Ansporn geben, gute Arbeit zu leisten. Aus Sicht des Risikomanagements ist es aber genau verkehrt, denn für die meisten Menschen sind Ausbildung und Berufserfahrung finanziell wichtiger als Engagements in Aktien.

Was heisst das jetzt fürs Investieren?
Die Börse lässt sich als eine Art Absicherungsmechanismus gegen Risiken im Beruf nutzen. Der Manager eines Autokonzerns zum Beispiel müsste deshalb theoretisch sogar die Titel seines Unternehmens leerverkaufen, um sein finanzielles Risiko zu diversifizieren. Das, weil seine Karriere so stark von der Entwicklung in der Autoindustrie abhängt. Ebenso müsste man gegen den Aktienmarkt seines eigenen Landes wetten. Das erscheint allerdings so unpatriotisch, dass die meisten Leute es nicht machen. Auch ich habe noch nie gegen Amerika gewettet.

Wie legen Sie Ihr Geld denn an?
Mein Portfolio ist über möglichst viele Anlageklassen und Länder rund um den Globus diversifiziert. Mit Blick auf die Bewertungen sind europäische Aktien derzeit relativ günstig. Sie eröffnen damit auf lange Sicht bessere Chancen, weshalb ich momentan mehr Geld in Europa als in den USA investiert habe. Ich glaube also an Europas Zukunft – vielleicht auch deshalb, weil meine Vorfahren aus Europa stammen.

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