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10:48 Uhr - 25.11.2014

«Zentralbanken schaffen ein Zombie-Problem»

Ed Yardeni, Wallstreet-Urgestein, erklärt im Interview mit «Finanz und Wirtschaft», dass er die lockere Geldpolitik für die Hauptursache der weltweiten deflationären Tendenzen hält. Trotzdem setzt er auf US-Aktien.

Edward Yardeni zählt zu den bekanntesten Wallstreet-Auguren. Der langjährige Chefstratege, der unter anderem für die Deutsche Bank (DBK 25.975 1.8%) tätig war und 2007 seine eigene Researchboutique gegründet hat, äussert sich im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» über die Rolle der Notenbanken und die Aussichten für die Finanzmärkte. Yardeni trat am FuW-Anlageausblick «Opportunities 2015» auf.

Herr Yardeni, trotz ultralockerer Geldpolitik bauen sich weltweit deflationäre Kräfte auf. Werden die verlorenen Jahrzehnte Japans zum Omen für uns alle?
Japan bietet in der Tat Anschauungsunterricht. Das Inselreich hat die unkonventionelle Geldpolitik mit quantitativer Lockerung oder Nullzinsen lange vor der US-Notenbank oder der Europäischen Zentralbank eingeführt. Bisher hat’s nicht funktioniert – trotz ausserordentlicher geldpolitischer Massnahmen droht erneut Deflation. Nippon befindet sich auf dem Weg in die dritte verlorene Dekade. Mit der jüngsten Aufstockung der quantitativen Lockerung wurde der Einsatz erhöht. Ob das aufgeht, ist fraglich, denn es ist noch mehr vom Gleichen.

Warum greift die Geldpolitik nicht?
Wenn die viele Liquidität nicht inflationär wirkt, sondern im Gegenteil Deflation droht, muss man sich fragen, ob die Geldpolitik nicht der Hauptgrund für die deflationäre Entwicklung ist. Das ist ein radikaler Gedanke. In der Schule haben wir gelernt, lockere Geldpolitik sei inflationär. Geldpolitik beeinflusst aber Angebot und Nachfrage. Wegen der tiefen Zinsen wurde viel in zusätzliche Kapazität investiert.

Wirklich? Unternehmen halten sich doch mit Investitionen zurück.
Offensichtlich war die Kapazitätsausweitung im Rohstoffbereich. Als China der Welthandelsorganisation beigetreten ist, haben die Produzenten mit einem mehrere Jahrzehnte anhaltenden Superzyklus in Rohstoffen gerechnet, weil sie die starke chinesische Nachfrage weit in die Zukunft fortgeschrieben haben. Dank der tiefen Zinsen konnten Kapazitätserweiterungen problemlos finanziert werden – nicht nur bei den Minenunternehmen, sondern auch im Energiebereich.

Sprechen Sie damit den Schieferölboom in den USA an?
In der US-Ölindustrie ist eine Blase entstanden. Auf der Jagd nach Rendite ist viel Geld in diesen Sektor geflossen. Amerika ist durch die anziehende Produktion zwar unabhängiger geworden, doch investiert hatten die Unternehmen in Erwartung eines Ölpreises von 100 $ pro Fass. Das Produktionswachstum führte aber zu einem sinkenden Ölpreis und zu Verlusten in der Branche. Mich erinnert die Situation an die Technologieblase, als viele Unternehmen ihre liquiden Mittel verbrannten. Das Geld in den Kassen reicht wohl noch für ein Jahr. Danach müssen sich die Gesellschaften refinanzieren, was schwierig werden dürfte.

Vom Rohstoffsektor abgesehen wird aber kaum investiert.
Industrieunternehmen waren zurückhaltender. Trotzdem: Der Beweis für die deflationären Kräfte liegt im Preisindex. In China sinken die Produzentenpreise seit 32 Monaten. Deflation bedeutet, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt.

Warum springt die Nachfrage nicht an?
Weil die Verschuldung zu hoch ist. Deshalb reagiert die Nachfrage nicht auf die niedrigen Zinsen.

Was sollten Zentralbanken denn tun?
Als Anlagestratege halte ich mich mit Empfehlungen an die Politik zurück. Meine Aufgabe ist es, diese zu analysieren und die nächsten Schritte zu antizipieren. Zentralbanken sind von der Idee besessen, den Konjunkturzyklus glätten zu müssen. Wann immer es in den letzten dreissig Jahren an den Finanzmärkten oder in der Realwirtschaft harzte, schritten die Notenbanken sofort schmerzmildernd ein. Dadurch haben sie ein Zombie-Problem geschaffen, weil dank niedriger Zinsen zu viele unprofitable Unternehmen überleben, die eigentlich untergehen müssten. In China existieren unzählige solcher Zombie-Gesellschaften, im US-Ölsektor wohl ebenfalls.

Dazu kommt an den Finanzmärkten das Problem des Moral Hazard.
Genau. Anleger vertrauen auf den Greenspan-, Bernanke- oder Draghi-Put, was häufigere Preisblasen zur Folge hat. Die Notenbanken rechtfertigen dieses Vorgehen mit dem Vermögenseffekt, der die Wirtschaft beleben sollte.

Aber eigentlich sollten Notenbanken eine schmerzhaftere Rezession zulassen?
Ja. Zentralbanken hätten den Abbau von Überkapazitäten erlauben sollen. Nur kann ich die Geschichte nicht neu schreiben.

Nun haben die Währungshüter fast keine andere Möglichkeit, als an ihrer Politik festzuhalten?
Wie das japanische Beispiel zeigt, ist es schwierig, aus der unkonventionellen Politik auszusteigen. Deshalb bleibt nur, den Einsatz zu erhöhen, obwohl diese Massnahmen bisher nicht funktioniert haben. Die grössten Zombies sind die Regierungen, die von den rekordtiefen Finanzierungskosten profitieren. Wer wirklich ein Zombie ist, zeigt sich allerdings erst, wenn Zentralbanken die Zinsen anheben. Noch tun sie es nicht – vielleicht auch, weil sie realisieren, dass sie in einer Falle stecken. Steigende Zinsen würden die öffentlichen Haushalte belasten.

Wird die US-Notenbank Fed die Zinsen nächstes Jahr wie erwartet hinaufsetzen?
Das Fed hat drei Optionen: Es kann erstens die Normalisierung der Geldpolitik mit schrittweisen Zinserhöhungen einleiten. Darauf hoffe ich. Es ist aber auch möglich, dass bereits der erste Zinsschritt zu Verwerfungen an den Finanzmärkten führt und den Dollar über Gebühr stärkt. In diesem Fall würden die Währungshüter von weiteren Zinserhöhungen wohl absehen. Drittens könnte das Fed wegen der starken US-Valuta nichts unternehmen.

Der starke Dollar dürfte die Unternehmensgewinne belasten.
Wir haben letzte Woche unsere Schätzung für die S&P-500-Gewinne um je 5 $ auf 125 $ für nächstes und 135 $ für übernächstes Jahr gesenkt. Strukturelle Stagnation in Europa und Japan, Verlangsamung in China, sinkende Öl- und Rohstoffpreise sowie ein starker Dollar drücken auf die Unternehmensgewinne.

Wird das langsamere Gewinnwachstum zum Problem für den US-Aktienmarkt?
Die Gewinne dürften 7% steigen, was dem langfristigen Mittel entspricht. Das ist nicht so schlecht. Weil die Alternativen fehlen, wird weiterhin Geld in US-Aktien fliessen, was sogar ein das Gewinnwachstum leicht übertreffendes Kursplus erlauben würde.

Während das Fed zu straffen versucht, werden die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan expansiver. Was bedeutet diese Divergenz für die Anlagestrategie?
Zentralbanken reagieren auf die Verfassung ihrer Wirtschaft. Weil sich die US-Konjunktur erholt, denkt das Fed über Zinserhöhungen nach. Deshalb wird der Dollar stark bleiben, während Yen und Euro schwächeln. US-Aktien dürften besser abschneiden als die europäischen Märkte oder die Schwellenländerbörsen.

Wie beurteilen Sie den japanischen Markt?
Japan befindet sich auf einem anderen Planeten. Der Kollaps des Yens hat den Nikkei beflügelt. Trotzdem ist die Wirtschaft wieder in die Rezession gerutscht. Irgendwann werden sich Anleger die Frage stellen, ob sie für organisches Wachstum oder für monetäre Zaubertricks bezahlen.

Wann werden die Bewertungen zum Problem?
Der US-Markt ist nicht mehr günstig. Trotzdem können die Bewertungen weiter steigen, weil Anleger von den Zentralbanken in den Aktienmarkt gedrängt werden. Die nächste Baisse beginnt, wenn sich eine weitere Rezession abzeichnet. Das ist derzeit nicht der Fall.

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