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07:07 Uhr - 16.08.2019

«Gute Aus- und Weiterbildung ist entscheidend»

David Dorn, Professor an der Universität Zürich, ist überzeugt, dass die Schweiz den Herausforderungen der Automatisierung durch KI gewachsen ist.

Herr Dorn, ist die Angst berechtigt, dass Künstliche Intelligenz (KI) Jobs eliminiert?
KI ist ein weiterer Schritt in einer technologischen Entwicklung, die fortlaufend zur Automatisierung von Arbeitsschritten führt. Diese Entwicklung kennen wir schon seit Jahrhunderten. Die Geschichte hat uns immer wieder gezeigt, dass die Automatisierung von Arbeit keine langfristige Arbeitslosigkeit zur Folge hat.

In der Vergangenheit hat die Einführung von neuen Technologien auch neue Jobs geschaffen. Ist das heute wieder der Fall?
Es gibt keinen Grund anzuzweifeln, dass sich dies nicht wiederholt. Auch hier hilft die historische Erfahrung: In den 1970er-Jahren herrschte grosse Angst, dass Roboter die menschliche Arbeit verdrängen und Massenarbeitslosigkeit entsteht. Weder durch die Roboter noch später durch die Computer sind solche Schreckensszenarien eingetroffen.

Wie sieht es mit Einkommens- und Vermögensverteilung durch KI aus?
In den letzten vier Jahrzehnten hat die Automatisierung zu einer Polarisierung des Arbeitsmarktes geführt. Die Beschäftigung in Berufen mit mittleren Einkommen ist zurückgegangen. Gleichzeitig wurden in gut und niedrig bezahlten Jobs mehr Arbeitsplätze geschaffen.

Könnte der Saläranteil am BIP sinken?
In den letzten Jahrzehnten ist in vielen Ländern der Anteil der Arbeitslöhne am Gesamteinkommen gesunken. Bisher konnte man jedoch nicht eindeutig ergründen, ob das nun mit technologischem Fortschritt, mit Handel oder vielleicht mit einer Veränderung von Marktregulierung im Zusammenhang steht. In der Schweiz ist allerdings der Einkommensanteil der Arbeit konstant geblieben.

Welche Bereiche oder Sektoren werden wohl durch KI besonders umgekrempelt?
Bislang waren es vor allem Berufe in der industriellen Fertigung und auch Bürojobs, die an Bedeutung verloren haben. In einzelnen Branchen im Industriesektor übt die Globalisierung noch weiteren Druck aus. KI dürfte noch einmal zu einem bedeutenden Automatisierungsschritt in der Informationsverarbeitung führen, wovon z.B. der Bankensektor betroffen sein dürfte.

Wie kann sich die Schweiz in diesem Umfeld am besten positionieren?
Entscheidend ist die gute Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich über die ganze Karriere hinweg einem veränderten Arbeitsinhalt anpassen zu können. Es ist wichtig, dass die Menschen ihre Arbeitsmarktfähigkeit aufrechterhalten, sodass sie sich auch nach einem Arbeitsplatzverlust noch einmal auf ein neues Berufsfeld ausrichten können.

Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen für eine Zukunft mit KI?
Die Schweiz ist im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Wir haben insbesondere in der Berufsbildung ein System, dessen Ausbildungsinhalte relativ schnell auf veränderte Bedürfnisse der Privatwirtschaft reagieren. Ein grosser Anteil der Lehrabsolventen arbeitet mittlerweile in anderen Berufen als den erlernten. Das zeigt die hohe Flexibilität, mit der sich die Erwerbstätigen den Veränderungen des Arbeitsmarkts anpassen.

Wie verändert sich der Arbeitsmarkt als Folge des vermehrten Einsatzes von KI?
Nicht fundamental. Die Auswirkungen sind ähnlich zu dem, was wir in den letzten Jahrzehnten beobachten konnten bei der Einführung von computergesteuerten Maschinen, PC und dem Internet. Es ist ein ständiger Prozess, Unternehmen und Arbeitskräfte müssen sich an neue Produktionsformen anpassen. Eine grössere Herausforderung ist die Akzeptanz neuer Produkte und neuer Technologien.

Sind konkrete Schritte nötig, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern?
Man darf die Gefahren von neuen Technologien nicht verharmlosen. Wenn man jedoch klar dokumentieren kann, dass eine neue Technologie sicherer und wirkungsvoller ist als die bisherigen, dann sollte man das der Öffentlichkeit vermitteln.

Wird das Potenzial von KI eher über- oder unterschätzt?
Im Moment wird es überschätzt. Es gibt die Tendenz, bei faszinierenden neuen Technologien die zukünftigen Möglichkeiten zu betonen. Dabei wird zu wenig in Betracht gezogen, dass es viele Probleme bei der Implementierung gibt, welche die Verbreitung einer neuen Technologie verlangsamen.

Wie glaubwürdig ist die Prognose, dass durch KI eine massive Produktivitätssteigerung erreicht werden kann?
Man muss unterscheiden zwischen dem Niveau der technologischen Entwicklung und der Geschwindigkeit der Veränderung. Wir erreichen jedes Jahr einen neuen Höchststand beim Technologieniveau. Die Technologie, die uns heute zur Verfügung steht, ist besser als die, die wir vor zehn Jahren hatten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Geschwindigkeit der technologischen Verbesserung zugenommen hat. Die Tatsache, dass die technologische Entwicklung voranschreitet, bedeutet nicht, dass sich ihre Geschwindigkeit erhöht.

Worauf ist die mangelnde Produktivitätssteigerung trotz rasanten technologischen Entwicklungen zurückzuführen?
Es gibt gute Argumente dafür, dass es zwischen 1950 und 1970 eine viel breiter abgestützte, schnellere technologische Entwicklung gegeben hat als heute. Es gab grosse Fortschritte bei Transportmitteln, elektrischen Apparaten, und in der Medizin. Das kann sehr wohl ein Grund dafür sein, weshalb wir in früheren Jahrzehnten deutliche höhere Produktivitätssteigerungen verzeichnet haben als jetzt.

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