Zurück zur Übersicht
10:00 Uhr - 13.05.2016

Draculas Butler im Zentrum der Macht

Michel Temer folgt auf die abgesetzte Präsidentin Dilma Rousseff. Wer ist der Mann, der nun das fünftgrösste Land der Welt regieren wird?

Der neue brasilianische Präsident ist die Diskretion in Person. So verschwiegen ist Michel Temer, dass in Brasilien kaum jemand weiss, wofür der 75-jährige Verfassungsjurist politisch eigentlich steht. Dabei präsidierte er schon drei Mal das Abgeordnetenhaus und war seit 2011 Stellvertreter von Präsidentin Dilma Rousseff. In diese Position kam er als ihr Mehrheitsbeschaffer mit seiner Mitte-rechts-Partei PMDB, die er fünfzehn Jahre führte.

Doch bei seinen zahlreichen öffentlichen Auftritten ist von dem Sohn einer christlichen Einwandererfamilie aus dem Libanon selten mehr zu hören als ein paar Sätze. Aufsehen erregte nicht er, sondern seine junge, blonde Ehefrau beim Amtsantritt 2011. Sie trug den Namen ihres Gatten sichtbar als Tattoo im Nacken.

Temer haftet hartnäckig der Spitzname «Draculas Butler» an, den ihm ein politischer Gegner einst verliehen hat. Sein Reich sind die Kabinette, die diskreten Restaurants in Brasília, die Landgüter im Amazonasland, auf denen er sich mit politischen Alliierten trifft und die Strippen zieht.

Doch jetzt ist es vorbei mit der Geheimnistuerei: Schon seit Wochen spekulieren die Medien über jede Massnahme und Personalentscheidung Temers. Das exekutive Machtvakuum seiner Vorgängerin, die seit zwei Jahren nur noch mit ihrem Machterhalt beschäftigt war, muss Temer nun füllen. Die Wirtschaft setzt auf ihn. Unter der unternehmerfeindlichen Präsidentin wurde er zum Ansprechpartner für die Privatwirtschaft und ausländische Regierungen.

Die Auswahl seines Kabinetts zeigt: Temer setzt auf alte Seilschaften, zum Beispiel auf den ehemaligen Zentralbankchef Henrique Meirelles als Finanzminister. Temer hat durchgehend weisse Männer, gehobenen Alters, die ihr Leben in der Politik verbracht haben, zu seinen knapp zwei Dutzend Ministern ernannt. Keine Frau ist dabei, kein Afro-Brasilianer oder ein Vertreter mit indigenen Vorfahren. Ohne den Kongress lässt sich nicht regieren, ist sein Mantra. Er muss nun beweisen, dass er in der Lage ist, seine Alliierten zu disziplinieren, ohne dass sie in die üblichen Egoismen verfallen.

Die Brasilianer hoffen, dass Temer die gleiche Rolle spielen könnte wie der Vize beim letzten Impeachment vor 24 Jahren: Der unscheinbare Itamar Franco, dem niemand etwas zutraute, schuf damals mit seiner Übergangsregierung die Basis für den lange anhaltenden wirtschaftlichen Aufstieg Brasiliens.

Dennoch ist nicht ausgemacht, dass Temer nun bis zum Ende der Regierungszeit Rousseffs 2018 regieren kann. Bedrohlich könnte für ihn der Korruptionsskandal um den Staatskonzern Petrobras werden. Mehrere seiner Minister sind darin verwickelt, möglicherweise auch er selbst. Die Justiz hat bewiesen, dass sie nicht davor zurückschreckt, auch mächtige Politiker oder Unternehmer anzuklagen.

Temer muss jetzt schnell positive Ergebnisse liefern. Scheitert er dabei, dann hätte sogar Rousseff eine Chance, ins Amt zurückzukommen. Innerhalb von 180 Tagen muss der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit ihre endgültige Absetzung entscheiden.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.