Zurück zur Übersicht
14:24 Uhr - 21.06.2017

Michel Barnier: Der Schreck der Londoner Banker

Michel Barnier vertritt die EU in den Brexit-Gesprächen. Die Briten erinnern sich nur ungerne an den Franzosen.

Dieser Mann ist immer wieder für Überraschungen gut. Mit dem für Franzosen typischen Akzent gab Michel Barnier am Montag den Medien in Englisch Auskunft über die Ergebnisse des ersten Brexit-Verhandlungstags. Just jener Funktionär, der sich zuvor bereits zwischen 2010 und 2014 als Brüsseler ­Bürokrat par excellence gezeigt hatte und stets darauf bedacht gewesen war,
mit allen Verhandlungspartnern ausschliesslich in Französisch zu parlieren.

Michel Barnier, 66-jährig, das silbergraue Haar sauber zum Seitenscheitel gekämmt, versteht es, die Klaviatur der Diplomatie in allen Variationen zu spielen. So bissig und kämpferisch er sich vor den Brexit-Gesprächen gezeigt hatte, so konziliant und zahm zeigte er sich nach dem Treffen mit Gegenüber David Davis – zumindest gegen aussen. So sagte Barnier: «Wir wollen nichts machen, was dem Vereinigte Königreich schaden könnte.» Abseits der Kameras fielen von ihm gegenüber einem BBC-Reporter aber auch Worte wie: «Die Briten wollen austreten. Die Folgen werden spürbar sein.»

Der Schock der Briten muss gross gewesen sein, als Barnier zum Chefunterhändler in der Brexit-Frage ernannt wurde. Den Entscheid hatte Kommissionschef Jean-Claude Juncker gefällt – im Wissen darum, welchen Ruf der Franzose in London geniesst. Als «Scourge» ist Michel Barner in der City bekannt, als eine Geissel. Hinter vorgehaltener Hand wird er von Londoner Bankern auch schon mal als «meistgehasste Person» bezeichnet.

Tatsächlich ist Barnier bei manchen Briten äussserst unbeliebt, wobei der grossgewachsene Franzose damit gerne kokettiert. Es war zur Zeit der ersten grossen Regulierungswelle nach der Finanzkrise – erstmals für Aufruhr sorgte Barnier 2011 mit seiner Forderung, Leerverkäufe von Wertschriften zu verbieten. Richtigen Ärger verursachte er zwei Jahre später: Sein Vorstoss, Managerboni zu deckeln, wurde umgesetzt, auch wenn sich u.a. die gesamte City dagegen gewehrt hatte. Bezeichnenderweise hatte von den EU-Finanzministern nur George Osborne Einspruch erhoben, doch auch er konnte die Massnahme nicht verhindern. Seither darf im EU-Raum der Bonus die Höhe eines Jahressalärs nicht übersteigen.

Sein Rüstzeug hat Barnier in jahrzehntelangem Dienst im Sold des Staats erworben.  Barnier, in der Nähe von Albertville in den Savoyen aufgewachsen, stieg bereits mit 22 Jahren in die Regionalpolitik ein. Für die neogaullistische RPR zog er fünf Jahre darauf in die Nationalversammlung ein. Später übernahm er verschiedene Ministerposten, bevor er 1997 von Frankreich als Mitglied der Europäischen Kommission nominiert wurde. Während seine politische Karriere umfangreich dokumentiert ist, gibt es wenig Details über sein Privatleben. Bekannt ist nur, dass er seit über dreissig Jahren mit einer Anwältin verheiratet ist. Das Paar hat drei Kinder.

Dem Zufall ist es zuzuschreiben, dass sich die Politkarrieren von Barnier und David Davis bereits einmal gekreuzt haben. 1994 war Barnier französischer und Davis britischer Aussen­minister. Ob das helfen wird, das Gespräch trotz entgegengesetzter Positionen konstruktiv zu halten, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.