Dominik Müller, Finanzanalyst bei Rahn+Bodmer, sieht Potenzial bei Health-Care- und Medtech-Titeln. Vom Einstieg in Industrieaktien rät er ab.
Herr Müller, vergangenes Jahr haben der Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie Ängste vor einer Zinserhöhung in den USA die Jahresendrally an den Aktienmärkten verhindert. Ist in diesem Jahr alles anders?
Die Ausgangslage unterscheidet sich tatsächlich. Das Fed hat entgegen den Erwartungen die Zinsen seither zwei Mal gesenkt. Eine weitere Lockerung der Geldpolitik ist möglich. Auch in Europa und Japan sinken die Zinsen. Anleger wissen also: Es wird alles getan, um die Wirtschaft zu stützen. Das könnte weiterhin zu positiven Kursentwicklungen führen. Auch wenn es mit Blick auf die Fundamentaldaten keinen Grund gibt, auf eine Jahresendrally zu spekulieren. Schon gar nicht bei den heutigen Bewertungsniveaus.
Das schreit nach Zurückhaltung.
Es ist durchaus denkbar, dass wir im SMI einen Bewertungsrückgang um 5 bis 10% sehen. Das wäre mittelfristig aber eher eine Möglichkeit, Positionen wieder aufzubauen. Mehr als zwei Dutzend Notenbanken stemmen sich derzeit mit ihrer Zinspolitik gegen eine drohende Rezession. Und ich gehe nicht davon aus, dass der Wind dreht.
Wie lange geht das gut?
Das ist die grosse Frage. Meines Erachtens ist die aktuelle Geldpolitik verfehlt. Seit zehn Jahren versuchen die Notenbanken, die Inflation anzutreiben – und scheitern dabei kläglich. Die Realrenditen sind in vielen Märkten negativ, Sparer werden faktisch enteignet, Staatsschulden von den Notenbanken gekauft. Immerhin hat die Schweizerische Nationalbank mit ihrem Nullzinsentscheid ein kleines Zeichen gegen die ausufernde expansive Geldpolitik gesetzt.
Wie beurteilen Sie das Sentiment am Schweizer Aktienmarkt?
Die Erwartungen der Anleger und der Analysten sind rückläufig, dafür sorgen die Unternehmen mit ihrer vorsichtigen Guidance. Zwar kratzt der SMI (SMI 10032.49 -0.16%) immer wieder an der 10 000-Punkte-Marke, ein kurzfristig stärkerer Rücksetzer ist aber möglich. Zumal vom dritten Quartal nicht viel zu erwarten ist.
Das ist leicht untertrieben. Die Gewinnwarnungen bei den Zyklikern häufen sich.
Betrachtet man den MSCI World, liegen die Gewinnschätzungen für zyklische Titel für 2019 irgendwo zwischen –15 und –10%. Defensive Werte liegen zwischen 0 und 15%. Das zeigt sehr schön, was Analysten in den Bereichen erwarten. Mit defensiven Valoren ist zwar auch kein Blumentopf zu gewinnen, sie empfehlen sich aber als Absicherung.
Sie beobachten unter anderem den Energiesektor. Bieten sich da interessante Einstiegsmöglichkeiten?
Wir sehen im Energiesektor teils massive Renditedifferenzen, die sich nutzen lassen. Öl und Gas haben wir deshalb übergewichtet. Die geopolitischen Spannungen könnten den Ölpreis kurzfristig sogar beflügeln.
Empfehlen sich einzelne Serviceunternehmen wie Halliburton (HAL 18.3 -2.14%) oder Schlumberger?
Da rate ich zur Vorsicht. Die grossen Öl- und Gasunternehmen halten sich derzeit mit Investitionen zurück. Zumal sie Onshore-Projekte momentan günstig entwickeln können und die gesamte Förderung extrem effizient geworden ist. Für Schlumberger und Konsorten bedeutet das, dass sie frühestens Mitte 2020 wieder mit mehr Aufträgen rechnen können. Wir setzen deshalb auf integrierte Öl- und Gasunternehmen, die neben dem Raffineriegeschäft auch Tankstellen betreiben und in der petrochemischen Industrie tätig sind.
Shell und Total (FP 46.5 -0.15%) also?
Beide sind wegen ihrer Bewertung interessant. Shell und Total profitieren verstärkt vom Wechsel von Kohle (Kohle 67 0%) zu Gas, da sie ihr Geschäft entsprechend ausgerichtet haben und mit der Gasproduktion stark wachsen. Zudem investieren sie in die Stromproduktion und versuchen damit, sich dem längerfristigen Trend zur Elektromobilität anzupassen. Gas wird zumindest in Europa auf lange Sicht kein Wachstumsmarkt sein.
Deutliche Schwächezeichen zeigt der Industriesektor. Der Einkaufsmanagerindex hat sich zuletzt zwar gefangen, doch der Abwärtstrend scheint ungebrochen. Kein gutes Umfeld für Investoren.
Das stimmt. Allerdings empfehlen wir diverse Titel zum Halten, beispielsweise die Valoren von Schindler (SCHP 225 0%), die durch ihre Diversifikation weg vom Lift- und Rolltreppengeschäft positiv auffällt. Auch ihr verstärkter Fokus auf die Sparte Zugangssysteme dürfte sich bezahlt machen, zudem holt Schindler in China auf. Georg Fischer (FI-N 914 1.27%) sind ebenfalls interessant. Das Unternehmen ist sehr gut aufgestellt. Besonders im Bereich Machining Solutions sind die Aussichten langfristig intakt. Geberit (GEBN 480.2 0.54%) empfehlen sich ebenfalls zum Halten, auch wenn sie nach wie vor kein Schnäppchen sind.
Kein einziges «Strong Buy»?
Nicht im Industriesektor, nein.
Wie steht es mit der Fracht- und Logistikbranche?
Das Sentiment ist in der Branche nicht besonders gut. Am besten schneidet da noch Kühne + Nagel (KNIN 148.8 0.07%) ab. Der Logistiker konsolidiert den Markt, hat eine top Logistikplattform und fokussiert auf die gewinnbringenden Frachtrouten. Natürlich ist auch die Bruttomarge von Kühne + Nagel unter Druck, daran dürfte sich in absehbarer Zeit auch wenig ändern. Aber das Unternehmen ist operativ gut aufgestellt und kann so trotzdem eine ansprechende Umsatzrendite vorweisen. Zu mehr als einem Halten reicht es aber nicht.
Wo sind Sie derzeit übergewichtet?
Uns gefallen die Bereiche Health Care und Medtech mit Fokus auf kleine Unternehmen. Ypsomed (YPSN 142 -0.98%) ist so ein Kaufkandidat. Bei Straumann (STMN 860.4 -0.07%) glauben wir an eine Fortsetzung der Erfolgsstory. Der Dentalspezialist ist in starken Wachstumsmärkten wie dem Markt mit transparenten Aligners positioniert, wir erwarten für die nächsten Jahre zweistellige Wachstumsraten. Auch Siegfried (SFZN 387.5 0.78%) hat weiterhin grosses Potenzial.
Roche (ROG 285.7 -1.57%) und Novartis (NOVN 86.4 0.08%) lassen Sie links liegen?
Nein, wir mögen Roche und Novartis. Ein klarer Kauf sind sie aber nicht. Novartis bröckelt etwas. Trotz starker Pipeline bekommt sie ab 2022 ein Problem mit dem Ablauf von Patenten im Bereich Small Molecules, wo die Konkurrenz mit Generika bereitstehen wird. Roche arbeitet mehr mit grossen Wirkstoffmolekülen, die komplexer sind. Entsprechend brauchen Biosimilars länger, um den Markt umzugraben, und weisen dabei geringere Preisabschläge auf. Roche hat daher kurzfristig das Potenzial, positiv zu überraschen.
Mit dem Fokus auf Health Care und Medtech stehen Sie nicht allein da. Ist der Markt derzeit so fantasielos?
Natürlich kann man in Barry Callebaut (BARN 2078 -0.67%) und Nestlé (NESN 106.06 0.11%) investieren. Damit macht man nichts falsch. Auch Finanztitel sind eine Option, obwohl wir von Bankwerten wenig halten. Besser gefallen uns die Versicherer Swiss Life (SLHN 485 0.27%) und Swiss Re (SREN 102.2 -0.68%). Vor allem Swiss Life bieten sich an. Ihre Dividendenrendite ist überaus attraktiv.
Das Problem mit gut laufenden Titeln ist das extrem hohe Bewertungsniveau. Das riecht stark nach Preisblase.
Das Problem mit den hohen Bewertungen haben wir tatsächlich überall. Egal, welche Märkte wir anschauen, die Preise sind in der Regel eine Standardabweichung über dem langfristigen Mittelwert. Spezifische Blasenbildung in Einzeltiteln sehen wir aber vor allem bei gewissen Börsenneulingen. Beispielsweise beim Fleischersatzproduzenten Beyond Meat. Die Story ist zwar spannend. Aber das Zwanzigfache eines geschätzten Umsatzes zu bezahlen, ist dann doch übertrieben.
Machen es die Schweizer Börsennovizen besser?
Stadler Rail (SRAIL 46.4 0.3%) ist moderat gestartet, was uns gefällt. Auch SIG Combibloc (SIGN 14.2 0.85%) überzeugt. Beide haben wir in unserem Portfolio.
Welche Instrumente empfehlen Sie zur Diversifikation?
Es ist nie falsch, einen Teil des Portfolios auf Obligationen auszurichten. Unternehmensanleihen mit Triple-B-Rating oder besser sind eine gute Ergänzung. Grössere Risiken würden wir derzeit nicht empfehlen. Auch weil die Renditedifferenz bei Anleihen unter Triple-B-Rating kleiner geworden ist und sich das Zusatzrisiko damit nicht lohnt.
Die Unze Gold (Gold 1489.95 0.59%) notiert derzeit um die Marke von 1500 $. Ein guter Zeitpunkt, um Goldpositionen abzubauen?
Die Grenzkosten der Goldförderung zeigen wieder nach oben und liegen derzeit über 1300 $ pro Unze. Langfristig wird der Preis im Bereich der Grenzkosten oder darüber liegen. Beim Gold treibt ein steigender Preis immer auch die Nachfrage der spekulativen Investoren. Gold-ETF verzeichnen daher einen Rekordumsatz. Ein Überschiessen des Goldpreises gegen 1800 pro Unze ist deshalb kurzfristig immer mal möglich. Beim jetzt erreichten Niveau ist aber Vorsicht angebracht.
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