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06:55 Uhr - 20.06.2017

Pictet-Partner: «Wachsende Gefahren des Indexierens»

Renaud de Planta, Partner und Chairman von Pictet Asset Management, warnt vor verzerrten Finanzmärkten und Oligopolstrukturen in der Branche.

Mehr und mehr Anlagegeld wird passiv investiert. Die Gründe dahinter leuchten ein: Indexfonds, zu ihnen zählen auch an der Börse handelbare Vehikel (Exchange Traded Funds, ETF), sind kostengünstig und erlauben Anlegern eine effiziente Investition in einen Index. Aktiven Fondsmanagern gelingt es ohnehin nur selten, über lange Zeiträume und nach Abzug ihrer Kosten systematisch den Gesamtmarkt zu schlagen. Doch Renaud de Planta warnt – unter anderem in einem Aufsehen erregenden Kommentar in der «Financial Times» vor wenigen Wochen – vor dem Siegeszug der passiven Manager. Je mehr Anlagekapital passiv investiert wird, desto grösser werden die Preisverzerrungen und desto ineffizienter werden die Märkte, sagt der Partner der Genfer Privatbank Pictet.

Herr de Planta, Sie warnen vor der Gefahr des passiven Investierens. Wieso?
Das Ausmass dieser Lawine nimmt Proportionen an, die systemrelevant sind. Früher glaubten viele, das wird sich legen. Die Indexierung nimmt aber weiter zu. Und erst jetzt kommen die ersten akademischen Studien, welche mögliche Nebenwirkungen aufzeigen.

Was soll am Index-Anlegen schlecht sein?
Die Geldflüsse nach der Finanzkrise sind exponentiell gestiegen. In US-Aktien haben Indexfonds und ETF kumuliert einen Marktanteil von 45%, bei anderen Assetklassen ist es weniger. Wenn man das etwas naiv extrapoliert, und gleiche Besitzverhältnisse bei segregierten Mandaten annimmt, würden Indexfonds im Jahr 2028 sämtliche US-Aktien halten.

Die Prämisse des passiven Investierens ist, dass die Märkte weitgehend effizient sind und es mit aktiven Strategien kaum über lange Zeit möglich ist, den Markt zu schlagen. Ist diese Annahme falsch?
Nein. Aktive Anlagefonds schneiden im Branchendurchschnitt tatsächlich schlechter ab als der Index. Schon rein wegen der Kosten ist das logisch – eine Art Tautologie. Aber wenn Sie aktive Manager nicht mit dem Index sondern mit dem passiven Pendant, also dem Index-ETF, vergleichen, dann sieht es besser aus, weil auch Passive Kosten haben.

Aktive Manager haben lange hohe Gebühren erhoben. Haben sie nicht damit den Siegeszug der Passiven erst ermöglicht?
Ja, lange waren die Gebühren hoch und sie sind es teilweise noch. Ein Teil des Erfolgs der Indexierung lässt sich auf die Kosten zurückführen. Die derzeitige Phase von niedrigem Wirtschaftswachstum und geringen Renditen erhöht den Druck, die Kosten im Asset Management zu senken.

Indexfonds haben über Jahre ihre Kosten gesenkt, bei den aktiv verwalteten Fonds ist das nicht im gleichen Mass erkennbar.
Das ist der entscheidende Punkt, es geht um die Grenzkosten. Jeder aktive Manager hat eine Kapazitätsgrenze, irgendwann mal kann er kein Geld mehr akzeptieren. Seine Grenzkosten sinken, aber nicht permanent. Bei einem passiven Manager ist das anders, er hat andere Skalenerträge. Er muss vor allem am Anfang viel investieren, was wir auch bei unseren eigenen passiven Strategien feststellen. Passive Manager können diese tieferen Stückkosten sehr schnell an die Kunden weitergeben, und das erlaubt ihnen, Marktanteil zu gewinnen. Das führt mit der Zeit zu einem natürlichen Monopol. Schauen Sie die Marktanteile der drei grössten Anbieter an. Global verwalten sie über 70% der passiven Anlagen, Tendenz steigend.

Sie meinen BlackRock, Vanguard und State Street?
Na ja, eigentlich sind es vor allem die Big Two. Die haben mehr Marktanteil gewonnen. Es gibt de facto ein Oligopol.

Ist denn in Ihren Augen der Marktführer BlackRock für das globale Finanzsystem von systemrelevanter Bedeutung?
Die grossen Asset-Manager sind nicht im gleichen Sinne systemrelevant wie etwa Grossbanken. Sie sind ja keine Gegenpartei, keine Prinzipale, sondern Agenten. Ich beurteile sie in einem anderen Sinn als systemrelevant: Sie haben eine Machtkonzentration, die die Unternehmen beeinflusst. Wenn ein CEO eines Unternehmens unter den grössten drei Aktionären drei Indexfonds zählt, wird er sich anders verhalten als wenn ein Aktivist anklopft. Das ist ein schleichender Prozess, der zu Veränderungen im System führt.

Ist in Ihren Augen jetzt schon ein kritischer Punkt erreicht?
Man muss sich über die längerfristigen, auch wirtschaftlichen Konsequenzen bewusst sein. Es geht nicht um Gewinner und Verlierer. Kaum jemand spricht über die Konsequenzen der Liquiditätsverteilung während des Tages im Aktienhandel oder über die Indexvolatilität, die bei grossen Marktbewegungen sprunghaft zunehmen wird. Beides betrifft die Finanzmarktstabilität. Die Europäische Zentralbank schreibt im jüngsten Stabilitätsbericht, sie sehe die Gefahr, dass dereinst ETF die Preise bestimmen, und die Aktien bloss eine Art Derivat der ETF sind, nicht umgekehrt. Aufsichtsbehörden beginnen also, sich Gedanken zu machen.

Welche weiteren wirtschaftlichen ­Konsequenzen sehen Sie?
Zu viel Indexierung verzerrt die Bewertung und schwächt die Preisfindung. Eine Indexzugehörigkeit kann zu permanent höheren Marktwerten einer Aktie führen im Vergleich zu solchen, die nicht im Index sind. Das verzerrt auch das Beta, das Marktrisiko, welches für die Berechnung der Kapitalkosten eine grosse Rolle spielt. Je mehr Geld in passive Fonds fliesst, desto grösser ist der Effekt. Das stützt sich auf empirische Studien, die auf Daten der letzten fünf bis zehn Jahre basieren. In dieser Zeit war der Anteil indexierter Gelder noch geringer als heute.

Die Kapitalallokation wird verfälscht?
Würden im Extremfall alle indexieren, würden alle neu emittierten Aktien und Obligationen ohne Risiko- und Renditeüberlegung gekauft. Die Kurse hätten keinen Informationswert mehr, das Angebot schaffte die Nachfrage. Das führt zur Fehlallokation von Kapital im grossen Stil.

Aber das ist doch primär ein Problem mit dem Aufbau der Indizes.
Ja, das ist das Dilemma der marktgewichteten Indizes. Das Gewicht von Japan in Staatsanleihenindizes ist heute rund 22%. Als das Land wenig verschuldet war, mit einem Triple-A-Rating und hohem Wachstum, war das Gewicht nur gegen 10%. Heute ist das Land hoch verschuldet, mit einem entsprechend hohen Indexgewicht. Das ergibt doch keinen Sinn.

Dieser Punkt betrifft Bond-Indizes. Aber ist an den Aktienmärkten die Marktgewichtung nicht etwas weniger problematisch?
Das stimmt. Wenn Sie sich aber eine Welt vorstellen, in welcher praktisch alle passiv investieren, kommt es fast auf das Gleiche heraus. Ich habe kürzlich mit einem Tech-Unternehmer in Nordamerika gesprochen. Er hat mir gesagt, dass bei einem allfälligen Börsengang wegen der Indexfonds bereits 35 bis 40% der Aktien verkauft wären, ganz ohne Roadshow.

Sehen Sie denn bereits klare Anzeichen, dass die Märkte ineffizienter werden?
Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt. Aber wenn alle indexieren, sind die Preise nicht mehr effizient. Dann ist das Argument für passive Anlagen nicht mehr gegeben. Wir nähern uns einem unstabilen Gleichgewicht.

Wo ist denn dieser Punkt, an dem es dreht?
Ich weiss es nicht, wir betreten Neuland. Es gibt keine empirische Studie oder praktische Erfahrung, auf die man zurückgreifen kann. Ich sehe eine Parallele zur Medizin: Wenn Antibiotika moderat eingesetzt werden, können sie Leben retten. Wenn aber zu viele Leute Antibiotika nehmen oder gar präventiv einsetzen, dann schafft dies Resistenzen und ein Systemrisiko.

Aber angenommen, die Finanzmärkte werden wegen zu vielen passiven Investoren ineffizient: Das würde doch automatisch neue aktive Manager anziehen, die diese Ineffizienz ausnutzen. Oder nicht?
Das würde man hoffen, aber es ist nicht klar, dass das passiert. Wenn sich die Marktliquidität aufgrund der Passivierung verschlechtert, werden die effektiven Transaktionskosten für aktive Manager möglicherweise sehr hoch. Es ist nicht sicher, dass in einem solchen Umfeld ein aktiver Manager seine Ideen kostengünstig genug umsetzen kann, damit eine Überrendite bleibt.

Sie haben die Konzentration der Branche angesprochen. Wieso ist sie ein Problem?
Wenn Sie die drei grössten passiven Anbieter als einen einzigen Investor anschauen, wären diese Ende 2015 gewichtet mit der Marktkapitalisierung in 78% der 3900 kotierten US-Unternehmen grösster Aktionär mit einem Anteil von 17,6% gewesen. Nur in Einzelfällen wären sie zusammen nicht unter den Top-3-Aktionären.

Nochmals: Wieso ist das ein Problem?
Weil das zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Nehmen wir das Beispiel der US-Airline-Industrie. Die drei grossen Indexierer halten 23% aller Aktien der Branche, also American, Delta, Southwest und United. Und je grösser der Anteil der Indexfonds an diesen Airlines, desto mehr schwächt sich auf gewissen Routen der Preisdruck ab. Denn wenn zwei Unternehmen denselben bestimmenden Aktionär haben, sehen sie keinen Grund, sich auf einen Preiskampf einzulassen. Das ist nicht im Sinn des freien Marktes.

Das stimmt doch für alle Eigner, die mehrere Unternehmen in derselben Branche besitzen, inklusive aktive Fondsmanager.
Ja, aber im Unterschied zu passiven Fonds wählt der aktive Fondsmanager innerhalb einer gegebenen Branche typischerweise das beste Unternehmen aus. Und er will, dass dieses den meisten Gewinn erwirtschaftet. Indexmanager haben objektiv gesehen keinen Anreiz, den Profit eines einzigen Branchenplayers zu maximieren. Sie wollen den Profit der ganzen Branche maximieren. Das führt zu einem ganz anderen Verhalten als Aktionär – und längerfristig zu oligopolistischen Tendenzen.

Die Passiven sind doch neutral. Ihnen ist es egal, welches Unternehmen besser ist, sie kaufen einfach entsprechend dem Index.
Wenn es so weitergeht und die drei grössten Indexfondsanbieter Kontrollmehrheiten oder Sperrminoritäten halten, dann spielen sie als Aktionäre eine wichtige Rolle. Sie verlieren somit ihre Neutralität.

Sie glauben, die passiven Fonds haben eine Agenda?
Nein. Ich glaube, sie haben zu Beginn nicht einmal darüber nachgedacht. Das Thema der Wettbewerbsverzerrung ist nun in der Airlinebranche nachgewiesen worden, es gibt eine ähnliche Studie im Bankgeschäft. Man kann davon ausgehen, dass das Muster in anderen Branchen wie Telecom oder Versorger auftaucht. Hätten die drei Schweizer Telecomanbieter alle den gleichen Eigentümer, sähen wir keinen Preiswettbewerb mehr.

Wie wollen Sie den Trend des passiven ­Investierens bekämpfen?
Man müsste aufhören mit Regulierungen, welche die Indexfonds fördern. In den USA zum Beispiel sind Aktionäre mit über 10% Stimmrecht in ihren Handelsaktivitäten stark eingeschränkt. Diese Einschränkung gilt für aktivistische Investoren. Manager von Indexfonds sind davon ausgenommen, obwohl sie unter Umständen einen deutlich grösseren Aktienanteil besitzen. Zudem bin ich der Meinung, dass in der Vorsorgebranche der Kostenfokus zu stark Überhand genommen hat.

Wie meinen Sie das?
Der Fokus auf den besten Preis zwingt US-Pensionskassen praktisch dazu, in Index-ETF zu investieren. Das ist wie eine Hilfe für Index-ETF. Denn man redet nur noch über Kosten, aber nicht über Systemrisiken und Anlageerträge. Auch in der Schweiz ist der Druck vorhanden: Die Pensionskassen werden immer mehr gezwungen, in Anlagen mit niedrigen Kosten zu investieren, obwohl man heute mit den Negativzinsen und hohen Bewertungen der Aktien vielleicht mehr in andere Bereiche anlegen müsste, etwa in alternative Anlagen, die aber höhere Kosten mit sich bringen.

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