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06:53 Uhr - 19.01.2016

So reagieren Anlagechefs auf das Börsenbeben

Der schlechte Start ins Börsenjahr 2016 hat auch die Anlagechefs von Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern überrascht. Wie und wo sie sich nun positionieren.

Ein paar wenige Handelstage genügten, um die Jahresprognosen der Börsenexperten vorerst Makulatur werden zu lassen. Innerhalb von zwei Wochen tauchten sowohl der amerikanische Leitindex Dow Jones (Dow Jones 15988.08 -2.39%) wie auch der Swiss Market Index SMI (SMI 8099.08 -0.1%) über 8%. Läuft an den Börsen bloss eine Korrektur – oder ist es gar der Anfang eines Bärenmarktes? Sollen Anleger die günstigeren Notierungen zum Einstieg nutzen, oder soll man «alles verkaufen», wie die Royal Bank of Canada jüngst verkündet hat?

Darüber sprachen am Montagabend die vier Anlagechefs Anne Richards (Aberdeen Asset Management), Michael Strobaek (Credit Suisse (CSGN 18.4 -1.66%)), Guido Fürer (Swiss Re (SREN 92.45 -0.16%)) und Christoph Schenk (Zürcher Kantonalbank) an einem von «Finanz und Wirtschaft»-Chefredaktor Mark Dittli moderierten Roundtable im Zürcher Edelhotel Baur au Lac, der von Aberdeen Asset Management organisiert wurde.

Auslegeordnung

«Primär müssen wir uns fragen, was zugelassen hat, dass das Börsensentiment plötzlich so schwach geworden ist», sagte Anne Richards. Aus ihrer Sicht gibt es derzeit viel mehr positive als negative Anzeichen. «Der Internationale Währungsfonds hat seine letztjährige Prognose für China nicht verändert, Griechenland profitiert – leider – von den Problemen, die sich in der Türkei und dem Nahen Osten abspielen, die Ukrainekrise ist aus unseren Köpfen verschwunden, und der tiefe Ölpreis wird die Wirtschaft weiter stimulieren», so Richards.

Auch nach der jüngsten Korrektur sieht Michael Strobaek die Börsen noch immer im Aufwärtstrend. «Wir befinden uns im aktuellen Zyklus im dritten Viertel, kurz vor dem letzten Abschnitt», sagte der Anlagechef der Credit Suisse. Die aktuelle Entwicklung bestätigt seine Ansicht: «In einer reiferen Bullenmarktphase müssen Anleger vermehrt Efforts leisten, um Rendite zu erhalten», so Strobaek. Das funktioniere nur im Zusammenspiel mit höheren Kursschwankungen.

Christoph Schenk sieht nach den jüngsten Korrekturen vor allem eines: Kaufkurse. «Es gibt derzeit weder Alternativen zu Aktien noch gute Gründe, abseitszustehen», sagte er. Derzeit würden die Anleger in erster Linie Gründe suchen, die für den Verkauf von Aktien sprächen. Im Markt sei zu viel Pessimismus.

Kaufen – oder verkaufen?

Durchs Band weg berichteten die Anlagechefs von jüngst stabilen bis leicht erhöhten Aktienquoten – mit Ausnahme von Fürer, der für die Swiss Re hauptsächlich Obligationen bewirtschaften muss. Aberdeen Asset Management hat den Aktienanteil um 1,5 Prozentpunkte erhöht, Credit Suisse ist bei Aktien neutral eingestellt, und die Zürcher Kantonalbank bleibt «konstruktiv», vor allem bei europäischen Dividendenpapieren.

Auch bei anderen Anlageklassen hat es jüngst Anpassungen gegeben. Aberdeen Asset Management hat die Cash-Position um 2,5 Prozentpunkte reduziert, dafür den Immobilienanteil im gleichen Ausmass erhöht. Swiss Re hat zuletzt den Anteil an Staatsobligationen verringert und ist bei High Yield Bonds generell vorsichtiger. Credit Suisse hat Obligationen untergewichtet, wobei der Fokus auf Investment Grade sowie Inflation Linked Bonds gelegt wird. «Unserer Ansicht nach wird das Inflationsrisiko vom Markt unterschätzt», so Strobaek.

Wo die grössten Chancen liegen

Für ZKB-Vertreter Schenk ist der Fall klar: «Europäische Aktien ja, US-Titel nein.» Die tiefere Bewertung, das unterstützende Quantitative Easing der Europäischen Zentralbank und das «nicht so schlechte» Wachstum würden für Europa sprechen.

Anne Richards sieht bei den zuletzt gebeutelten Schwellenländeraktien gute Chancen auf eine Kurserholung. Zudem setzt sie derzeit auf Value-Aktien sowie europäische High-Yield-Obligationen. «Nach der Korrektur infolge der Angst vor Ausfällen im Energiesektor sehen wir ein Aufholpotenzial», sagte sie.

Credit Suisse bevorzugt Aktien aus den Sektoren Healthcare, Informationstechnologie und Telecom. Wie die Zürcher KB setzt sie hauptsächlich auf europäische Werte, sieht aber auch gute Chancen bei Schweizer Titeln. Ebenfalls Kaufmöglichkeiten erkennt sie in Australien, wo sie eine erhebliche Unterbewertung feststellt. Die Regionen USA und Grossbritannien bleiben untergewichtet.

Und die Risiken?

In einem Punkt ist sich das Quartett einig: Das Umfeld ist zusätzlich fragiler geworden. Nicht nur die Angst vor einem aus China importierten Deflationsschock beschäftigt die Anlageexperten, sondern auch die Entwicklung im Nahen Osten und auf der Arabischen Halbinsel. Zum Beispiel bedingt durch den Sturz des Ölpreises. «Tiefere Ölpreise sind nicht negativ für die Wirtschaft», meinte etwa Swiss-Re-Anlagechef Guido Fürer. Das Problem sei die Geschwindigkeit gewesen, mit der die Notierungen gefallen seien.

Aber auch in Europa werden potenzielle Risiken geortet. Noch in diesem Jahr soll in Grossbritannien die Abstimmung über den Verbleib in der Europäischen Union stattfinden. Käme es zum Brexit, wären die Folgen für Europa und Grossbritannien derzeit nur vage abschätzbar. Noch nicht bewältigt ist die enorme Flüchtlingswelle, die noch immer in Richtung Europa strömt.

Und Russland, das weiterhin unter den Wirtschaftssanktionen leidet? «Nicht auszuschliessen, dass Russland bei einer weiteren Verschlechterung der konjunkturellen Lage aussenpolitisch einen aggressiveren Kurs einschlägt», sagte Strobaek.

Dennoch sind die Anlagechefs überzeugt, dass die Opportunitäten die Risiken deutlich überwiegen. Aus langfristiger Sicht müsse man zu den heutigen Niveaus Aktien kaufen, sagte Anne Richards abschliessend.

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