Steven Yang, Chefstratege für chinesische Aktien des Hongkonger Brokerhauses CLSA, relativiert die Folgen des Handelsstreits. Die Wirtschaft werde positiv überraschen.
Herr Yang, chinesische Aktien stehen seit Anfang Jahr unter erheblichem Abgabedruck. Sehen sie hier Parallelen zum Börsencrash von Mitte 2015?
Nein. Doch haben der von der Regierung vorangetriebene Schuldenabbau, der jüngst deutlich an Aussenwert verlierende Yuan und der schärfer werdende Handelsstreit mit den USA bei ausländischen Investoren Fragen über die Stabilität der chinesischen Wirtschaft aufkommen lassen. Solche Befürchtungen sind aber übertrieben. Die Wirtschaft hat sich bisher bemerkenswert gut an das sich verändernde interne und externe Umfeld angepasst. Die im Juli beschlossenen fiskalpolitischen Massnahmen stützen zudem das Wachstum. Das laufende Schuldenreduzierungsprogramm ist damit nicht ausgesetzt, sondern fürs Erste auf neutral geschaltet worden. Damit sind auch die Investoren risikofreudiger geworden.
Bei Anlegern hat die anhaltende Schwäche des Yuans Ängste ausgelöst. Wie gross schätzen Sie die Gefahr eines beschleunigten Abflusses von Kapital ein?
Dieses Thema sorgte wegen des sich verschärfenden Handelsstreits der USA mit China für Unruhe. Es muss aber festgehalten werden, dass sich der Dollar nicht nur zum Yuan, sondern auch gegenüber anderen Schwellenländerwährungen deutlich aufgewertet hat. Aus dieser Sicht ist der Yuan relativ stabil geblieben. Zudem gewinnen exportorientierte Sektoren dank eines stärkeren Dollars im Ausland sogar an Wettbewerbsfähigkeit.
Ist das Szenario eines eskalierenden Handelsstreits in den Preisen chinesischer Aktien enthalten?
Mehr oder weniger schon. Es muss dabei festgehalten werden, dass der Handelskonflikt im Rahmen der bereits in Kraft getretenen Massnahmen nur gerade 0,1 bis 0,2% des chinesischen Bruttoinlandprodukts kosten wird. Damit dürfte die Wirtschaft 2018 wie von der Regierung angepeilt rund 6,5% wachsen. Der Shanghai Composite Index, der seit seinem Hoch im Januar rund 20% nachgegeben hat, ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 16 bis 17 im langjährigen Vergleich attraktiv bewertet.
Welche Sektoren kämpfen mit besonders starkem Gegenwind?
Exportorientierten Industrien hilft zwar der starke Dollar, doch können ihnen die höheren Zölle das Leben erschweren. Unternehmen wie etwa Fluggesellschaften, deren Kosten vor allem in Dollar und die Einnahmen in Yuan anfallen, leiden unter einer starken US-Währung. Das trifft auch auf den Immobiliensektor zu, wo sich viele Unternehmen wegen der Niedrigzinsen im Ausland hoch verschuldet haben. Die teurer gewordenen Dollarkredite drücken ihre Gewinne.
Letztes Jahr sorgten chinesische Technologiewerte für Aufsehen. Jüngst sind Tencent (Tencent 45.14 -0.22%) und Baidu wegen der Schwäche von Facebook (FB 185.69 4.45%) unter Druck geraten. Drohen sie nicht den ganzen Markt in die Tiefe zu ziehen?
Nein, denn Investoren sind gegenüber im Ausland gehandelten chinesischen Technologiewerten, die besonders stark von den extrem niedrigen Zinsen profitiert haben, bereits seit einiger Zeit zurückhaltender geworden. Gleichzeitig haben Sektoren an Bedeutung gewonnen, die einen soliden Cashflow aufweisen. Das gibt den chinesischen Börsen Halt.
Welches sind die von Ihnen erwähnten defensiven Sektoren?
Das sind auf den Binnenmarkt ausgerichtete Konsumgüterhersteller und Dienstleister. Der Einzelhandel weist nach wie vor ein ungebremst rasantes Wachstum auf. Grosse Telecomkonzerne wie China Mobile (CHL 44.34 -0.52%) oder China Unicom, die den Umsatz weiter steigern können, verzeichnen nach wie vor einen sehr stabilen Mittelzufluss. Die Schwerindustrie, die insgesamt unter erheblichen Überkapazitäten von Stahl oder Kohle (Kohle 103 0%) leidet, durchläuft gegenwärtig eine Restrukturierung. Damit verschwinden die weniger produktiven Unternehmen, was den Marktführern hilft. Banken wiederum profitieren vom teurer werdenden Geld und den damit verbundenen steigenden Zinsmargen.
Doch mit den steigenden Zinsen dürften auch die in den Bilanzen der Banken stehenden faulen Kredite zunehmen. Wie gross ist dieses Problem?
Die Risiken sind ungleich verteilt. Es waren vor allem die nicht an den Börsen kotierten staatlichen Policy Banks, die in den vergangenen Jahren auf Anweisung der Regierung oft unproduktive Unternehmen und wenig nachhaltige Infrastrukturprojekte finanzieren mussten. Diese Geldhäuser haben deshalb viel mehr mit dem Problem der faulen Kredite zu kämpfen als rein gewinnorientierte Finanzinstitute wie etwa die China Merchants Bank.
Das chinesische Börsenuniversum ist stark fragmentiert, wie die divergierende Performance der chinesischen Indizes zeigt. Auf welches Barometer sollten ausländische Investoren achten?
Am aussagekräftigsten ist der MSCI China Index. Im Shanghai Composite Index wie auch im Hang Seng (Hang Seng 28248.88 1.54%) China Enterprises Index, der die an der Börse Hongkong gehandelten Festlandunternehmen erfasst, sind Titel der Old Economy – das sind oft staatlich kontrollierte Grossunternehmen – stark übervertreten. Allerdings trifft das auf den China Enterprises Index heute weniger zu als noch vor zwei Jahren. Denn in dieses Barometer sind mittlerweile auch Tech-Titel wie Tencent aufgenommen worden. Es ist indes vor allem der MSCI China Index, der viele an den Börsen Hongkong oder New York kotierte, leistungsfähige chinesische Unternehmen enthält. Dieser Index spiegelt damit ein ausgeglicheneres Bild zwischen der New und der Old Economy Chinas. Mit einem vorwärts gerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 13 sind die im Index enthaltenen Aktien auch recht günstig bewertet.
Wie wirkt sich die Integration Chinas in den globalen Finanzmarkt auf das Börsengeschehen aus?
Der chinesische Aktienmarkt durchläuft einen tiefgreifenden Wandel. Von Bedeutung ist dabei nicht nur der graduelle Einschluss von Festlandaktien in den MSCI Emerging Markets Index. Besonders ins Gewicht fällt der Stock Connect. Über diese gemeinsame Plattform der Börsen Schanghai, Shenzhen und Hongkong können Festlandchinesen mittlerweile 400 der gemessen an ihrer Marktkapitalisierung gewichtigsten an der Börse Hongkong kotierten Aktien kaufen.
Wie wichtig ist das?
Die Angleichung der Bewertungen der A- und der H-Aktien ist eine der wichtigsten Entwicklungen der vergangenen Jahre an den chinesischen Börsen. Dabei steigt gerade in Phasen eines gegenüber dem Dollar fallenden Yuans das Interesse von Festlandchinesen an den in Hongkong gehandelten Aktien. Dadurch ist die Korrelation zwischen den Festlandbörsen und der Börse Hongkong sowie den globalen Finanzmärkten gestiegen. Das öffnet ausländischen Investoren einen ganz neuen Blick auf den chinesischen Aktienmarkt.
Was sind die grössten Überraschungen – gute oder schlechte –, auf die sich Investoren an den chinesischen Börsen gefasst machen sollten?
Was mögliche Risiken angeht, könnte der ausserhalb Festlandchinas gehandelte Yuan durch einen möglichen Schwächeanfall für grössere Unruhe sorgen. Doch andererseits sollten als Folge der Ende Juli von der Regierung beschlossenen fiskalpolitischen Massnahmen die in den kommenden Wochen und Monaten anstehenden Konjunkturdaten mehrheitlich besser ausfallen als bisher erwartet. Damit dürften auch die Sorgen um die Stabilität der chinesischen Wirtschaft in den Hintergrund treten und die Gewinnerwartungen der Unternehmen nach oben korrigiert werden.
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