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12:49 Uhr - 24.10.2017

«China könnte dem Abbau von Schulden Priorität einräumen»

Der chinesische Bankenexperte der Ratingagentur Standard & Poor’s, Qiang Liao, erklärt, warum Peking nur vorsichtig Wirtschaftsreformen einleitet.

Herr Liao, der Kongress der Kommunistischen Partei Chinas stand im internationalen Fokus. Was ist das wichtigste Resultat?
Wir haben vom Kongress keine grosse Änderung in der Wirtschaftspolitik erwartet. Sein Hauptzweck ist ja, das Führungspersonal für die nächsten fünf Jahre festzulegen. Aber es gibt Zeichen, dass die chinesische Führung sich um Finanzrisiken sorgt. Präsident Xi Jinping hat in seiner Rede die anhaltenden Anstrengungen erwähnt, Unternehmen zu entschulden und Notlagen im Finanzsystem zu verhindern. In Teilen seiner Rede gibt es Hinweise auf veränderte Prioritäten in der Wirtschaftspolitik.

Was sind das für Hinweise?
Erstens hat Präsident Xi nicht das offizielle Ziel erwähnt, das Volkseinkommen von 2015 bis 2020 zu verdoppeln. Das bestärkt uns in der Ansicht, dass sich die Regierung bei der Erreichung ihres Wachstumsziels flexibler zeigen wird. Sie könnte der Entschuldung der Wirtschaft Priorität einräumen. In der Vergangenheit standen diese zwei Ziele zeitweise im Widerspruch.

Gab es weitere Hinweise in der Rede?
Der zweite Hinweis war, dass Xi statt dem reinen materiellen Fortschritt die Lebensqualität betont hat – was den Umweltschutz einschliesst. Das könnte auf einen grossen Richtungswandel in der Wirtschaftspolitik hindeuten. Für Einzelheiten müssen wir aber auf die Central Economic Work Conference im Dezember warten.

Und wann legt sich die Unsicherheit um die chinesische Politik?
Eigentlich ist die Politik in gewisser Weise berechenbar. Seit Jahrzehnten arbeitet die Regierung daran, mit den Überbleibseln der Planwirtschaft fertigzuwerden. Es gibt einen anhaltenden Prozess, die Wirtschaft marktbasierter zu gestalten. Das macht die Politik mittel- und langfristig berechenbar. Dank des Wachstumsziels ist auch die kurze Frist vorhersehbar.

Woher kommt dann die Unsicherheit?
Nicht vorhersehbar ist, ob die Ziele mit Massnahmen erreicht werden sollen, die den Erwartungen aus den entwickelten Volkswirtschaften entsprechen. In vielen Fällen folgt Chinas Regierung nicht den Empfehlungen von ausländischen Beobachten, einschliesslich der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds – aus guten und schlechten Gründen.

Vor zwei Jahren haben sich Börsenturbulenzen in China an den weltweiten Märkten ausgewirkt. Könnte das wieder geschehen?
Dahinter standen politische Fehler. Die Regierung wollte die Entschuldung der Unternehmen durch einen künstlich gestützten Aktienmarkt einleiten. Dieser Fehler wird sich kaum wiederholen. Aber wichtig ist, dass die Turbulenzen keine grosse Sache für die chinesische Wirtschaft waren, da der Aktienmarkt relativ klein ist. Der Effekt auf das Vertrauen ausländischer Anleger, die des chinesischen Marktes überdrüssig wurden, war viel grösser. Menschen ausserhalb Chinas sorgten sich mehr, da in ihren Volkswirtschaften der Aktienmarkt eine bedeutendere Rolle innehat.

Wie beurteilen Sie die bisherigen Wirtschaftsreformen Pekings?
Die Regierung strebt weiterhin an, die Hauptziele Wachstum und Entschuldung ins Gleichgewicht zu bringen. Anders als in den vorherigen Jahren hat sich 2017 das Schuldenwachstum im Finanzsektor, einschliesslich des Schattenbankwesens, merklich verlangsamt. Die Schuldenlast nahm im Finanzsektor stärker ab als bei den Unternehmen. Banken sind weiterhin dabei, ihre Kredite an andere Banken  zurückzuführen.

Aber nicht die Unternehmenskredite?
Zwar wachsen auch die Unternehmensschulden deutlich weniger schnell als Ende 2016 – doch ist der Zuwachs immer noch höher als Chinas nominales Wirtschaftswachstum. Das Kreditwachstum ist zwar unter Kontrolle – doch wir sind nicht sicher, ob die Entschuldung schnell genug abläuft. Deswegen hat S&P im September das Rating des Staates wie auch des Bankensektors heruntergestuft.

Lokalregierungen haben viele Schulden aufgenommen – wie entwickeln sich diese?
Die Entwicklung der Finanzvehikel der lokalen Regierungen macht uns tatsächlich hoffnungsvoller. Die Zentralregierung hat zu deren Krediten eine strengere Haltung eingenommen. Das Finanzministerium hat klargemacht, dass die ab 2015 emittierten Schulden als Unternehmensschulden zu betrachten sind. Auch sind Beamte der Lokalregierungen persönlich verantwortlich, wenn die über die vergangenen Jahre eingeführten Regeln zur Verschuldung gebrochen werden. Das sind Zeichen, dass die Zentralregierung willens ist, Wachstum zu opfern, damit sich die Probleme mit der Finanzstabilität nicht verschärfen.

Die Regierung will Privatunternehmen besser unterstützen. Geschieht dies?
Es gibt starke staatliche Vorgaben an Banken, die Kredite an private klein- und mittelständische Unternehmen, KMU, auszuweiten. So darf das Wachstum der Kredite an diese Unternehmen nicht geringer ausfallen als das gesamte Kreditwachstum. Das ist ein gutes Signal. Andererseits führen Reformen staatseigener Betriebe – etwa der Zusammenschluss von Betrieben – zu einem stärkeren Einfluss dieser Unternehmen auf die Wirtschaft. Es kommt auf den Blickwinkel an, den man einnimmt.

Und die Kreditvergabe an den Privatsektor wächst tatsächlich?
Das ist sicher. Neben der genannten Regel für die KMU-Kreditvergabe wachsen die Ausleihungen an die Privathaushalte viel schneller als an andere Sektoren. Haushalte nutzen das Geld zum Kauf von Immobilien und Konsumgütern. Indirekt nützt das Privatunternehmen, da sie eher im Konsumgütersektor aktiv sind.

Werden die Wirtschaftsreformen nicht enttäuschend langsam umgesetzt?
Alle sind sich einig, dass der Staatseinfluss in China zu gross ist. Aber das Timing ist sehr wichtig. Setzt der Staat drastische Änderungen um, könnte der Markt dies als Panikhandlung verstehen. Das macht es schwierig für Entscheider, solche Änderungen zu implementieren. Die Volkswirtschaft ist noch im Übergang zu einem Modell, in dem der Markt die Produktionsfaktoren vollständig zuteilt. Die Unsicherheit um die Politik besteht nicht darin, dass die Ziele nicht klar wären. Aber der Staat muss die Umstellung vorsichtig handhaben. Doch wenn man nur Baby-Schritte geht, glaubt niemand an echten Wandel.

Ist das nicht ein Problem der politischen Kommunikation?
Es gibt Fälle, in denen die Regierung ihre Massnahmen klar kommuniziert hat, aber niemand dies ernst genommen hat. Ein Beispiel sind die Schulden der Finanzgesellschaften der Lokalregierungen. Zwar wurde klar gesagt, dass sie ab 2015 nicht mehr als Staatsschulden gelten. Aber niemand glaubt daran, dass dieser Paradigmenwechsel tatsächlich umgesetzt wird. Was kann die Regierung denn dann tun?

Und was geschieht, wenn solch ein Vehikel seine Kredite nicht mehr bedient?
Würde die Zentralregierung solch einen Zahlungsausfall erlauben, wäre das eine grosse Sache für den Anleihenmarkt. Es wäre ein starkes Signal, dass die Regierung den Paradigmenwechsel für die Schulden der Lokalregierungen sehr ernst nimmt. Es würde zu einer massiven Neubewertung von Bonds führen – und das Wirtschaftswachstum kurzfristig drücken. Je nach Stärke der Korrektur der Anleihenpreise würde der Markt es wohl als Politikfehler auffassen, selbst wenn es langfristig für die Wirtschaft gut wäre.

Was halten Sie von der Furcht vor einem überhitzten Immobilienmarkt in China?
Insgesamt hat sich die Bezahlbarkeit von Wohnraum in China über die vergangenen neunzehn Jahre nicht verschlechtert. Wir erwarten keinen grossen Preisverfall, da das zugrundeliegende Nachfragewachstum stark ist. Über das gesamte Land gesehen sind die Wohnungspreise zwar hoch, steigen aber nicht im Vergleich zu den Einkommen. Jedoch ist der Markt in den am weitesten entwickelten Städten Peking und Schanghai eine andere Geschichte. Die Häuserpreise sind verglichen mit den Einkommen viel weniger erschwinglich, und es gibt mehr Spekulation.

Könnten fallende Wohnungspreise die Banken in Probleme bringen?
Die neuen riskanten Kredite sind nur ein kleiner Teil des gesamten Kreditportfolios. Und hohe Anforderungen für Eigenmittel beim Wohnungskauf schützen die Banken vor Kreditverlusten in einem fallenden Immobilienmarkt. Die Refinanzierung existierender Hypotheken, die das Risiko bestehender Kredite erhöhen würde, ist im chinesischen Markt selten. Daher stellen notleidende Kredite nur 0,4% des Hypothekenbuchs der Banken.

Und wenn es mehr Problemfälle gibt?
Selbst wenn sich dieser Anteil stark erhöhen würde, wäre das kein grosses Problem für den Bankensektor. Das Hauptproblem bleiben die Schulden der Unternehmen, da diese von Wohneigentum und Land als Kreditsicherheiten abhängig sind. Niedrigere Immobilienpreise würde ihre Kapazität einschränken, sich zu refinanzieren.

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