Zurück zur Übersicht
10:47 Uhr - 17.05.2016

Taiwans Wirtschaft steht vor stürmischeren Zeiten

Am 20. Mai wird Tsai Ing-wen als erste Frau als Präsidentin vereidigt. Schwache Exporte und gespanntere Beziehungen zu China drücken indes die Stimmung.

Taiwans technologielastige Wirtschaft spürt die schwache globale Nachfrage mehr als andere ostasiatische Länder. Die Exporte sind im April wegen der global rückläufigen Smartphone-Verkäufe und der nachlassenden Wachstumsdynamik Chinas bereits den fünfzehnten Monat in Folge gefallen. Wenn am 20. Mai die im Januar mit einem Erdrutschsieg zur Präsidentin gewählte Tsai Ing-wen das höchste Amt ihrer Heimat antritt, könnte sich das Geschäftsklima wegen der komplizierter gewordenen Beziehungen Taiwans zu Festlandchina weiter verschlechtern.

Denn die von einer nationalistischen Welle ins Amt geschwemmte Tsai hat bisher nicht wie von Peking verlangt formell erklärt, dass die seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 66 Jahren de facto unabhängige Insel Teil eines «einzigen Chinas» ist. Tsai gehört der Demokratisch Progressiven Partei (DPP) an, deren radikaler Flügel die formale Unabhängigkeit Taiwans anstrebt. Der Machtwechsel in Taipeh vom 20. Mai hat weit über die bilateralen Beziehungen hinaus Folgen, wäre für die chinesische Regierung der Schritt der Republik China – so der offizielle Name Taiwans – in die formelle Eigenständigkeit doch ein Kriegsgrund.

Der wunde Punkt

Die USA wiederum sind die Schutzmacht Taiwans, die gemäss einem 44 Jahre alten Beschluss des amerikanischen Kongresses verpflichtet ist, ihrem Verbündeten im Konfliktfall militärisch beizustehen. Angesichts dieser enormen Tragweite hat keine der beteiligten Parteien ein ernsthaftes Interesse daran, dass der Extremfall eintritt. Doch Peking könnte versucht sein, Tsai für ihre Unnachgiebigkeit mit Sanktionen zu strafen. Das wäre umso einfacher, als 40% aller taiwanesischen Ausfuhren in die Volksrepublik China gehen und der Exportsektor rund 50% des Bruttoinlandprodukts (BIP) erwirtschaftet.

Die Investitionen von Taiwanesen auf dem Festland belaufen sich unter Einbezug der Kredite auf über 10% des BIP. Seit sich die Beziehungen Taipehs zu Peking unter dem seit 2008 amtierenden bisherigen Präsidenten Ma Ying-jeou merklich verbessert haben, sind Touristen von Festlandchina ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Im Vorjahr reisten 4,2 Mio. Besucher mit chinesischem Pass auf die Insel.

Doch ihre Zahl ist im März gegenüber Februar 10% gefallen. Allerdings besuchten immer noch mehr Chinesen Taiwan als im Vorjahresmonat. Es ist daher schwer zu sagen, ob der Rückgang eine Folge der Konjunkturschwäche auf dem Festland oder ein Warnschuss vor den Bug Tsais ist. Fest steht jedoch, dass die rückläufige Zahl der Touristen die schwache externe Nachfrage bestätigt. Im ersten Quartal lagen die Ausfuhren 12,5% unter Vorjahr.

Vor allem mit Bezug auf die schwachen Exporte hat der Internationale Währungsfonds (IWF) jüngst seine Wachstumsprognose für Taiwans Wirtschaft im laufenden Jahr gegenüber den Schätzungen vom vergangenen Oktober 1,5 Prozentpunkte auf noch 1,5% gesenkt. In den Augen des IWF hat sich in keinem anderen ostasiatischen Land die Lage innerhalb der vergangenen sechs Monate so dramatisch verschlechtert wie auf der 23 Mio. Einwohner zählenden Insel.

Begrenzter Handelsspielraum

Dabei blieb der Arbeitsmarkt bisher bemerkenswert stabil. Allerdings geht das statistische Amt davon aus, dass die mit 3,9% weiterhin rekordtiefe Zahl der Arbeitslosen im weiteren Lauf des Jahres spürbar steigen wird. In Taiwan wird der Ruf nach wachstumsstützenden Massnahmen denn auch zunehmend laut. Das stellt für die neue Regierung eine umso grössere Herausforderung dar, als ihr die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse auf der Ausgabenseite wenig Spielraum lässt.

Die Staatsverschuldung darf 40% der jährlichen Wirtschaftsleitung  nicht überschreiten. Doch diese Grenze war bereits Ende 2014 bei einem Verschuldungsgrad von 38% des BIP beinahe erreicht. Das war auch der Hauptgrund dafür, dass sich das Haushaltsdefizit 2015 trotz der sich eintrübenden Wirtschaftsdaten auf gerade einmal 0,9% des BIP belaufen hat.

Wie schon unter Vorgänger Ma Ying-jeou muss auch unter Präsidentin Tsai die Geldpolitik die Hauptlast der Konjunkturpolitik tragen. Nachdem die zu Chinas Zentralbank gehörende Taiwan Monetary Authority den Leitzins im März 12,5 Basispunkte auf 1,5% gesenkt hat, gehen Ökonomen der britischen Grossbank HSBC (5 436.7 1.78%) davon aus, dass im Verlauf des Jahres die Rate in drei weiteren, gleich grossen Schritten herabgesetzt wird.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.