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16:08 Uhr - 14.08.2019

«Momentan herrscht Gegenwind»

Alexander Ineichen, Gründer und Inhaber von Ineichen Research & Management (IR&M), beurteilt den Gesundheits- und Immobiliensektor als attraktiv.

Wie schlägt sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China in den Wirtschaftsdaten nieder?
Viele Wirtschaftsindikatoren waren zwischen November 2017 und Januar 2018 am Zenit und verschlechterten sich zusehends. Die gegenwärtige Abkühlung hat  mit dem Abflachen einer sehr langen Expansionsphase zu tun – und nur zum Teil mit dem Handelskonflikt.

Bei welchen Zahlen sind bereits konkrete Auswirkungen des Handelskriegs sichtbar?
In Südkorea und Singapur fallen die Exporte im zweistelligen Prozentbereich, auch in Taiwan gehen sie zurück. In China zeigt der Li Keqiang Index seit Anfang 2017 eine fallende Tendenz. Er gilt als zuverlässigerer Indikator für die chinesische Wirtschaft als die offiziellen Zahlen.

Was sind weitere externe Hauptrisiken für das Investitionsklima?
Das gegenwärtige, weltweite monetäre Experiment der Niedrigzinsen. Als Investor hat man in diesem Zusammenhang kaum historische Anhaltspunkte, um das Risiko zu messen. Es ist für alle Neuland. Querelen der beiden Atommächte Pakistan und Indien und die Strasse von Hormus darf man ebenfalls nicht aus den Augen verlieren. Auch Hongkong scheint mir ein Pulverfass.

Welche Risiken werden von der Mehrheit der Marktteilnehmer unterschätzt?
Ganz klar das Risiko von Verstaatlichungen. Die Geschichte lehrt, dass Regierungen sich in der Not Privateigentum «aneignen». Der vermehrte Einsatz staatlicher Macht kann Vorbote für extremere Formen der Unfreiheit sein. Behördliche Aggressionen gegen Privateigentum, und im Extremfall Leben, sind in Hongkong zu beobachten. Die ersten vermögenden Familien sind bereits nach London umgezogen. Diese Risiken sind fast überall auf der Welt grösser als in der Schweiz. Dies ist mit ein Grund, warum der Schweizer Franken gegenüber den meisten anderen Währungen eher stark ist.

Gibt es Möglichkeiten, das Portfolio zu diversifizieren? Gibt es auch in einer Baisse sichere Häfen?
Die Idee der Diversifikation ist mehrere Tausend Jahre alt und funktioniert immer noch, um Einzelrisiken zu reduzieren. Das Konzept des «sicheren Hafens» ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Was die Finanzkrise von 2008 gelehrt hat, ist, dass nicht der Korrelationskoeffizient in normalen Zeiten von Bedeutung ist, sondern die Performance der verschiedenen Anlagen, wenn’s knallt. Ich vermute, dass global orientierte institutionelle Investoren zur Diversifikation von risikoreicheren Anlagen auf akzeptierte Instrumente wie  zehnjährige US-Staatsanleihen setzen.

Ist das Ende des Bullenmarkts in Sicht?
Für gewisse Auguren ist das Ende des Bullenmarktes immer in Sicht. Es ist wie beim Prophezeien des nächsten Hagelsturms: Er kommt bestimmt. Eine eher witzige Beobachtung der letzten Jahrzehnte ist, dass schlechte Nachrichten positiv für risikoreiche Anlagen sein können.

Die US-Notenbank hat am 31. Juli erwartungsgemäss den Leitzins gesenkt. Sie haben im Vorfeld dazu einen historischen Vergleich durchgeführt.
Seit 1990 hat die Fed fünfmal eine Zinssenkungsrunde eingeläutet. In drei von diesen fünf Fällen – 1990, 1995 und 1998 – war die Aktienbörse zwei Jahre später höher. In den letzten beiden Fällen, das heisst 2001 und 2007, notierten die Aktienmärkte zwei Jahre später massiv tiefer. Ich kam bei dieser Analyse zum Schluss, dass sich heute eher mit 2001 und 2007 vergleichen lässt. Meine Kriterien waren der Stand im Konjunkturzyklus, die Höhe des Wirtschaftswachstums und Arbeitsmarktdaten.

Welchen Handlungsspielraum ergibt sich für die EZB aus dem Fed-Entscheid?
Ich glaube, dass bis zum Rücktritt von Herrn Draghi im Oktober 2019 die Losung von Juli 2012 gilt: «Whatever it takes». Ob seine Losung nach Oktober 2019 «nach mir die Sintflut» sein wird, kann ich nicht beurteilen. Kann gut sein.

Wie interpretieren Sie die aktuellen Konjunkturdaten?
Beim Risikomanagement ist die Veränderung, nicht der Stand der Konjunkturdaten von Bedeutung. Vereinfacht gesagt hat man es mit einem wirtschaftlichen Rückenwind oder Gegenwind zu tun. Die Durchschnittsrenditen von risikoreicheren Anlagen, wie zum Beispiel Aktien oder Firmenanleihen im Hochzinsbereich, sind bei einem Gegenwind im Durchschnitt tiefer. Während zukünftige Renditen nicht in einer robusten Form prognostizierbar sind, lässt sich die wirtschaftliche Windrichtung objektiv bestimmen. In den meisten Regionen kommt der Wind momentan von vorne. In der Eurozone bläst er einfach viel stärker als anderswo.

Wie beurteilen Sie insbesondere die Outperformance der US-Aktien?
Positiv und nachhaltig. Die US-Outperformance hängt primär vom Technologiesektor ab. Im S&P 500 (SP500 2885.59 -1.39%) ist der Anteil fast ein Drittel, bei europäischen Aktienindizes hingegen praktisch bei null. Solange die zum Teil grotesk überbewerteten Technologieaktien nicht korrigieren, ist eine Underperformance der US-Aktienindizes eher unwahrscheinlich. In diesem Zusammenhang sind die negativen Wirtschaftskennzahlen aus Taiwan interessant. Taiwan gilt als Vorläufer der Technologiebranche.

Gibt es weitere Aktien oder Sektoren, die Sie im Auge behalten?
Da fällt mir spontan Beyond Meat ein. Die Idee eines Cheeseburgers ohne Fleisch hat für die etwas älteren Semester unter uns Komikpotenzial. Es erinnert an die Internetblase kurz vor dem Platzen.

Wie schätzen Sie die Berichtssaison ein?
Bei Unternehmensgewinnen achte ich auf das Momentum der Gewinnrevisionen auf Aktienindex- und Sektorenebene, also auf aggregierte Grössen. So kann man heute sagen, dass der Rotstift der Aktienanalysten eher bei zyklischen Sektoren angesetzt wird. Dies ist konsistent mit den fallenden Wirtschaftsindikatoren, das heisst, «top down» und «bottom up» stimmen überein. Es herrscht Gegenwind, allerdings nicht überall gleich stark.

Lassen sich Trends für das Gesamtjahr ableiten?
Ich denke nicht in Kalenderjahren, weil ich dies buchhalterisch nicht tun muss. Wenn sich etwas verschlechtert, sollte man ein fallendes Messer nicht zu greifen versuchen. Ich kann objektiv messen, dass in den meisten Ländern die Gewinnrevisionen von zyklischen Sektoren grösser sind als bei defensiveren Sektoren. Dies gilt so lange, bis sich die Umkehr dieses Sachverhalts messen lässt. Das kann in einigen Wochen oder einigen Jahren der Fall sein. Wichtig ist mir die objektive Messbarkeit des Trends und der Trendumkehr, ohne raten zu müssen. Kristallkugeln sind meines Erachtens veraltet.

Welche Sektoren beurteilen Sie als besonders attraktiv?
Gemäss dem oben genannten Ansatz sind Gesundheitswesen, Basiskonsumgüter, und Immobilien die drei stärksten Sektoren. Die global drei schwächsten sind zyklische Konsumgüter, Energie sowie  Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe.

Welche Anlage wird am Markt unterschätzt und besitzt besonderes Potenzial?
Unter Umständen gibt es nichts, das zurzeit unterschätzt wird.

Wagen Sie dennoch eine Empfehlung.
Eine der Modeströmungen der letzten Jahre war das Investieren nach ökonomischen und sozialen Kriterien. Es könnte sein, dass das Potenzial von Vermögenswerten unterschätzt wird, die diese Kriterien nicht erfüllen. Diese «Aussätzigen» sind vor allem in den Sektoren Energie und Rohstoffe zu finden. Umweltkriterien und Überschuldung machen diese Firmen neben Profitabilitätsproblemen für institutionelle Anleger unattraktiv. Solche Modeströmungen, zum Teil verstärkt durch regulatorische Bestimmungen, führen zu Bewertungsasymmetrien. Aktive Investoren können davon profitieren.

Welche Wegmarke zeigt für Sie am ehesten an, wohin die Reise an den Börsen geht?
Der Immobilienmarkt. Wenn dieser implodiert, müssen Banken gerettet werden, die Liquidität verschwindet über Nacht, Panik und Chaos brechen aus.

Wie die fallenden US-Immobilienpreise als Startschuss für die Finanzkrise 2008.
Genau. Aber es gibt auch aktuelle Beispiele. Einer der überbewertetsten Immobilienmärkte ist derjenige in Hongkong. Der Quadratmeterpreis ist fast 2,5 mal höher als in Zürich. Diese Wohnungen sind praktisch alle fremdfinanziert, mit einer viel geringeren Kaufkraft der Bevölkerung als in der Schweiz. Das geht solange gut, bis die Preise zu sinken beginnen. Die gegenwärtigen Unruhen in Hongkong könnten, und dies ist reine Spekulation meinerseits, der Tropfen sein, der das Immobilienfass zum Überlaufen bringt. Die Unruhen sind der erste Dominostein.

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