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09:56 Uhr - 08.06.2018

Anwar Ibrahim: Der Hoffnungsträger im Schleudersitz

In zwei Jahren soll Anwar Ibrahim malaysischer Premierminister werden. Doch Konflikte zwischen dem 70-Jährigen und Amtsinhaber Mahathir sind programmiert.  

Das malaysische Polittheater ist nicht arm an halsbrecherischen Drehungen und Wendungen. Doch das Verhältnis zwischen dem neuen Premierminister Mahathir Mohamad und seinem designierten Nachfolger Anwar Ibrahim sprengt alle Normen. Als der nun schon 92-jährige Mahathir vor zwei Jahrzehnten bereits einmal Regierungschef der drittgrössten südostasiatischen Volkswirtschaft war, spedierte er seinen Stellvertreter Anwar wegen angeblichen Machtbissbrauchs und sexueller Verfehlungen jahrelang ins Gefängnis. Dieser wiederum nannte seinen einstigen politischen Ziehvater «verrückt, senil und unfähig, eine Nation zu führen».

Doch wenn es nach Plan geht, soll Anwar den greisen Mahathir in zwei Jahren als Premierminister ablösen. Immerhin feiert die Öffentlichkeit den Sieg der Koalition Pakatan Harapan – Allianz (0M6S 176.36 -1.67%) der Hoffnung – als erfrischenden Neuanfang. Aber es bleibt offen, wie der letzte Akt dieses Schauspiels aussehen wird. Diese Ungewissheit hat weitreichende Auswirkungen auf das Investitionsklima Malaysias. Auch ist fraglich, wie eine ganze Reihe von Finanzskandalen, in die Spitzenpolitiker des Anfang Mai abgewählten Parteienbündnisses verwickelt sind, rechtlich aufgearbeitet wird.

Der mittlerweile 70-jährige Anwar, der seine Politkarriere im Studium als rebellischer Aktivist begonnen hatte, gilt als Architekt der nun angestossenen politischen Erneuerung. Bemerkenswerterweise zog er die Fäden dafür aus dem Gefängnis. Dort sass er zum zweiten Mal eine langjährige Strafe ab. Der vormalige Premier Najib Razak hatte eine Schmierenkampagne gegen ihn inszeniert. Gleich nach dem Regierungswechsel veranlasste Mahathir seine Begnadigung. Noch scheint Anwars Verhältnis zu Mahathir ungetrübt zu sein, doch wenn die Vergangenheit als Massstab genommen wird, sind Konflikte programmiert. Der 92-jährige alte und neue Premier mag mit dem Alter milder geworden sein. Doch obwohl Anwars Gattin Wan Azizah wie geplant jetzt Vizepremier geworden ist, dürfte sich der als störrisch geltende Mahathir in wichtigen Sachfragen kaum reinreden lassen.

Besonders die wirtschaftlichen Interessen alter Kumpanen wird Mahathir verteidigen. Das musste Anwar schon einmal vor zwei Jahrzehnten während der asiatischen Finanzkrise erleben. Er war damals Finanzminister. In der Frage, wie die Krise am besten angegangen  werden soll, kam es zum Bruch zwischen den zwei Männern. Anwar wollte die makroökonomischen Ungleichgewichte – wie vom Internationalen Währungsfonds empfohlen – durch eine Abwertung des Ringgit, staatliche Ausgabenkürzungen und die Abwicklung insolventer Unternehmen ins Lot bringen.

Mahathir hingegen bestand darauf, die Flucht aus dem Ringgit durch Kapitalkontrollen einzudämmen. Gleichzeitig legte er gegen den Willen Anwars die schützende Hand über ein unübersichtliches Netzwerk privater und staatlicher Unternehmen, die – meist am Parlament vorbei – mit öffentlichen Geldern alimentiert worden sind.

Dieses Netzwerk hat die Voraussetzungen für den 1MDB-Skandal geschaffen, in den Najib Razak verwickelt ist. Dabei sollen mutmasslich über 4 Mrd. $ über ausländische Banken und Finanzplätze gewaschen worden sein. Auch die Schweizerische Bundesanwaltschaft (BA) ermittelt in diesem Zusammenhang. Doch auf Rechtshilfegesuche an die malaysische Justiz wurde bis zum Regierungswechsel nicht eingegangen. Anwar hat die BA ausdrücklich ermutigt, aktiv zu bleiben. Doch es bleibt fraglich ob der Fall am Ende restlos aufgeklärt wird.

Denn die extrem breite Parteienkoalition ist brüchig. Wie stark gerade Mahathir mit dem alten System verbunden bleibt, zeigt sich nicht zuletzt in der Person Daim Zainuddin, der dank seinen guten politischen Kontakten zu einem der reichsten Männer Malaysias geworden ist. Er hatte Anwar nach seinem Sturz als Finanzmister 1998 abgelöst. Mahathir hat seinen alten Verbündeten Daim nun zum Vorsteher des einflussreichen Beirats der Regierung berufen.

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