Paul Brain, Leiter Fixed Income bei Newton, glaubt, dass Grossbritannien als erstes Land zur Fiskalpolitik greifen wird, und rät Anlegern zu inflationsgeschützten Bonds.
Herr Brain, die Kritik und die Zweifel an der Wirksamkeit der expansiven Notenbankpolitik nehmen zu. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Es ist schwierig zu beurteilen, inwieweit die lockere Geldpolitik der Realwirtschaft geholfen hat. Aber ohne die Stimulusprogramme der Notenbanken hätte die Rezession nach der Finanzkrise wahrscheinlich noch länger gedauert. Die Gefahr einer Deflation oder einer Depression wäre gewachsen. Allerdings stösst die Geldpolitik nun an ihre Grenzen. Ein Auswuchs davon sind die Negativzinsen. Die positiven Effekte, etwa die günstigen Kreditkonditionen, verringern sich oder kippen gar in den negativen Bereich. Die Sparer werden bestraft, und als Folge sinken die Investitionen. Die Minuszinsen lösen eine Reaktionsspirale aus, die langfristig schädlich ist für die Wirtschaft. Wir erwarten daher, dass fiskalpolitische Massnahmen an Bedeutung gewinnen werden.
Was bedeutet Helikoptergeld für die Obligationenmärkte?
Die Fiskalpolitik wird das Ende des 35-jährigen Bullenmarktes in Bonds einläuten. Ich erwarte eher ein schleichendes Ende als eine plötzliche und heftige Verkaufswelle. Eine lockere Geldpolitik und sehr niedrige oder negative Zinsen unterstützen Staatsanleihen grundsätzlich, das hat sich auch in den vergangenen Jahren bewahrheitet. Aber eine Kombination aus lockerer Geld- und Fiskalpolitik könnte die Inflation befeuern, und das ist negativ für Obligationen. Wir werden in den kommenden zwei Jahren eine Richtungsänderung an den Bondmärkten erleben, die Anlass zur Sorge geben könnte.
Wie wirken sich fiskalpolitische Massnahmen denn aus?
Die Regierungen verschulden sich, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Wenn das gelingt, könnte es die Teuerung anfachen. Es ist schwierig, die expansive Haushaltspolitik zu stoppen, wenn die Massnahmen erst einmal beschlossen sind. Gefragt sind dann die Notenbanken, die die Geldpolitik straffen müssen. Für die Bondmärkte ist dies das schlechteste Szenario: Die Schulden steigen, und gleichzeitig wird die Geldpolitik gestrafft. Diese Entwicklung wird nicht schnell geschehen, denn die globale Wirtschaft ist noch immer fragil. Aber auf lange Sicht ist dieses Szenario denkbar.
Welche Staaten werden als Erste ein Fiskalprogramm beschliessen?
Am günstigsten ist die Ausgangslage in Grossbritannien. Der Staat hat in den vergangenen fünf Jahren eine relativ strenge Haushaltspolitik verfolgt, um das Defizit zu reduzieren. Das hat nicht immer funktioniert, aber die Staatsfinanzen haben sich unter Premier David Cameron in die richtige Richtung entwickelt. Nun hat es mit Theresa May einen Wechsel an der Spitze der Regierung gegeben, und der Brexit liefert einen Vorwand, die Ausgabenpolitik zu lockern. So könnten etwa Infrastrukturprogramme beschlossen werden – etwas, was zweifellos nötig ist in Grossbritannien. Wenn sich zeigt, dass die Fiskalpolitik wirkt, werden andere europäische Staaten dem Beispiel folgen.
Gibt es in Europa denn Hinweise, dass die Fiskalpolitik an Bedeutung gewinnt?
In einem ersten Schritt wird den europäischen Staaten erlaubt, die Defizitvorgaben zu verfehlen. In Portugal und Spanien ist das bereits geschehen, das Haushaltsdefizit beträgt mehr als 3%. Auch in Frankreich zeichnet sich ein Verstoss gegen die Maastricht-Regeln ab. In einem zweiten Schritt folgen dann Konjunkturprogramme, und es wird direkt in die Wirtschaft investiert.
Sind fiskalpolitische Massnahmen auch ein Rezept, um die japanische Wirtschaft in Gang zu bringen?
Japan wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Doch dabei wird vergessen, dass Japan in den vergangenen zwanzig Jahren mehrmals versucht hat, das Wirtschaftswachstum mit einer Erhöhung der Staatsausgaben in Schwung zu bringen. Es hat nicht funktioniert. Die Japaner haben kaum mehr Spielraum, diesen Weg weiterzuverfolgen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in den Vereinigten Staaten?
Im Moment entwickelt sich die amerikanische Wirtschaft gut. Das ist vor allem dem Konsum zu verdanken. Dennoch könnte die Fiskalpolitik schon im nächsten Jahr zum Thema werden, und zwar vor allem aus Wettbewerbsgründen. Die Infrastruktur in den USA ist teilweise sehr alt, und Erneuerungen sind nötig. Wir erwarten, dass der Staat dabei die Führung übernehmen wird. Der Privatsektor schafft das nicht allein.
Sind Bondinvestoren vorbereitet auf die Auswirkungen, die ein Wechsel zur Fiskalpolitik nach sich ziehen könnte?
Nein. An den Finanzmärkten herrscht grosse Skepsis in Bezug auf die Handlungsfähigkeit der Entscheidungsträger. Die Wirtschaft steckt seit 2008 in einer Wachstumsflaute, und es herrschen deflationäre Tendenzen. Investoren würden eine Verkaufswelle in Staatsanleihen daher eher als Kaufgelegenheit sehen, um höhere Renditen zu sichern. Wir sind derzeit nicht sehr bearish, aber wir fahren unsere Positionen in Staatsanleihen etwas zurück. Wir haben die langjährige Rally mitgemacht. Jetzt nehmen wir erstmals seit 2007 einen strategischen Wechsel in dieser Positionierung vor.
Gibt es dennoch Segmente im Obligationenmarkt, die vom Wechsel von der Geld- zur Fiskalpolitik profitieren?
Ja, es wird Chancen an den Kreditmärkten geben. Anleihen von Unternehmen, die Baumaterialien herstellen, oder von Bauunternehmern gehören dazu. Ein Beispiel ist der mexikanische Zementkonzern Cemex. Auch Staatsanleihen von Schwellenländern dürften profitieren, weil die Nachfrage nach Rohstoffen steigt. In diesem Marktumfeld raten wir Anlegern zudem zu inflationsgeschützten Anleihen, sogenannten Inflation Linked Bonds.
Wo werden Sie fündig?
Wir bevorzugen TIPS, also inflationsgeschützte US-Staatsanleihen. Aber jeder Inflation Linked Bond, dessen Break-even-Inflation unter dem Inflationsziel der Notenbank handelt, ist interessant. Das trifft etwa auf dreissigjährige TIPS zu: Sie handeln bei einer Break-even-Inflation von 1,6%. Das Inflationsziel der US-Notenbank liegt bei 2%. Auch der europäische Markt für Inflation Linked Bonds ist attraktiv. Diese Instrumente sind eine gute Strategie, um das Risiko von fiskalpolitischen Massnahmen zu diversifizieren.
Wo können Bondinvestoren im gegenwärtigen Marktumfeld noch Geld verdienen?
Unternehmensanleihen und Staatsobligationen von Schwellenländern sind grundsätzlich attraktiv. Allerdings müssen Anleger sehr spezifisch auswählen und sich Gedanken über die Ausfallraten sowie die Verschuldung machen.
Welche Schwellenländer bevorzugen Sie?
Wir setzen auf Staatsanleihen von Kolumbien, Peru und Chile. Auch Ungarn, Indonesien und Marokko stehen auf unserer Einkaufsliste. Wir bevorzugen dabei Bonds in Lokalwährungen. Nach dem Preiseinbruch an den Rohstoffmärkten in den vergangenen achtzehn Monaten haben sich die Währungen in zahlreichen Emerging Markets abgewertet und notieren auf niedrigem Niveau.
Wie sieht es mit Anleihen von Staaten aus der europäischen Peripherie aus?
Der Bondmarkt in den Peripherieländern der Eurozone wird von der Europäischen Zentralbank künstlich gestützt, die im Rahmen ihres Anleihenkaufprogramms Staatsobligationen erwirbt. Die Renditen und die Risikoaufschläge sinken daher möglicherweise noch weiter. Wir wollen dieses Spiel nicht mitspielen. Zudem sehen wir immer noch Risiken in der Eurozone. Wir sind insbesondere besorgt über die Entwicklungen in Italiens Bankensektor. Zwar hat sich die Situation kurzfristig etwas entspannt, aber die hohe Verschuldung bleibt ein Krisenherd. Auch die politische Situation in Italien birgt Gefahren.
Welche Segmente sind bei Unternehmensanleihen interessant?
Bei Corporate Bonds bevorzugen wir Unternehmen, die vom robusten US-Konsum profitieren, seien es Dollar- oder Euroanleihen. In Europa setzen wir auf Gesellschaften aus dem Industriesektor und meiden die Finanzbranche.
Finden Sie im Markt für hochverzinsliche Anleihen noch Opportunitäten?
Ja, wir haben eine kleine Position in Hochzinsanleihen. Allerdings ist Vorsicht angezeigt, und wir sind gegenüber unserer langfristigen Position untergewichtet. Die Kreditausfallrate im US-Energiesektor ist hoch, und wir sind besorgt, dass sie auf den gesamten Markt für spekulative Anleihen übergreifen könnte. Das anhaltend niedrige Wirtschaftswachstum und die grossen Schuldenberge werden dazu führen, dass die Zahl der Pleiten in den kommenden zwölf Monaten steigt. Die höheren Renditen locken Investoren aber nach wie vor an: Die Zuflüsse in hochverzinsliche Anleihen sind seit diesem Februar kräftig gestiegen.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.