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09:30 Uhr - 13.04.2021

Junge Wilde im Visier

Mit Lordstown Motors sieht sich nach Nikola ein weiteres Elektrofahrzeug-Start-up am Pranger eines Shortsellers.

«Wir können Kalifornien nicht den ganzen Spass überlassen», sagt Steve Burns, Gründer und CEO von Lordstown Motors (RIDE 10.73 -8.49%), auf der Website der Jungfirma. Die Anspielung auf die kalifornische Elektrofahrzeugszene und das Silicon Valley ist Programm: Das Mahoning Valley im US-Bundesstaat Ohio, wo Lordstown im gleichnamigen Ort den Sitz hat, will zum Voltage Valley erblühen.

Dessen Kern soll das vor zwei Jahren stillgelegte General-Motors-Werk Lordstown bilden. Die Schliessung kostet 4200 Jobs und löst im Weissen Haus eine Reihe böser Tweets aus. Burns, zuvor Mitgründer und CEO der auf elektrische Auslieferwagen spezialisierten Workhorse Group (WKHS 12.36 -5.47%), will diese Jobs und das Werk reaktivieren. Wesentliche Teile der Fabrik gehen deshalb im November 2019 mithilfe eines 40-Mio.-$-Verkäuferdarlehens von GM an die 2018 gegründete Lordstown.

Gebaut werden soll dort ab diesem September zunächst ein grosser elektrisch angetriebener Pick-up, eine in Nordamerika beliebte Fahrzeuggattung mit offener Ladefläche. Adressiert werden einzig Fuhrparkbetreiber. Als Besonderheit verfügt der Endurance genannte Erstling über Radnabenmotoren, in jedem Rad einen. 100’000 Vorbestellungen sollen für den ab 52’500 $ (45’000 $ nach staatlichem Zuschuss) erhältlichen Wagen vorliegen; das ergibt mehr als 5 Mrd. $.

Turbulenter Kursverlauf

Schon am 26. Oktober 2020 geht Lordstown Motors über die Fusion mit einer Mantelgesellschaft, einer Special Purpose Acquisition Company (Spac), an die Börse. Der Abschluss 2020 zeigt wie der anderer Start-ups null Umsatz und viel Verlust (vgl. Text unten). In der Bilanz dominiert das mit dem Börsengang aufgenommene Kapital: Von den 767 Mio. $ auf der Aktivseite entfallen 630 Mio. auf flüssige Mittel, 102 Mio. auf Sachanlagen. Die Passivseite besteht zu 95% aus Eigenkapital.

Mit dem Börsengang nimmt der Hype seinen Lauf. Es herrscht Goldgräberstimmung, frei nach dem Motto «Investor sucht die nächste Tesla». Am 11. Februar erreicht die Marktkapitalisierung 5,1 Mrd. $. Renault (RNO 100.00 +65.89%) kommt als niedrigst kapitalisierter unter den grossen Autobauern zur selben Zeit auf 14 Mrd. $, mit 43 Mrd. € Umsatz und einem 43,4%-Anteil an Nissan.

Seither ist der Wert von Lordstown Motors an Nasdaq allerdings 60% abgesackt (vgl. Grafik). Verursacht hat das vor allem Hindenburg Research, eine winzige, forensisch arbeitende Investmentgesellschaft aus New York. Sie spürt in kriminalistischer Manier Unstimmigkeiten nach und «legt schwer auffindbare Informationen aus atypischen Quellen frei». Dann geht sie short – leiht sich Aktien der fraglichen Gesellschaft und verkauft sie in der Erwartung, sie nach Veröffentlichung eines anklagenden Reports günstiger zurückkaufen zu können.

Das Vorgehen ist heikel. Es kann sein, dass die Anschuldigungen nicht oder nur teilweise zutreffen. Selbst wenn Hindenburg-Gründer Nate Anderson und sein Team mit ihrer Arbeit gemäss eigenen Angaben aufklären wollen, bevor weitere ahnungslose Opfer angelockt werden, geht es letztlich um Geld.

«Fiktive Vorbestellungen»

Bei Lordstown Motors hat der Ansatz funktioniert – wie schon 2020 bei Nikola (NKLA 11.84 -7.5%) Motor, einem anderen Elektrofahrzeug-Start-up, das Lastwagen herstellen und ein Wasserstoff-Tankstellennetz aufbauen will. Wegen der Anschuldigungen von Hindenburg tritt dort Gründer und Executive Chairman Trevor Milton ab, distanzieren sich Partner und müssen Pläne aufgegeben werden. Diverse Behörden nehmen Ermittlungen gegen Nikola auf. Heute entspricht der Börsenwert noch einem Bruchteil des Boomniveaus.

In dem am 12. März publizierten Report wirft Nate Anderson Lordstown Motors vor, falsche Tatsachen vorzugaukeln. Die von CEO Steve Burns als «sehr seriöse Aufträge» bezeichneten Vorbestellungen seien weitgehend fiktiv. Sie dienten als Requisit, um Kapital zu beschaffen und Glaubwürdigkeit zu erlangen. Je mehr Vorbestellungen, desto leichter die Kapitalbeschaffung. Auch Tempo ist wichtig, denn von Tesla (TSLA 701.98 +3.69%) über Rivian bis zu Ford (F 10.01 +1.62%) und GM entwickeln diverse andere Unternehmen batterieelektrische Pick-ups.

Gemäss Hindenburg sind die Vorbestellungen in keiner Weise bindend. Die meisten stammen von Kunden ohne Fuhrpark und ohne Mittel für einen Kauf. Um möglichst viele Vorbestellungen zeigen zu können, sei eine Beratungsfirma engagiert worden, die für jede gewonnene Absichtserklärung Geld erhalten hat. Auch angebotsseitig bewege sich das Jungunternehmen auf ethisch zweifelhaftem Territorium, indem es ungeprüfte Technologie hochjuble und unrealistische Produktionszeitpläne setze. Fahrzeug und Technologie seien unausgereift.

Der erste Strassentest im Januar endet mit einem Feuer. Wegen Verzögerungen und drastischen Änderungen an der Konstruktion sei der Endurance von einer Serienproduktion weit entfernt. Auch Ausrüstung fehle noch, die Batterien würden von Hand zusammengebaut. Zudem wird darauf verwiesen, dass die vom slowenischen Start-up Elaphe lizenzierte Radnabenmotor-Technologie noch nie in grossem Massstab eingesetzt worden ist.

Vorsicht ist Pflicht

Als stossend empfindet Hindenburg, dass Geschäftsleitungsmitglieder und andere Kader seit dem Börsengang für rund 28 Mio. $ Aktien verkauft haben. Weshalb, ist eine von 21 Fragen, die Lordstown gestellt werden. Eine Antwort steht aus. Man beabsichtige, zu gegebener Zeit angemessen zu reagieren, schreibt die Gesellschaft am 15. März. CEO Burns spricht im Zusammenhang mit den vielen Vorbestellern ohne Fuhrpark von Vermittlern.

Für Anleger ist wie bei anderen Elektrofahrzeug-Start-ups eine gesunde Dosis Vorsicht angesagt. Die fraglichen Unternehmen sind in vielerlei Hinsicht anfällig. Bei Lordstown Motors kommt dazu, dass alles sehr schnell gegangen ist. Das erfordert zusätzliche Skepsis. Ob und inwiefern böse Absicht mitwirkt, ist aber unklar. Auch Elon Musk spuckt grosse Töne und hat mit seinen Zeitplänen kaum je ein Versprechen eingelöst. Dennoch hat er Grosses erschaffen, als Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die Voraussetzungen dafür sind im Silicon Valley allerdings besser als in Ohio – weshalb Kalifornien auch den ganzen Spass hat. Bis jetzt.

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