Der Finanzminister von Hongkong hat sich zwar oft verrechnet. Dennoch gilt er als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Regierungschefs.
Hongkongs umstrittenem Regierungschef Leung Chun-ying wurde bei den Parlamentswahlen Anfang September eine schallende Abfuhr erteilt. Das dürfte ihn nicht weiter kümmern, verdankt er seinen Posten doch nicht den Stimmen der Bürger oder gewählter Abgeordneter, sondern eines 1200 Mitglieder zählenden, mehrheitlich chinafreundlichen Wahlgremiums. Doch die politische Stimmung in der chinesischen Sonderverwaltungsregion hat sich in jüngster Zeit spürbar verschlechtert.
Nun, da sich die Zeichen mehren, dass zunehmend auch Peking auf Distanz zu Leung geht, hat das in den lokalen Medien lange schon anhaltende Raten um seine Nachfolge an Schwung gewonnen. Ein oft gehörter Name ist der des Finanzministers John Tsang Chun-wah. Nachdem Chinas Präsident Xi Jinping den 65-jährigen Tsang am G-20-Gipfel vor laufender Kamera demonstrativ herzlich begrüsst hat, wird er erst recht als Topfavorit gehandelt.
Dabei wäre auch der oberste Kassenwart des internationalen Finanzzentrums Hongkong nicht gerade die erste Wahl der Bürger, hat sich Tsang während seiner neun Jahre im Amt mit Verweis auf kommende schwerere Zeiten doch als etwas zu sparwütig erwiesen. Zu seinem Leidwesen lagen seine Haushaltsentwürfe wiederholt weit neben dem tatsächlichen Ergebnis – so etwa 2009, als aus einem projizierten leichten Überschuss ein sattes Plus von 4,2% des Bruttoinlandprodukts wurde. Dies war politisch umso heikler, als sich gemessen am Gini-Koeffizienten nirgendwo sonst auf der Welt die soziale Schere so weit geöffnet hat wie in Hongkong. Der lange als Tabu geltende Ruf nach Vermögensumverteilung ist damit lauter geworden.
Obwohl Tsang als persönlich integer gilt und mit seinem bescheidenen Auftreten beim Volk gut ankommt, haben die Fehlkalkulationen seine politische Glaubwürdigkeit etwas untergraben. Allerdings kann er dafür nur bedingt verantwortlich gemacht werden. Hongkong budgetierte schon legendär konservativ, als es noch von Grossbritannien regiert wurde. Dafür gibt es bis gute Gründe, die bis heute gelten. Das Territorium ist als internationaler Umschlagplatz von Gütern und Kapital extrem stark externen Einflüssen ausgesetzt.
Das zeigt sich unter anderem daran, dass das jährliche Wirtschaftswachstum stark schwankt, was Prognosen schwierig macht. Mit Verweis auf die Stabilität des Hongkong-Dollars hat Hongkong in den vergangenen Jahrzehnten Fiskal- und Währungsreserven von 358 Mrd. $ aufgehäuft, die die Notenbank Hong Kong Monetary Authority (HKMA) im Auftrag des Finanzministeriums grossteils im Ausland angelegt hat.
Tsang, der als Dreizehnjähriger mit seiner Familie in die USA auswanderte, kehrte nach einem Architekturstudium am Massachusetts Institute of Technology und einer Weiterbildung an der Universität Harvard in die Heimat zurück, wo er 1982 in den Dienst der damaligen britischen Kolonialverwaltung eintrat. Dort machte er schnell Karriere. So war er etwa Privatsekretär des letzten britischen Gouverneurs Chris Patten. International grosse Beachtung erhielt er als Handelsminister, in dieser Eigenschaft hatte er 2005 den Vorsitz der in Hongkong abgehaltenen sechsten WTO-Konferenz.
Für Tsangs Aufstieg zum Regierungschef dürfte vor allem sprechen, dass Hongkong in der schrittweisen Internationalisierung des Yuans eine Schlüsselrolle spielt. Das hat sich in den vergangenen Monaten unter anderem daran gezeigt, dass die Währung wiederholt Ziel spekulativer Attacken war. Als Reaktion darauf hat die chinesische Notenbank in enger Koordination mit der HKMA in den Markt interveniert. Die zunehmende Präsenz des Yuans in Hongkong heisst aber auch, dass der Peg des Hongkong-Dollars an den Dollar zunehmend in Frage gestellt wird. All das dürfte in den kommenden Monaten und Jahren mit erhöhter Volatilität verbunden sein. Ein bewährter Finanzfachmann an der Spitze der Hongkonger Regierung wäre in solch bewegten Zeiten Garant für Kontinuität.
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