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12:09 Uhr - 08.05.2018

«Aktuelle Abkühlung nicht dramatisieren»

Felix Brill, Leiter Investment Solutions der VP Bank, ist zuversichtlich, dass sich der global breit abgestützte Aufschwung fortsetzt. Aktien blieben interessant.

Herr Brill, verschiedene Konjunkturfrühindikatoren zeigen wieder nach unten. War’s das schon mit dem Aufschwung?
Ich würde die in den Vorlaufindikatoren sichtbare Abkühlung nicht dramatisieren. Auf dem aktuellen Niveau signalisieren sie immer noch hohe, über dem Trend liegende Wachstumsraten. Ausserdem haben sich die Frühindikatoren in Europa zuletzt wieder stabilisiert. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass sich der Aufschwung fortsetzt und breit über die Weltregionen abgestützt bleibt.

Was bedeutet das für die Zinsen?
Vieles spricht für steigende Anleihenrenditen: das robuste Wirtschaftswachstum, der Rückgang der Überkapazitäten und der Auftrieb bei den Löhnen und den Konsumentenpreisen. Gleichzeitig befindet sich mit dem Fed zumindest eine grosse Notenbank im Zinserhöhungszyklus.

Die Börse hat jahrelang von der expansiven Geldpolitik und den fallenden Zinsen profitiert. Kehrt dieser Trend jetzt?
Steigende Zinsen bedeuten für Aktien potenziell Gegenwind, weil der höhere Diskontierungsfaktor auf die Bewertung drückt. Wie viel Gegenwind aufkommt, hängt davon ab, ob die Anleihenrenditen sprunghaft oder schrittweise steigen. Nicht zuletzt deshalb geben sich die Zentralbanken so viel Mühe, die Erwartungen zu steuern und so ruckartige Renditeanpassungen zu verhindern. Aber die letzten Jahre haben gezeigt, dass das nicht immer gelingt und es dann zu Verwerfungen kommt. Entscheidend ist auch, ob der Zinsanstieg Ausdruck besserer Wachstumsaussichten ist oder die Folge von zunehmenden Inflationsängsten.

Gibt es ein bestimmtes Zinsniveau, ab dem es für die Finanzmärkte kritisch wird?
Eine genaue Schmerzgrenze lässt sich nur schwer bestimmen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die langfristen Zinsen sich seit dem Beginn der Achtzigerjahre in einem Abwärtstrend befinden. Auffällig ist jedoch: In der Periode 1960 bis 1980, in der die Anleihenrenditen in den USA auf mehr als 10% stiegen, wuchs die US-Wirtschaft – ein Proxy für die Gewinne der Unternehmen – schneller als die Aktienkurse. Nach 1980 war es genau umgekehrt. Mit den rückläufigen Zinsen legten die Aktienmärkte im Trend schneller zu als die Wirtschaft.

Ab einem gewissen Renditeniveau werden Anleihen für Investoren wieder interessant. Ist dadurch das Ausmass des Renditeanstiegs nicht begrenzt?
Das hängt davon ab, was die Inflation macht. Wir empfehlen derzeit, die Zinsänderungsrisiken bei Staatsanleihen über kürzere Restlaufzeiten tief zu halten. Bei Hochzinsanleihen raten wir trotz des nach wie vor guten konjunkturellen Umfelds zur Vorsicht, da die Aufschläge für Kreditrisiken zu niedrig sind.

In den USA ist die Arbeitslosenrate zum ersten Mal seit 2000 unter 4% gefallen. Droht die US-Wirtschaft zu überhitzen?
Dieses Risiko besteht durchaus, zumal der Konjunkturzyklus dort am weitesten fortgeschritten ist. Die Steuersenkungen der Trump-Regierung könnten die US-Wirtschaft zusätzlich ankurbeln. Doch bisher gibt es kaum Überhitzungsanzeichen. Die Lohnentwicklung läuft noch nicht aus dem Ruder, die Inflation bewegt sich nahe genug am Zielwert der Notenbank. Der Geschäftsgang gemäss ISM-Umfrage ist zwar insgesamt sehr gut, hat sich aber jüngst etwas abgekühlt.

Das heisst, die US-Notenbank hat keine Eile mit weiteren Zinserhöhungen?
Es ist ein Balanceakt, den das Fed zu meistern hat. Auf der einen Seite sollen die Finanzmärkte möglichst nicht aufgeschreckt werden. Andererseits läuft die Wirtschaft sehr gut, und die Inflation bewegt sich bereits über der Zielmarke von 2%. Die vergangenen Jahre hatten gezeigt, wie schwierig es ist, die Inflation anzukurbeln. Umgekehrt gilt aber auch: Zieht die Inflation an, ist es kein leichtes Unterfangen, sie wieder einzufangen. Deshalb wird das Fed versuchen, den eingeschlagenen Kurs konsequent fortzusetzen.

Höhere US-Zinsen sollten den Dollar stärken. Erwarten Sie eine Dollaraufwertung?
Der Markt spielt derzeit wieder das Thema der divergierenden Geldpolitik und der Zinsdifferenz, das stützt den Dollar. Ausserdem war der Euro bis vor kurzem sehr beliebt, das zeigen die spekulativen Positionen an den Terminbörsen. In einem solchen Umfeld kann das Pendel schnell auf die andere Seite ausschlagen. Der Rückenwind für den Dollar kann durchaus noch ein paar Wochen anhalten. Wir raten deshalb Franken- und Euroanlegern, nicht alle Dollarpositionen gegen Wechselkursrisiken abzusichern. Man muss in der Einschätzung auch die Hedge-Kosten berücksichtigen. Sie sind derzeit sehr hoch und belaufen sich aus Frankensicht wegen der grossen Zinsdifferenz auf rund 3%.

Schon länger ist das Zinsniveau in den USA viel höher als in Europa oder Japan. Dennoch gehörte der Dollar letztes Jahr zu den schwächsten Währungen.
Ein Zinsvorteil ist keine Garantie für eine Aufwertung der Währung. Das hat das vergangene Jahr gezeigt. Dass sich die Erleichterung der Finanzmärkte über den klaren Wahlsieg von Emmanuel Macron in Frankreich so deutlich auf den Eurokurs auswirken konnte, lag auch daran, dass der Euro damals gemessen an der Kaufkraftparität viel zu niedrig bewertet war.

Wo läge denn der gemäss Kaufkraftparität faire Wechselkurs heute?
Im Dreieck Euro, Dollar und Franken gibt es derzeit keine nennenswerte Unter- oder Überbewertung mehr. Das heisst, von dieser Seite haben wir keine Signale, und grössere Währungswetten drängen sich aus dieser Perspektive nicht auf.

Was ist mit dem Franken los? Ist er kein sicherer Hafen mehr?
Trotz der jüngsten Abwertung ist der Franken noch nicht schwach. Im Zusammenhang mit dem Status als sicherer Hafen muss man zudem berücksichtigen, woher die Frankenstärke nach 2010 eigentlich herrührte. Tatsächlich waren es damals nicht vorwiegend europäische Investoren, die in den Franken flüchteten, sondern Schweizer Unternehmer und Anleger, die Angst vor dem Eurokollaps hatten. Diesbezüglich hat sich in den letzten zwei Jahren das Bild aber umgedreht. Die Angst vor einem Zerfall der Eurozone ist einem Eurooptimismus gewichen. Das hat geholfen, eine Aufwärtsbewegung im Euro-Franken-Kurs in Gang zu setzen.

Ist die Eurozone aus dem Schneider? Strukturell hat sich seit der Eurokrise ja wenig verändert.
Gegenfrage: In welcher anderen Volkswirtschaft hat sich strukturell viel verändert? Natürlich sind in der Eurozone nicht alle Probleme behoben. Doch sie hat Fortschritte erzielt. Immerhin steht die Bankenunion. Die Haushaltsdefizite sind kleiner geworden, und die Wirtschaft wächst so schnell wie lange nicht mehr. Die Währungsunion ist unternehmensfreundlicher geworden. Auf der Ease-of-Doing-Business-Rangliste der Weltbank haben die Euroländer Plätze gutgemacht. Einzelne Länder wie etwa Spanien haben weitreichende Reformen angepackt.

Den USA sind die europäischen Exportüberschüsse ein Dorn im Auge. Wie realistisch ist das Szenario eines Handelskriegs?
Rational betrachtet haben die involvierten Parteien keinen Anreiz, dass der Streit eskaliert. Aber mit Blick auf die US-Regierung sind Zweifel angebracht, ob wirklich alle Akteure sich rational verhalten. Trump hat ein Verständnis vom Welthandel, das von seiner Herkunft als Bauunternehmer geprägt ist: Es gibt entweder Gewinner oder Verlierer. Das Konzept der komparativen Vorteile, bei dem beide Handelspartner gewinnen, ist ihm fremd. Der Handelskonflikt bleibt daher wohl eines von mehreren Störfeuern für die Finanzmärkte. Eine Eskalation ist aber nicht unser Hauptszenario.

An welche anderen Störfeuer denken Sie?
Dazu gehört der Balanceakt der Zentralbanken im fortschreitenden Konjunkturzyklus. China könnte ebenfalls wieder auf den Radar kommen. Aktuell sieht das konjunkturelle Bild zwar gut aus. Das Kreditwachstum erscheint aber nicht nachhaltig, und sobald die Regierung sich gezwungen sieht, die Zügel wieder anzuziehen, könnte die Konjunktur schnell in die Knie gehen und wie 2015 die Finanzmärkte in Aufruhr versetzen. Auch das Thema Brexit schwelt im Hintergrund.

Wie sollen sich Anleger in diesem Umfeld positionieren?
Insgesamt haben Aktien derzeit bessere Ertragsaussichten als Anleihen, wobei wir vor allem europäische Valoren im Vorteil sehen. Qualität sollte bei der Selektion jedoch grossgeschrieben werden. Die wichtigsten Qualitätsmerkmale sind ein stabiles und mittelfristig attraktives Gewinnwachstum sowie eine überdurchschnittliche Rendite auf das eingesetzte Kapital.

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