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12:10 Uhr - 14.02.2017

«Die politischen Risiken werden überschätzt»

Sandro Merino, Chief Investment Officer bei der Basler Kantonalbank und ihrer Tochter Bank Coop, setzt trotz aller Unsicherheiten auf steigende Aktienkurse und verrät seine Tipps für den Schweizer Markt.

Herr Merino, 2017 wird aus politischer Sicht ein ereignisreiches Jahr. Für die Aktienmärkte bedeutet das Unsicherheit. Heisst das Finger weg vor Aktien?
Nein. Wie wir beim Brexit gesehen haben, reagieren die Aktienmärkte auf politische Ereignisse weniger stark als gedacht. Viel wichtiger sind die fundamentalen Fakten. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

Auf welche Fundamentaldaten achten Sie?
In den USA herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Die Konsumentenstimmung ist auf einem Fünfzehnjahreshoch. In Europa nähert sich die Arbeitslosigkeit normalen Werten. Das Weltwirtschaftswachstum beträgt anständige 3%. Gleichzeitig besteht kein Inflationsdruck. Ansprechende Konjunkturdaten und ein geringer Bedarf, die Zinsen zu erhöhen, sind ein guter Nährboden für steigende Kurse.

Dennoch, in Europa stehen entscheidende Wahlen an, die über den Fortbestand der EU entscheiden könnten.
Ich denke, die Risiken werden überschätzt. Die EU bricht nicht so leicht auseinander.

In Frankreich, einem der Kernländer der EU, mischt die rechtskonservative Politikerin Marine Le Pen im Rennen um das Präsidentschaftsamt an vorderster Front mit. Sie fordert den EU-Ausstieg.
Wollte ein Land ohne Schaden aus dem Euro austreten, müsste es das schockartig tun. Sonst droht eine massive Kapitalflucht. Das politische System von Frankreich lässt jedoch Reformen über Nacht nicht zu. Es bräuchte eine Mehrheit in der Legislative. Dabei gilt zu bedenken, dass sich Frankreich nicht in einer akuten Krise befindet wie etwa Griechenland in den letzten Jahren. Ein Austritt aus der EU wäre mit so vielen Nachteilen verbunden, dass es schlicht extrem unklug wäre, ihn wirklich ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Auch in Deutschland stehen Wahlen an. Damit dürfte dort bald lauter über die Vor- und die Nachteile der EU diskutiert werden. Das bedeutet Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft Europas.
Mit Ausnahme der AfD sind alle relevanten Parteien für den Verbleib in der EU. Für Deutschland bietet die Union schlicht zu viele Vorteile, als dass sich ein Ausstieg lohnen würde. Die deutschen Hauptexportmärkte können dank des Euros ihre Währung nicht mehr abwerten. Das ist ein gewaltiger Nutzen, den Deutschland nicht so leicht aufs Spiel setzen sollte. Ausserdem stabilisiert sich die Schuldensituation in der Eurozone langsam. Die Gegner der EU verlieren also Argumente.

Wie schwer werden die Unsicherheiten um Donald Trumps Politagenda auf den Finanzmärkten lasten?
Wir werden 2017 sehen, in welche Richtung Donald Trump das Land lenken wird. Es wird wichtig sein, wie das Oberste Gericht auf die verfassungsrechtlichen Klagen zu seinen «Hauruck»-Dekreten reagieren wird. Auch wenn Trump sich gerne autokratisch gibt, haben die USA starke Institutionen und eine Verfassung, die die Gewaltentrennung im Staat garantiert. Er kann Staatsanwälte feuern, aber nicht die obersten Richter. Diese mögen konservative republikanische Werte vertreten, sind aber noch stärker der Verfassung verpflichtet. Diese Entwicklungen müssen ganz genau verfolgt werden. Das tun die Öffentlichkeit und insbesondere die Gegner von Trump gerade sehr akribisch.

Die Sorglosigkeit an den Märkten hat zu einem Anlagenotstand geführt. Wie kommen Investoren weiterhin zu einer anständigen Rendite?
Wir raten, den Horizont zu öffnen. Um eine anständige Rendite zu erwirtschaften, muss man heute globaler und breiter diversifizieren. Der Technologiesektor beispielsweise ist in der Schweiz am Aktienmarkt praktisch inexistent. Doch genau hier liegen viele Chancen. Es könnte sich also lohnen, strategisch in Tech-Aktien zu investieren. Auch bei Titeln aus den Emerging Markets und bei gewissen Obligationen sehe ich weiterhin Potenzial.

Der Tech-Sektor ist jedoch bereits hoch bewertet. Gibt es dort überhaupt noch Einstiegsgelegenheiten?
Der Tech-Sektor wächst schnell. Die Bewertungen müssen daher immer in Relation zum Wachstum gesetzt werden. Aus dieser Sicht erscheinen sie mir noch nicht zu hoch. Es ist aber ein Sektor, in dem aktive Titelselektion Sinn macht. So können auch Bewertungsaspekte differenzierter berücksichtigt werden.

Tech-Papiere sind vor allem an der US-Börse kotiert. Dort stehen jedoch für Aktien tendenziell lähmende Zinserhöhungen an. Spricht das nicht gegen IT-Valoren?
Die US-Notenbank erhöht die Zinsen, weil die USA wirtschaftlich wieder besser dastehen. Sie macht das also aus einer Position der Stärke. Zudem gibt es kaum Inflationsdruck. Das Fed kann also sehr bedacht an der Zinsschraube drehen. Deshalb rechne ich trotz Zinserhöhungen nicht mit Druck auf US-Aktien.

Titel in Schwellenländern sind immer ein Spiel mit dem Feuer. Viele befinden sich zur Mehrheit im Besitz des jeweiligen Staates. Der jedoch achtet meist wenig auf Aktionärsrechte. Wie müssen sich Anleger dort positionieren?
Sie sollten darauf achten, dass die Corporate Governance stimmt. Ein gewisses Mass an Aktionärsrechten, wie wir es aus Europa oder den USA gewohnt sind, sollte in der Tat gegeben sein. Vorsicht walten  lassen sollten Anleger bei Titeln von Versorgern und aus dem Finanzsektor, die oft stark staatlich geprägt sind. Chancen sehe ich jedoch bei Basiskonsumgütern, Pharma und Industrietiteln.

Was halten Sie von Schweizer Aktien? Wird 2017 für sie zu einem weiteren Trauerjahr?
Schweizer Aktien haben in den letzten zwei Jahren gegenüber US-Valoren in der Tat schlecht abgeschnitten. Das könnte sich nun jedoch ändern. Die Erwartungen an die Unternehmensgewinne sind nicht übertrieben hoch. Wenn sie erreicht werden, liegen Renditen von 5 bis 10% drin. 2017 gibt also nicht zu besonderem Pessimismus Anlass.

Welche Aktien empfehlen Sie?
Lukrativ erscheinen uns derzeit mitunter Straumann und Basilea aus dem Gesundheitsbereich und Schindler sowie Geberit aus dem Infrastruktursektor.

Was reizt Sie an diesen Titeln?
Straumann wird immer mehr zum voll integrierten Zahnersatzanbieter. Basilea hat mittlerweile zwei zugelassene Produkte auf dem Markt. Schindler und Geberit mögen wir wegen des weiterhin zunehmenden Bedarfs an Infrastruktur auf der ganzen Welt.

Auch welche Regionen setzen Sie?
Einem Schweizer Investor rate ich derzeit, zu zwei Dritteln in Schweizer und zu einem Drittel in ausländische Aktien zu investieren. Dabei sollten vor allem US-Titel im Vordergrund stehen.

Sie haben erwähnt, gewisse Anleihen hätten weiteres Potenzial. Welche Obligationen mögen Sie?
Viele Schweizer Investoren vernachlässigen Obligationen ausserhalb ihres Landes. Dabei bieten sie vor dem Hintergrund des rekordtiefen Zinsniveaus in der Schweiz eine interessante Alternative.

Wo also lohnt sich der Einstieg?
Infrage kommen beispielsweise Anleihen von Schwellenländern in Lokalwährung. Auch australische Obligationen bieten Chancen. Nicht zu vergessen sind zudem Hochzinsanleihen in Dollar, die nach wie vor eine gute Rendite abwerfen. Mischt man diese Obligationen bei, kommt man insgesamt immerhin auf eine Rendite von 3 bis 4%.

Mit einem höheren Auslandexposure gehen Investoren Wechselkursrisiken ein. Erwarten Sie im Fremdwährungsmarkt eine höhere oder eine tiefere Volatilität als im Vorjahr?
Fremdwährungen erhöhen natürlich die Volatilität des Portfolios leicht. Bis Ende Jahr rechnen wir mit einem zum Franken etwas höheren Dollar. Den Euro erwarten wir in etwa auf dem gleichen Niveau wie letztes Jahr. Das britische Pfund und auch den Yen prognostizieren wir ebenfalls stärker. Chinas Währung ist mittlerweile ein Teil des internationalen Währungsgefüges, mit allen Vor- und Nachteilen. Die Chinesen stehen nun für eine flexible Währung.

Lohnen sich Immobilien auch weiterhin als Beimischung?
Bei Immobilien wäre ich vorsichtig. Für mich zeugt die gegenwärtige Situation von einer Sättigung; dies nach einem Boom, der schon über zehn Jahre dauert.

Also Finger weg von Immobilien?
Mehr Vorsicht ist sicher geboten. Das Renditepotenzial liegt mittlerweile unter dem langjährigen Durchschnitt. Sorgen mache ich mir vor allem bei den erst vor kurzem finanzierten Renditeliegenschaften. Dabei wurde sehr knapp kalkuliert.

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