Zurück zur Übersicht
17:40 Uhr - 21.02.2022

Was die Flugbewegung des CEO-Firmenjets offenbart

Alternative Daten für Finanzanalysten sind wertvoll. Aber sie sind auch kostspielig und riskant.

Finanzinstitute stützen ihre Analyse- und Entscheidungsprozesse in der Regel mit externen Daten ab, um die Prognosequalität zu optimieren. So ba­sieren Investitionsentscheidungen zum Beispiel routinemässig auf den standar­disierten Finanzkennzahlen und der Finanzberichterstattung der Unternehmen. Kreditentscheide wiederum beruhen auf Daten, die den Kreditnehmer charakterisieren – dazu gehört beispielsweise sein Zahlungsverhalten. In jüngster Zeit werden immer mehr Daten gesammelt, und die Finanzbranche beginnt ihre tradi­tionellen Datenquellen nach und nach durch weniger traditionelle – alternative – Daten zu ergänzen.

Einfach formuliert handelt es sich um Daten, die ausserhalb der traditionellen Datenquellen gesammelt werden. Im Grossen und Ganzen stammen alternative Daten aus drei Quellen. Die erste sind ­digitale Aktivitäten. Wir alle erzeugen – ­bewusst oder unbewusst – wertvolle Daten, wenn wir Beiträge in sozialen Medien posten, eine Suchmaschine bemühen, Webseiten besuchen oder Produkte im Internet bewerten.

Wertvolle Quellen

Die zweite Quelle speist sich aus Geschäftsvorgängen, die in jedem Unter­nehmen zur Tagesordnung gehören und digitale Spuren hinterlassen. Dazu zählen Kreditkartenübertragungen, öffentliche Verträge, Lohn- oder Verkaufsdaten oder Stellenausschreibungen. Die dritte Kategorie wird von Geräten gewonnen, die die Bewegungen von Personen, Waren und Dienstleistungen verfolgen.

Um konkreter zu werden, bietet sich das Beispiel an, wie alternative Daten im Finanzbereich gesammelt und ausgewertet werden. So verfolgen einige Investoren die Flugbewegungen der Firmenjets von CEO, um wichtige Geschäftsabschlüsse vorauszusehen. Im Rahmen solcher Beobachtungen zeigten sich einige US-Wertschriftenhändler alarmiert, als ein Privatjet mit Vertretern des Ölproduzenten Occidental im April 2019 in Warren Buffetts Heimatstadt Omaha landete. Interes­santerweise kündigte Buffetts Berkshire Hathaway (BRK.A 472'257.00 +0.34%) ein paar Tage später eine umfangreiche Investition in Occidental an.

Alternative Daten sind durchaus wertvolle Informationsquellen. Sie verfügen über zwei Vorteile gegenüber den tradi­tionellen Informationsquellen. Erstens liefern die meisten alternativen Daten, im Gegensatz zu Quartalsberichten und Unternehmensmitteilungen, wichtige Informationen nahezu in Echtzeit. Zweitens führen alternative Datensätze zu einem Informationsgewinn, der teils weit über die traditionellen Quellen hinausgeht.

Rendite überzeugt nicht

Doch die Gewinnung wertvoller Signale aus alternativen Daten ist kompliziert und kostspielig. So liegen die meisten Daten nur in unstrukturierter Weise vor. Es erfordert erhebliche Investitionen und Anstrengungen, um sie zu erfassen, zu interpretieren und aufzubereiten. Obwohl der Einsatz alternativer Daten schnell voranschreitet, bleibt unklar, wie sie sich auf die Finanzindustrie und das Funktionieren der Finanzmärkte auswirken. Auf den ersten Blick gibt es wenig Grund zur Sorge – je mehr Informationen, desto besser, könnte man meinen.

Neue Studien deuten aber darauf hin, dass die Realität eine andere sein könnte, wie zwei Beispiele illustrieren. Das erste bezieht sich auf die Leistung von quantitativen Vermögensverwaltern. Ihre Investitionsprozesse stützen sich in hohem Mass auf alternative Daten, sodass die Anlageperformance einen Rückschluss auf den Mehrwert dieser Daten in der Vermögensverwaltung erlaubt. Interessanterweise zeigt sich insgesamt ein eher ernüchterndes Bild. In den vergangenen zehn Jahren haben diese Anleger systematisch schlechter abgeschnitten als ihre Benchmarks und im Vergleich zu traditionellen Investoren eine triste Rendite erzielt.

Darüber hinaus neigen quantitative Anleger dazu, identische Vermögenswerte zu halten. Das macht sie anfällig für finanzielle Schocks und erinnert an den «Quant Meltdown» von 2007. Obwohl viele quantitative Investoren für sich in Anspruch nehmen, dass ihre eigenen Datensätze ­genau diese Anfälligkeit verringern, lässt eine Analyse das Gegenteil vermuten.

Langfristprognose leidet

Alternative Daten wirken sich zudem auch auf die Produktion von Informationen auf den Finanzmärkten aus. Studien belegen, dass Finanzanalysten, die sich stärker auf alternative Daten stützen, präzisere Prognosen für Gewinne in Jahresfrist abgeben. Ihre Fähigkeit, längerfristigen Ertrag zu prognostizieren, hat sich ­jedoch erheblich verschlechtert, da die aus den meisten alternativen Daten gewonnenen Erkenntnisse zwar zeitnah, aber leider von kurzsichtiger Natur sind.

Das überrascht nicht. Wer würde erwarten, dass Satellitenbilder der Parkplätze von Einzelhändlern Erkenntnisse liefern, die über ein paar Quartale hinausgehen? Die zunehmende Verfügbarkeit von kurzsichtigen alternativen Daten führt also dazu, dass die Produktion von Informationen von einem längeren Zeithorizont abweicht, mit potenziell schäd­lichen Folgen für die effiziente Kapital­allokation in der Wirtschaft.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.