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15:29 Uhr - 30.09.2014

«Europäische Aktien sind rekordgünstig bewertet»

Beat Wittmann, CEO von TCMG Asset Management, setzt weiterhin auf die US-Börsen und identifiziert Risiken in illiquiden Anleiheninvestitionen, wie er im Interview mit FuW erklärt.

Die amerikanischen Aktienmärkte verzeichnen seit mehreren Jahren kräftige Kursgewinne. Erwarten Sie, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzen wird?
Ja, absolut. Wir werden im kommenden Jahr eine ähnliche Entwicklung sehen. Der Verlauf wird aber stärker als bisher von den Unternehmensgewinnen abhängen. In den vergangenen Jahren haben US-Unternehmen ihre Kosten reduziert. Im ersten Halbjahr stand nun die Verbesserung der Ertragssituation im Fokus.

Die Finanzmärkte erwarten die Zinswende in den USA im kommenden Sommer. Teilen Sie diese Ansicht?
Ich bin immer vorsichtig, wenn es um Konsensmeinungen geht. Nirgends liegt der Konsens radikal falscher als im Zinsgeschäft. Aber die Zinswende wird kommen und die Finanzmärkte haben einen Grossteil bereits eingepreist. Ich denke aber, dass der Prozess langsamer und flacher verlaufen wird, als die Märkte erwarten.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der US-Wirtschaft ein?
Ich bin sehr positiv und erwarte in den kommenden Jahren ein Wachstum von 3% jährlich. Die grosse Binnenwirtschaft begünstigt die konjunkturelle Erholung und das amerikanische Finanzsystem hat die Krise relativ gut verarbeitet. Zudem ist eine Energierevolution im Gange. Die US-Produktion von Gas und Öl steigt seit fünf Jahren steil an. Das hat zwei Effekte: Die Unabhängigkeit vom Nahen Osten steigt und die Konsumenten und Unternehmen profitieren von tieferen Energiepreisen. Diese strukturellen Veränderungen werden in den traditionellen Wachstumsprognosen kaum berücksichtigt. Die US-Wirtschaft wird in den kommenden Jahren die Lokomotive für die Weltwirtschaft sein. Unser Anlageschwergewicht wird daher die USA bleiben und, mit Zeitverzögerung, Europa. Alles andere hat keine Priorität.

Ist der US-Aktienmarkt überbewertet?
Bewertungen spielen normalerweise nur in zwei Marktphasen eine Rolle: Wenn die Situation sehr angespannt ist oder wenn ein Exzess herrscht. Beispielsweise lag das Kurs-Buchwert-Verhältnis von US-Banken vor rund drei Jahren bei 0,6 – das ist ein klares Kaufsignal. Trotzdem haben sich die Investoren im damaligen Marktumfeld zurückgehalten. Von einem Exzess sind wir im Moment weit entfernt. Die Bewertung im US-Markt bewegt sich im Mittelfeld und wird davon abhängen, wie sich die Unternehmensgewinne entwickeln. Wenn sie sich in den kommenden zwölf Monaten verschlechtern, ist der Markt teuer. Ich erwarte, dass sich die Unternehmenslage verbessert und in diesem Fall ist der Markt relativ billig.

In Europa schwächt sich die Konjunktur momentan ab.
Die Eurozone wird von der US-Konjunkturerholung und dem starken Dollar profitieren. Zudem ist die EZB derzeit bestrebt, eine Triple-Dip-Rezession zu verhindern. Ich erwarte daher ein massives Quantitative-Easing-Programm, also den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB, in den kommenden Monaten. Das bedeutet eine weitere Verflachung der Zinskurve in der Eurozone und eine Konvergenz der langfristigen Renditen von Peripheriestaatsanleihen zu Bundrenditen. In diesem Marktumfeld werden Aktien das Hauptthema sein. Europäische Aktien sind gegenwärtig rekordgünstig bewertet. Bei einem Anlagehorizont von fünf bis zehn Jahren handelt es sich um eine historische Kaufgelegenheit.

Ist die Eurokrise denn vorbei?
Die Bewältigung der Eurokrise ist ein Prozess. In einer ersten Phase muss das Finanzsystem rehabilitiert werden. Ein wichtiger Meilenstein wird die europäische Bankenunion sein, die bis Jahresende stehen dürfte. Im Oktober werden zudem die Resultate des Bankenstresstests erwartet. Die Ziellinie ist also in Sicht und das wird Zuversicht schaffen. In Europa fehlt heute das Vertrauen der Konsumenten und der Unternehmen. Firmen refinanzieren sich zwar zu rekordtiefen Konditionen, doch sie investieren nicht. Ich bin aber optimistisch, dass der Prozess in den kommenden zwei bis drei Jahren Fortschritte machen wird.

Wo sehen Sie attraktive Investitionsmöglichkeiten in Europa?
Es gibt eine Verzögerung von etwa zwei Jahren auf den Konjunktur- und Kapitalmarktzyklus in den USA. Die Bewertungen sind entsprechend bis zu 30% niedriger. Diese Differenz wird über die kommenden zwei Jahre geschlossen werden. Zwei Drittel der europäischen Unternehmen weisen Dividendenrenditen aus, die höher sind als Bondrenditen. Das ist ein attraktives Umfeld, wenn Investoren bereit sind, die Volatilität in Kauf zu nehmen. Doch die Angst davor scheint noch immer zu dominieren. Ich staune dagegen, wie viele Anleger ohne weitere Gedanken in Obligationen investieren, die noch nie so illiquid waren wie in den vergangenen fünf Jahren.

Was raten Sie verunsicherten Anlegern?
Ich würde in Cash, Aktien und selektiv in alternative Investments wie Immobilien investieren.  Das Risiko in Obligationen wird heute nicht kompensiert.

Hat sich das Investieren seit der Finanzkrise verändert?
Das Marktumfeld ist ein Paradies für aktive Stockpicker. Die Kapitalmärkte sind viel ineffizienter als vor fünf Jahren, weil die Liquidität und das Volumen fehlen. Das bedeutet auch, dass es sehr grosse Performance-Unterschiede gibt. Santander hat in den vergangenen zwölf Monaten beispielsweise massive Kursgewinne erzielt, die Deutsche Bank (DBK 27.695 1.01%) verzeichnete hingegen Kursabschläge im gleichen Ausmass. Zudem ist die Finanzanalyse der Investmentbanken kollabiert. Heute gibt es zwar noch vierzig Meinungen zu Nestlé (NESN 70.15 0.79%). Aber für einen Mid-Cap-Titel, sei es in der Schweiz oder anderswo, fehlen Analysen.

Gibt es Anlageklassen, in denen Sie Übertreibungen sehen?
Ja. Dazu zählen etwa hochverzinsliche Anleihen. Wenn ich die Ausfallraten betrachte, die Risikoaufschläge und das Investorenverhalten, dann würde ich heute nicht in solche Instrumente investieren.

Welche Anlageklassen meiden Sie noch?
Ich sehe seit Jahren die Emerging Markets kritisch und diese Überzeugung hat sich gefestigt. Die Einschätzung gilt für die Anlagekategorie insgesamt; es gibt durchaus einzelne  Länder, die erfolgreich sind. Ein positives Beispiel ist Chile. Aber wenn die USA und Europa eine gute Performance bieten, warum soll man als Anleger ein zusätzliches Risiko eingehen? Die meisten Schwellenländer haben ein goldenes Jahrzehnt hinter sich. Ab 2000 haben sie als Exporteure vom Rohstoff-Boom profitiert. Viele, dazu gehört Brasilien, haben diese Einnahmen nicht sinnvoll eingesetzt und etwa in Infrastruktur investiert. Sie haben den Boom verkonsumiert. Heute sind sie mit China konfrontiert, das statt 10% noch 6% wächst. Die Rohstoffpreise werden nicht mehr wie in der Vergangenheit anziehen. Zudem wird der Dollar stärker und die US-Zinsen werden steigen. Das führt zu höheren Inflationsraten und schwächeren Währungen in den Schwellenländern. Investoren spielen das Thema am besten indirekt über amerikanische oder europäische Konzerne.

Wo identifizieren Sie die grössten Risiken in den Finanzmärkten?
Die höheren US-Zinsen und der starke Dollar könnten eine Krise in Schwellenländern auslösen. Es reicht, dass ein oder zwei Länder in Schieflage geraten um die Investoren nervös zu machen und die gesamte Anlageklasse in Frage zu stellen. Das haben wir 1997 mit Thailand erlebt. Die Zinswende wird zudem ein Risiko für illiquide Bondanlagen sein. Dazu gehören etwa Unternehmensanleihen. Diese Anlageklasse hat in den vergangenen Jahren enorme Zuflüsse verzeichnet. In diesem Zusammenhang halte ich ETF auf Anleihen für eine der grössten Risiken, weil sie eine liquide Forderung auf einen illiquiden Basiswert darstellen.

Wie sind Schweizer Unternehmen für einen Konjunkturaufschwung positioniert?
Die Schweiz ist sehr exportorientiert und der Aktienmarktindex bietet ausgezeichnete Möglichkeiten, um an der globalen Erholung teilzunehmen. Ich bin überzeugt, dass ein ETF auf den Schweizer Aktienmarkt in den kommenden fünf Jahren besser abschneiden wird als eine Investition in Bonds oder Cash.

Welche Sektoren bevorzugen Sie?
Der Konsumsektor bietet je nach Bedürfnis des Anlegers verschiedene Möglichkeiten. Defensive Investoren werden bei Basiskonsumgütern wie Nestlé fündig. Zyklische Luxusgüteraktien sind zwar volatil, aber langfristig profitieren Investoren von der Preismacht und hohen Margen. Der Bereich Lifesciences, wo die Schweiz stark vertreten ist, bietet Chancen wegen der demographischen und technologischen Entwicklung. Eine der attraktivsten Anlagemöglichkeiten in den kommenden zwölf bis vierundzwanzig Monaten sind europäische Bankentitel, die eine Kursleistung von 30 bis 50% erzielen könnten. Die Risikoaversion ist aber extrem hoch.

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