Martyn Hole, Investment Director beim US-Fondshaus Capital Group, mag europäische Aktien. Einzig ihre Beliebtheit stört ihn.
Herr Hole, die Märkte scheinen überaus selbstgefällig. Ist das ein Grund zur Sorge?
In vielen unserer Fonds haben die Manager in den vergangenen Monaten ihre Aktienrisiken reduziert und ihre Bargeldquote stetig erhöht. Mittlerweile liegt sie im historischen Vergleich eher am oberen Ende. Das zeigt, dass einige unserer Fondsmanager nervös geworden sind.
Weil Aktien inzwischen überbewertet sind?
Die Bewertungen sind noch nicht allzu hoch. So handelt der Weltaktienindex auf Basis der für die nächsten zwölf Monate geschätzten Gewinne auf einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 16,5. Die Dividendenrenditen sind ebenfalls respektabel. Globale Aktien werfen eine Rendite von rund 2,8% ab. Noch besser sieht es für europäische Titel aus – sie handeln auf einem niedrigeren KGV und bieten eine Dividendenrendite von 3,5%. Das ist insbesondere im Vergleich zu Obligationen äusserst attraktiv.
Sind Aktien nur relativ zu Anleihen attraktiv? Kennzahlen wie das Shiller-KGV deuten auf eine eher stolze Bewertung hin.
Ich glaube, das zyklisch adjustierte KGV von Robert Shiller unterschätzt derzeit die Unternehmensgewinne – und lässt insbesondere den US-Aktienmarkt teurer erscheinen, als er tatsächlich ist.
Weshalb?
In das Shiller-KGV fliessen die realen Gewinne der vergangenen zehn Jahre. Diese Zeitspanne umfasst aber auch die Finanzkrise, als die Gewinne einbrachen.
Aber das ist doch genau der Sinn dieser Kennzahl – den durchschnittlichen Gewinn über einen Konjunkturzyklus zu erfassen?
Schon, aber der Kollaps der Unternehmensgewinne während der globalen Finanzkrise war viel heftiger als alles, was wir seit der Grossen Depression in den Dreissigerjahren erlebt haben. Das war ein Ereignis, das nur einmal im Leben eines Anlegers geschieht. Deshalb glaube ich, dass das Shiller-KGV die Bewertung zu negativ darstellt. Korrigiert man diesen Effekt, ergibt sich ein KGV von etwa 20.
Das ist aber immer noch überdurchschnittlich hoch.
Betrachtet man die vergangenen Jahrzehnte, liegen die Bewertungen tatsächlich im oberen Bereich. Nur während der Technologieblase zur Jahrtausendwende oder während der Nifty-Fifty-Blase in den Siebzigerjahren waren sie höher.
Bereitet Ihnen das keine Sorgen?
Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung der Unternehmensgewinne die Börse treibt. In den USA werden die Gewinnschätzungen seit Anfang 2016 stetig nach oben revidiert. In Europa sieht es mittlerweile noch besser aus. Haben die Gewinne dort im Vergleich zu den USA über viele Jahre enttäuscht, hat sich das im Juni des vergangenen Jahres geändert. Seither steigen die Gewinnerwartungen auf dem Alten Kontinent stärker. Hält dieser Trend an, ist das positiv für europäische Valoren. Insgesamt sind also die Bewertungen in Ordnung, die Gewinnaussichten haben sich aber merklich aufgehellt.
Dann haben diejenigen Anleger recht, die jetzt in europäische Aktien drängen?
Es beunruhigt mich sehr, dass das Gros unserer Portfoliomanager ein Übergewicht in Europa hat. Ich investiere ungern mit dem Konsens – denn er liegt fast immer falsch. Ebenfalls besorgniserregend sind Umfragen wie diejenige von Bank of America (BAC 23.04 -0.04%) Merrill Lynch, die zeigen, dass Fondsmanager generell extrem zuversichtlich für europäische Aktien sind. Vorderhand aber dürften die anziehenden Gewinne die Börsen unterstützen.
Alles in Butter also?
Solange kein Schock die Märkte erfasst, sollten sie sich zufriedenstellend entwickeln. Sie werden von den heutigen Niveaus wohl keine spektakulären Kursgewinne erzielen, aber eine anständige Performance sollte möglich sein.
Weshalb sind viele Ihrer Fondsmanager dennoch nervös?
Wir hatten eine lange Periode unglaublich niedriger Volatilität, und wir glauben, es gibt einen Zusammenhang zwischen Zinsen und Volatilität. Steigen die Zinsen in den USA – auch wenn wir keinen rasanten Anstieg erwarten, ist die Richtung vorgegeben –, dürften mit einer gewissen Verzögerung auch die Schwankungen an den Märkten zunehmen. Und eine höhere Volatilität bedeutet in der Regel ein höheres Risiko für Kurseinbrüche an den Börsen.
Gibt es weitere Gründe für die zunehmende Vorsicht?
Die Aktienrückkäufe von US-Unternehmen haben mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht. Und das ist typischerweise dann zu beobachten, wenn sich die Märkte ihrem Höhepunkt nähern.
Aktienrückkäufe sind demnach ein guter Kontraindikator?
Genau. Unternehmen sind notorisch schlecht darin, zum richtigen Zeitpunkt eigene Aktien zurückzukaufen. So erreichten die Aktienrückkäufe 2007 – als alles teuer war – einen Höhepunkt, während sie 2009 – als Aktien günstig waren – auf einen Tiefpunkt fielen. Ein weiterer verlässlicher Indikator sind die sogenannten Insider-Transaktionen. Das sind die Käufe und Verkäufe von Aktien der eigenen Firma durch leitende Angestellte oder den CEO.
Und was machen die Insider im Moment?
Sie stossen überdurchschnittlich viele Aktien ab. Das zeigt, dass die Insider Aktien für überbewertet halten.
China ist etwas in den Hintergrund getreten. Könnte von dort ein Schock ausgehen, der die Märkte durchschüttelt?
Einige unserer Fondsmanager machen sich tatsächlich Sorgen um Chinas Wirtschaft. Unser Ökonom, Stephen Green, ist im Moment aber immer noch ziemlich zuversichtlich. Die Verschuldung in China ist zwar hoch, aber noch nicht auf einem unerhörten Niveau, wie etwa in Japan. Doch das Kreditvolumen wächst rapide, was dereinst zu Problemen führen könnte. Immerhin, und anders als in vielen anderen Schwellenländern, ist der Grossteil der Schulden in Lokalwährung und nicht in Dollar. Deshalb ist die Lage nachhaltiger.
Eine Krise wäre dann weniger verheerend?
Genau, in einer Krise fällt normalerweise die Lokalwährung. Damit erhöht sich die Schuldenlast, wenn sie in Dollar denominiert ist. Um den Währungsverfall zu stoppen, wäre die Notenbank in einem solchen Fall gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, was das Wachstum abwürgt. Dieses Risiko ist in China geringer.
Gibt es neben Europa weitere attraktive Märkte?
Wir sind wieder etwas zuversichtlicher für die Schwellenländer. Die Gewinnentwicklung hat jüngst an Dynamik gewonnen – obschon die Emerging Markets unmittelbar nach der Wahl von Donald Trump unter Druck gerieten. Mit einem KGV von 12 und einer Dividendenrendite von 2,8% kann sich die Bewertung des Schwellenländerindex von MSCI durchaus sehen lassen.
Können Sie einzelne Länder nennen?
Einige Volkswirtschaften, die vor kurzem noch in grossen Schwierigkeiten steckten, wie etwa Brasilien, scheinen sich langsam zu erholen. Das Land ist zwar noch nicht über den Berg, aber seine Aussichten haben sich verbessert. Angesichts der jüngsten Korruptionsvorwürfe um Präsident Temer besteht jedoch kurzfristig eine gewisse politische Unsicherheit. Indien hat die Demonetarisierung von Ende 2016 ebenfalls erstaunlich gut weggesteckt.
Wie schätzen Sie Japan ein?
In den meisten globalen Portfolios sind wir in japanischen Titeln untergewichtet.
Aber die Gewinnentwicklung japanischer Gesellschaften ist doch robust?
Das stimmt, aber viele japanische Branchen sind einfach nicht besonders attraktiv. Wir haben beispielsweise Mühe, interessante Pharmaunternehmen zu finden. Wir mögen keinen der Versorger, und die Lebensmittelkonzerne überzeugen uns ebenfalls nicht. Addiert man all diese Segmente, ergibt das einen grossen Teil des Marktes, der wenig interessant ist,
Was ist interessant?
Wir werden vor allem in der Industrie fündig, aber auch im Technologie- oder im Telecomsektor. Keyence, ein Anbieter von Automatisierungstechnik, gehört etwa dazu, oder SMC. Den Roboterhersteller Fanuc (Fanuc 19.76 -0.1%) mögen wir ebenfalls.
Welche Sektoren – nicht nur in Japan – sind momentan vielversprechend?
Wir sehen Chancen im Finanzsektor. Dabei bevorzugen wir skandinavische Banken sowie Institute aus dem Vereinigten Königreich. Die Anzahl der Finanzinstitute ist dort geringer als etwa in Frankreich, Deutschland oder Italien, weshalb die Profitabilität höher ist.
Welche Branchen meiden Sie?
Aktuell haben wir ein Untergewicht bei Bergbauunternehmen. Einige dieser Titel sind bereits sehr gut gelaufen, weshalb wir Gewinne realisiert haben.
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