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15:08 Uhr - 05.08.2014

«Franken und Euro stehen vor einer Abwertung»

Tom Flury, Global Head Currency Strategy von UBS Wealth Management, sagt im Interview, dass sich Franken und Euro nicht nur gegen den Dollar, sondern auch gegen Yen und Pfund abschwächen werden.

Herr Flury, gibt es eine Währung, die Sie zurzeit aus Sicht des Frankens absichern würden?
Gemäss unserer Prognose wird der Franken zusammen mit dem Euro über die nächsten zwölf Monate die schwächste Performance auf dem globalen Währungsparkett aufweisen. Allein auf diese Prognose gestützt gibt es keinen Absicherungsbedarf. Als sehr riskant betrachten wir jedoch die Entwicklung im australischen und im neuseeländischen Dollar, dies aufgrund ihrer Überbewertung. Tom Flury sieht den Dollar in den nächsten sechs Monaten auf 96 Rappen steigen. Aus politischen Gründen ist Vorsicht geboten bei der türkischen Lira, beim Rubel und auch beim brasilianischen Real.

Was hat sich im Währungsgefüge in letzter Zeit verändert, gibt es neue Tendenzen?
Die Währungsschwankungen sind extrem niedrig. Das verleitet viele Anlegerinnen und Anleger dazu, den potenziellen Gefahren auf dem Devisenmarkt zu wenig Beachtung zu schenken. Der Markt ist insgesamt zu wenig abgesichert.

Wie meinen Sie das?
Die meisten Investoren haben dieses Jahr grosses Vertrauen in den Dollar gefasst. Wir teilen die Einschätzung, dass der Dollar kräftig aufwerten soll. Aber trotzdem braucht jeder Anleger einen Plan B, falls die USA mit ihrem Staatshaushalt und der volkswirtschaftlichen Entwicklung, die noch immer geschwächt ist, enttäuschen sollte.

Die geopolitischen Spannungen – Stichworte Ukraine/Russland und Israel/Palästina – nehmen zu. Wie schlägt das auf den Markt durch?
Der Devisenmarkt zeigt keine Anzeichen von Verunsicherung. Die Optionspreise stellen die Versicherungsprämien auf dem Devisenmarkt dar: Sie sind extrem tief. Der israelische Shekel verhält sich stabil zum US-Dollar, und der Rubel ist weit von den Tiefstständen gegenüber dem Euro entfernt. Latent labile Währungen, wie zum Beispiel die türkische Lira, werden bislang nicht in den Strudel mit hineingezogen. Es herrscht definitiv keine Krisenstimmung.

Was steht für den Dollar, für den Euro auf dem Spiel, wenn sich der Konflikt mit Russland verschärft?
Die normale Reaktion der grossen Zentralbanken auf eine Verschärfung der Krise ist es, die Geldpolitik zu lockern. Da die Geldschleusen schon heute überall sehr weit geöffnet sind, ist der Markt schon gut auf Unangenehmes vorbereitet. Eine weitere Verschärfung des Russlandkonflikts würde sehr wahrscheinlich den Dollar gegenüber dem Euro stützen. Doch unabhängig vom Konflikt mit Russland sind die meisten Marktteilnehmer für eine Dollaraufwertung positioniert. Die Krise ist nur ein weiteres Element, das diese Positionen unterstützt.

Seit es die Eurokursuntergrenze gibt, ist jede Überlegung zu Dollar und Euro auch eine Frage zum Franken. Wie sieht dessen nächste Zukunft aus?
An der Kursuntergrenze Euro/Franken von 1.20 Fr.  wird sich kaum etwas ändern. Die Gründe dafür haben sich zwar verschoben, aber die Indikation bleibt die Gleiche. Die Kursuntergrenze wurde vor drei Jahren eingeführt, als viele Anleger vor einem Auseinanderbrechen des Euros Angst hatten. Diese Ängste sind weitgehend verflogen, aber dafür machen jetzt die niedrigen Zinsen den Euro unattraktiv. Wir rechnen damit, dass der Franken zusammen mit dem Euro vor einer breiteren Abwertung steht. Für den Franken wäre das eine Normalisierung gegenüber einem stark unterbewerteten Dollar.

Wie stark ist das Verteidigungsdispositiv der Schweizerischen Nationalbank? Könnte die Notenbankbilanz eine allfällige teure Verteidigungsaktion verkraften?
Ich rechne nicht mit einer teuren Interventionswelle. Die Schweiz unterliegt den gleichen Deflationsgefahren wie Europa, also kann sie das Beibehalten der Untergrenze glaubwürdig vertreten. Die Achillesverse der Bilanz ist ebenfalls eine Aufwertung des Frankens. Wird der Franken stärker, muss die Schweizerische Nationalbank Bewertungskorrekturen auf den Devisenreserven vornehmen. Somit ist die Bilanzpflege ein weiteres glaubwürdiges Argument, warum die Nationalbank den Mindestkurs halten will.

Wie wird sich die Währungsrelation – um nicht zu sagen das Währungspaar – Franken/Euro langfristig entwickeln?
Der Franken hatte vor der Einführung des Euros gegenüber der deutschen Mark eine Aufwertungstendenz aufgewiesen. Diese dauerte später auch gegenüber dem Euro an. Der wichtigste Grund dafür war die niedrige Inflation in der Schweiz. Wir gehen davon aus, dass sich diese Tendenz auch langfristig fortsetzt. Deshalb erscheint es als wichtig, dass Phasen der Entspannung für den Abbau der Devisenreserven genutzt werden.

Eine Abwertung von Franken und Euro respektive Aufwertung des Dollars liegt aufgrund der Zinsdivergenz schon länger im Raum. Letzte Woche sah es aus, als würde der Dollar tatsächlich schwächer. Wird das Szenario, das auch Sie teilen, jetzt wahr?
Die niedrige Inflation im Euroland, die jüngsten Wachstumszahlen der USA, wo die Wirtschaft im zweiten Quartal nach ersten Zahlen 4% gewachsen ist, sowie die Medienmitteilung der US-Notenbank von letzter Woche sprechen alle dafür, dass der Trend weiter geht. Die USA, die in den vergangen Jahren sehr viel Geld gedruckt haben, müssen allmählich etwas kurzer treten. Europa hingegen muss die Wirtschaft nochmals mit neuen Geldmitteln unterstützen. Das macht tendenziell den Dollar stärker und den Euro schwächer.

Wem nützt eine solche Entwicklung, eine Abschwächung des Euros, mehr: Deutschland oder den Südländern in Euroland?
Die Abschwächung nützt der ganzen Eurozone. Sie soll helfen, die Investments im Euroland anzukurbeln. Das dürfte in allen Regionen von Europa gleichermassen der Fall sein.

Sind ein markant stärkerer Dollar und ein schwächerer Euro in einer Welt des Abwertungswettlaufs überhaupt durchzusetzen?  Wie reagieren China und Japan?
Solange der Dollar stärker wird, weil die amerikanische Notenbank eine weniger lockere Geldpolitik wünscht, sehe ich keine Probleme. Japan wird wahrscheinlich wie Europa seine expansive Politik weiterführen. Von China erwarte ich wenig Reaktionen auf eine Werteverschiebung zwischen dem Euro und dem US-Dollar, solange die Bewegung im Rahmen der Bandbreiten der vergangenen Jahre stattfindet, sprich zwischen einem Euro-Dollar-Kurs von 1.40 bis 1.20 $. Aktuell bewegt sich der Kurs um 1.34 $, da gibt’s also noch Spielraum.

Weil Wechselkurse so volatil sind, gelten Devisenprognosen als die schwierigste Aufgabe am Finanzmarkt. Gibt es etwas, das Ihnen den Job als Devisenexperte erleichtern würde?
Feste Wechselkurse würde die Sache natürlich sehr einfach machen, aber auch langweilig. Abgesehen davon glaube ich, dass es ein Mythos ist, Aktien oder Zinsen seien einfacher zu prognostizieren als Wechselkurse. Meine Erfahrung ist, dass für meine Arbeit ein gutes Verständnis der Politik und der Wirtschaftsmodelle wichtiger ist, als hochkomplexe statistische Modelle. Es ist auch einfacher, eine erfolgreiche Anlagestrategie zu entwickeln, als jederzeit gute Prognosen auf zehn verschiedene Währungspaare zu liefern.

Machen wir die Probe aufs Exempel: Wo sehen Sie Dollar, Euro und Yen zum Franken Ende Jahr?
Für die nächsten sechs Monate erwarten wir eine Aufwertung des Dollars von derzeit knapp 91 auf 96 Rappen. Der Yen sollte in der gleichen Zeit ebenfalls aufwerten, von aktuell 89 Rappen für 100 Yen auf 95 Rappen. Für den Eurokurs haben wir eine Seitwärtsprognose auf 1.23 Fr. gesetzt. Auf zwölf Monate hinaus rechnen wir mit einer Seitwärtsbewegung von 1,21 auf 1.25 Fr. pro Euro.

Welche wichtigste Empfehlung leitet sich daraus für den Anlagemix ab, was ist beim Währungsmix zu berücksichtigen?
Zurzeit lohnt es sich nicht, Engagements im US-Dollar, im Pfund, im Euro und in den meisten andern traditionellen Anlagewährungen aus taktischen Gründen abzusichern. Solange die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik expansiver gestaltet und die Euro-Franken-Untergrenze stabil ist, fallen ausserhalb der Franken/Eurozone höhere Renditen an.

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