Ed Yardeni, Chef von Yardeni Research, hält die Gefahr eines Handelskriegs für überschätzt und sagt, warum an der Börse noch mehr Kursgewinne zu holen sind.
Wenn sich Ed Yardeni zu Wort meldet, hören Investoren genau hin. Der Gründer des unabhängigen Anlageberaters Yardeni Research ist seit vier Jahrzehnten im Geschäft und wird für seine fundierten Marktanalysen hochgeschätzt. An Wallstreet als «Dr. Ed» bekannt, hält er an seiner zuversichtlichen Grundeinschätzung für Aktien fest, auch wenn Kursschwankungen zunehmen.
«Aus Erfahrung zeigt sich, dass optimistische Investmentstrategien besser funktionieren als pessimistische», argumentiert er in seinem brandneuen Buch «Predicting the Markets». Ab und zu herrsche zwar Endstimmung. «Solche Phasen dauern aber weniger lang als die guten Zeiten», ergänzt er in gewohnt trockenem Ton im Interview.
Guter Dinge ist Yardeni vor allem wegen der robusten Weltkonjunktur. Zudem werde die Abschlusssaison zum ersten Quartal nun im Detail zeigen, wie stark Unternehmen von den Steuerkürzungen in den USA profitieren.
Herr Yardeni, an den Weltleitbörsen in den USA geht es seit Februar ziemlich ruppig zu. Was passiert nun als Nächstes?
Ich bleibe zuversichtlich und rechne damit, dass die Kurse im Gleichschritt mit den Unternehmensgewinnen weiter steigen. Seit Beginn dieser Hausse im März 2009 sind die US-Börsen bereits von sechzig Panikattacken erschüttert worden. Bei vier davon handelte es sich um eine Korrektur mit einem Rückschlag von mehr als 10%. Jetzt ist eine weitere hinzugekommen. Das Risiko besteht natürlich immer, dass ein Panikschub eines Tages in eine gravierende Baisse ausartet. Derzeit bleibe ich aber im Markt engagiert, denn Aktien gehören zu den besten Investments.
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Was stimmt Sie so zuversichtlich?
Im Januar gab es an der Börse eine Überhitzung. Seither nimmt die Volatilität zu, weil Sorgen um einen Handelskrieg aufkommen und die Finanzmärkte realisieren, dass die US-Notenbank die Zinsen weiter straffen wird. Vor diesem Hintergrund haben sich Bullen und Bären im Februar und März ein Seilziehen geliefert. Mit der Berichtssaison werden Anleger in den kommenden Wochen nun aber in vollem Umfang sehen, wie stark US-Konzerne vom neuen Steuergesetz profitieren. Ich erwarte daher, dass sich der Leitindex S&P 500 bis Ende Jahr auf 3100 bewegen wird. Zum aktuellen Stand entspricht das einem Plus von mehr als 15%.
Die Vorfreude auf die Steuererleichterung hat den Kursen aber schon letztes Jahr kräftig Auftrieb gegeben. Ist dieser Effekt nicht bereits verpufft?
Die Steuerkürzungen werden die Unternehmensgewinne dieses Jahr enorm begünstigen. Seit der Kongress den Tax Cuts and Jobs Act Ende 2017 verabschiedet hat, haben Analysten ihre Ergebnisprognosen um 10 bis 20% erhöht. Hinzu kommt ein durchschnittliches Gewinnwachstum von 7% im operativen Geschäft. Viele Konzerne haben bereits im Januar angekündigt, dass sie von der Steuersenkung profitieren werden. In welchem Umfang, konnten sie aber noch nicht exakt beziffern. Mit den Abschlüssen zum ersten Quartal erhalten wir jetzt erstmals genaue Zahlen dazu, die meiner Meinung nach noch besser ausfallen werden als angenommen. Das ist jedoch nicht der einzige Grund, weshalb ich so optimistisch bin.
Wo sehen Sie denn weitere Kurstreiber?
Die Weltwirtschaft läuft rund. Zuletzt sind zwar etwas Zweifel am Aufschwung aufgekommen. Meine Daten zeigen aber, dass sich Europa ausgezeichnet entwickelt, Japan gute Fortschritte macht und die Perspektiven in den aufstrebenden Märkten ansprechend bleiben. Einen wesentlichen Beitrag leistet der Ölpreis. Mit rund 60 $ pro Fass bewegt er sich nach wie vor auf relativ tiefem Niveau, was der Konjunktur hilft. Noch mehr Schub gibt ihr jedoch China, wo sich ein gewaltiger Anstieg der Bankdarlehen und der Ausgaben beobachten lässt. Es fühlt sich damit an wie eine Art Déjà-vu aus den Jahren 2008/09, als China die Weltwirtschaft ebenfalls stark gestützt hatte.
Erstaunlich ist auch, wie gut sich Europa erholt. Wie erklären Sie sich den Konjunkturfrühling auf dem alten Kontinent?
Die Liquiditätsinfusion der EZB hat die europäische Wirtschaft stimuliert. Einen positiven Effekt haben wohl ebenso die Migrationsströme aus Afrika und dem Nahen Osten der Jahre 2014/15. Die Zuwanderungswelle löste anfänglich Befürchtungen aus, dass es zu sozialen Spannungen komme und das Risiko von Terroranschlägen zunehme. Historisch hat sich aber immer wieder gezeigt, dass Masseneinwanderung die Wirtschaft befeuert. Dieser Faktor trägt zum soliden Konjunkturverlauf in Europa bei.
Das klingt alles ermutigend. Gibt es dennoch Risiken, die Investoren im Auge behalten sollten?
Inflation ist extrem wichtig. Meiner Meinung nach ist sie aber tot, was natürlich eine sehr prägnante Aussage ist, die ich dereinst bereuen könnte. Auch wäre das ein Kardinalfehler in meiner Anlagethese, denn die Rückkehr von Inflation würde das Umfeld der Märkte grundlegend verändern. Die Folge wäre ein erheblicher Anstieg der Zinsen, wodurch die Preise an den Bond- und den Aktienmärkten einbrechen würden. Aus heutiger Sicht sehe ich dafür aber keinen Anlass.
Was macht Inflation so gefährlich?
Inflation ist wesentlich schlimmer als eine Rezession. Wenn sich die Konjunktur abkühlt, hat das zwar gravierende Konsequenzen, und es macht sich überall Pessimismus breit. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine Rezession meist nur kurz dauert. Inflation ist viel hartnäckiger. Sie steigt oder fällt in der Regel über lange Zeiträume und ist primär ein Phänomen von Kriegszeiten.
Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
In Kriegszeiten verstärken sich protektionistische Tendenzen. Herrscht hingegen Friede, öffnen sich Volkswirtschaften nach aussen, was auf globaler Ebene für mehr Wettbewerb sorgt und damit sinkende Preise bedeutet. Die Globalisierung ist deshalb zusammen mit neuen Technologien und der Alterung der Bevölkerung ein echter Inflations-Killer.
Gerade in den USA droht die Regierung von Präsident Trump aber mit protektionistischen Massnahmen.
Dagegen werden die Finanzmärkte revoltieren. Ich erinnere mich an die Zeit, als oft von den Bond Vigilantes die Rede war: Gemeint sind mit diesem Konzept globale Investoren, die über die Anleihenmärkte wachen und mit steigenden Renditen dagegen protestieren, wenn Regierungen zu inflationären Massnahmen greifen. Sie sind also eine Art Bürgerwehr der Finanzmärkte, vor der sich damals speziell Bill Clinton fürchtete. Ähnlich wird sich Präsident Trump heute vor den Dow Vigilantes in Acht nehmen.
Was meinen Sie damit?
Als Bewacher der Börsen wehren sich die Dow Vigilantes gegen jeden Schritt, den Trump in Richtung Handelskrieg macht. Das, indem sie Aktienindizes wie den Dow Jones (Dow Jones 23979.1 0.19%) auf Talfahrt schicken. Es scheint, dass die US-Regierung ihre Botschaft ziemlich schnell verstanden hat und jedes Mal sofort beschwichtigende Töne anschlägt, wenn Trump droht, die Situation zu eskalieren. Das hat sich auch diese Woche gezeigt. Hinzu kommt, dass der Dow Jones für ihn ein wichtiges Popularitätsbarometer ist, dem er mehr Gewicht zumisst als Umfragewerten.
Dennoch scheint das Risiko zu steigen, dass Trump ausser Kontrolle gerät.
Trump schnaubt, faucht und droht ständig, alles in die Luft zu jagen. Letztlich ist er aber nicht an einem Handelskrieg interessiert, sondern will einen Deal machen. Ich warne seit den Wahlen davor, ihn zu unterschätzen. Er hat zwar Persönlichkeitsprobleme, und seine Art missfällt vielen Leuten. Investieren hat jedoch nichts mit Moral zu tun. Es geht nicht um Gut oder Böse, sondern nur darum, was für oder gegen Aktien spricht. Auch wenn man Trump nicht mag, hat sich seine Politik bisher als ausgesprochen gut für die Börse erwiesen: Deregulierung ist ein grosses Plus für Unternehmen, was ebenso für tiefere Steuern gilt.
Gefahr könnte aber auch von den Zentralbanken drohen. Werden es die Börsen wirklich so leicht verkraften, wenn die Liquidität im System wegen der Normalisierung der Geldpolitik abgesaugt wird?
Die meisten Zentralbanken verstehen immer noch nicht, dass Inflation kein makroökonomisches, sondern vielmehr ein mikroökonomisches Phänomen ist. Sie glauben nach wie vor, dass sie die Teuerung vollkommen kontrollieren könnten. Grundsätzlich ist für Investoren nur eines entscheidend: Solange die Inflation moderat bleibt, müssen wir uns nicht darüber sorgen, dass die Zentralbanken die Zinsen so aggressiv anheben, dass sie beim Versuch, die Teuerung zu bremsen, eine Rezession auslösen.
In den USA treibt das Federal Reserve die Normalisierung allerdings zügig voran.
Das Fed will den Leitzins bis Ende nächstes Jahr auf gegen 3% erhöhen. Im derzeitigen Umfeld mit moderater Inflation und nachhaltigem Wachstum scheint das durchaus machbar. Die Frage ist, ob es dennoch zu einer Krise kommen könnte, weil wir uns so sehr an die tiefen Zinsen gewöhnt haben. Oft ist es so, dass die Zinsen in Boomphasen zu tief sind und es dann zu bösen Überraschungen kommt, wenn die Inflation steigt und die Zentralbanken die Geldpolitik straffen. Diese Gefahr sehe ich momentan nicht. Im Rückblick auf die Finanzkrise muss ich aber gestehen, dass wir damals überrascht wurden und nur wenige das Problem mit den Ramschhypotheken erkannten.
Und wie beurteilen Sie die Ausgangslage anderer grossen Zentralbanken?
Die EZB und die Bank of Japan müssen endlich die Augen öffnen und dem Kurs des Federal Reserve folgen. Es ist an der Zeit, dass ihre Geldpolitik die wirtschaftliche Erholung reflektiert. Negative Zinsen in diesem Umfeld sind Unsinn. Wenn sie die Zinsen normalisieren, wird das zudem dafür sorgen, dass die Aufwertung von Vermögenswerten massvoller verläuft und die Aktienkurse im Einklang mit den Unternehmensgewinnen nach oben tendieren. Die Finanzmärkte sollen sich ja nicht überhitzen, wie das im Januar an den US-Börsen der Fall war.
Was würden Sie demnach einem Privatanleger in der Schweiz empfehlen?
Offensichtlich ist, dass die Bewertungen nirgendwo günstig sind. Rund um den Globus gibt es keine Schnäppchen mehr. Daher empfiehlt es sich, in Gewinnwachstum zu investieren. In der Schule lernte ich, dass es in der Wirtschaft um die Allokation knapper Ressourcen geht. Aus meiner Sicht ist das zu pessimistisch. Es geht vielmehr darum zu erkennen, dass technologische Innovationen Überschüsse kreieren – und heute macht die Technologie grössere Fortschritte denn je, was mich enorm begeistert.
Was heisst das also konkret für Investoren?
Ob in der Schweiz, in Europa generell, in Japan oder in den USA: Am besten ist es, ein global diversifiziertes Portfolio zusammenzustellen, denn der Ausblick für die Weltwirtschaft ist rosig. Es wird sich auszahlen, darauf zu wetten, dass die Konjunktur weiter expandiert und nicht in eine Rezession fällt. Natürlich wird es hin und wieder zu Korrekturen kommen. Auf steigende Kurse zu setzen, hat sich in den vergangenen vierzig Jahren meiner Karriere jedoch ausgezahlt. Nicht anders wird es in den nächsten vierzig Jahren sein.
Und wo sehen Sie die besten Chancen?
Derzeit springt nichts aus dem Rahmen. Für Technologiewerte zum Beispiel sieht es fundamental zwar sehr gut aus. Der Sektor war aber überbewertet, weshalb wir nun eine Korrektur in den FANG-Aktien Facebook (FB 157.93 0.46%), Amazon (AMZN 1406.08 0.06%), Netflix (NFLX 289.93 0.37%), Google (GOOGL 1020.09 1%) und in anderen Segmenten sehen. Wer versuchen will, den Gesamtmarkt zu schlagen, kann sich auf Aktien von Kleinunternehmen fokussieren. Das birgt aber auch grössere Risiken. Hat man nicht den ganzen Tag Zeit, sich mit der Analyse von Märkten und Unternehmen zu beschäftigen, fährt man mit einem ausgewogenen Portfolio daher am besten. Dabei würde ich jeweils 35% meines Geldes in Europa und in den USA investieren, 10% in Japan und 20% in den aufstrebenden Märkten.
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