Christian Gattiker, Chefstratege und Leiter Research von Bank Julius Bär, setzt auf Zykliker und Technologieaktien. Wie er den Anstieg der US-Zinsen bewertet.
Herr Gattiker, vergangene Woche sorgte die Regierungskrise in Italien für Nervosität. Wie geht es weiter, nachdem sich in Italien und Spanien neue Regierungen gebildet haben?
Bis zum Ende der Sommerferien ist diese politische Unsicherheit in der Eurozone erst einmal vom Tisch. Der Konflikt zwischen der neuen italienischen Regierung und anderen Euroländern, etwa bezüglich Budgetdisziplin, wird erst nach dem Sommer ausgefochten werden. Wir sind in einer Zwischenphase, in der es friedlich bleiben sollte.
Aber das heisst auch, dass im Herbst das Zittern am Markt von Neuem beginnt.
Die politische Entwicklung unterstützt den Status quo. Wir raten Kunden, in der Eurozone investiert zu bleiben und die Kursschwäche für Käufe zu nutzen, sofern Kapazitäten vorhanden sind. Trotz der politischen Querelen ist das wirtschaftliche Bild sehr konstruktiv. Die Profitabilität der Unternehmen hat sich verbessert. Es gibt aber keine Garantie, dass politische Probleme nicht wieder zu Rückschlägen führen werden. Darauf sollte man gefasst sein, und man sollte solche Querelen aussitzen.
Durch die Unsicherheit wertetet sich der Franken als sicherer Hafen wieder auf. Wie geht es mit Euro-Franken-Kurs weiter?
Langfristig schwankt der Franken gegenüber dem Euro in einer grossen Spanne zwischen 1.05 und 1.20 Fr. je Euro. Der jetzige Kurs von 1.15 liegt in der Mitte dieser Spanne. Ich sehe keinen grossen Regimewechsel am Währungsmarkt. Natürlich wird der Franken als sicherer Hafen gefragt bleiben. Wenn die Eurozone im Herbst für neue Unsicherheit sorgt, kann sich der Franken auf 1.10 aufwerten. Das wäre eine Gelegenheit, den Euro zu kaufen. Andersherum muss in der Europa vieles richtig laufen, damit wir zu einem Kurs von 1.20 zurückfinden.
Was erwarten Sie für den Dollar, der in jüngster Zeit wieder stärker geworden ist?
Der Dollar war anderthalb Jahre überraschend schwach – gemessen an den Fundamentaldaten wie etwa der Zinsdifferenz. Die nun begonnene Aufwertung gegenüber dem Euro und den Schwellenländerwährungen sollte anhalten. Dafür sprechen die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen und die gute Wirtschaftslage in den USA. Das wird viel Kapital in das Land bringen. Es ist jetzt schon eine Verknappung der Dollarliquidität bemerkbar, die sich etwa in der Abwertung der türkischen Lira, des argentinischen Pesos und des brasilianischen Reals ausdrückt.
Bleibt es bei diesen Staaten, oder droht in den Schwellenländern ein Flächenbrand?
In einer Phase der Dollaraufwertung ist man in Schwellenländeranlagen nicht gut aufgehoben. Das gilt insbesondere deshalb, weil ihre Renditeaufschläge noch kein attraktives Niveau erreicht haben und man für das Risiko nicht ausreichend entschädigt wird. Wir sind daher zurückhaltend. Aber es droht wohl keine Schwellenländerkrise wie Ende der Neunzigerjahre. Die Länder haben aus der Krise gelernt. Die meisten haben sich viel konservativer finanziert. Aber es zeichnet sich ab, dass schwächere Schuldner wie die Türkei oder Argentinien unter noch stärkeren Druck kommen werden.
Meiden Sie die Emerging Markets ganz?
Wenn man in Schwellenländer investiert, sollte man vorsichtig agieren. Eine Möglichkeit sind Unternehmensanleihen in Dollar mit kurzer Laufzeit und sehr guter Qualität. Erst wenn sich der Dollar bedeutend abwertet und sich die Liquidität ausweitet, wäre das ein Kaufsignal für Schwellenländeranleihen mit schlechterer Qualität. Auf absehbare Zeit zeichnet sich das noch nicht ab.
Könnten Probleme in den Schwellenländern nicht die US-Notenbank von ihrem Zinserhöhungszyklus abbringen?
Wir erwarten in den USA einen Zinsschritt à 25 Basispunkte pro Quartal, bis sich tatsächlich Stresssignale am Markt zeigen. Das ist ein gradueller Prozess und lässt Marktteilnehmer hoffen, dass im schlimmsten Fall von einer weiteren Erhöhung abgesehen wird. Die Notenbanker haben so die Möglichkeit, die Finanzmärkte rhetorisch zu beruhigen. Letztlich ist die US-Geldpolitik aber von der heimischen Wirtschaft geleitet. Und dort zeigt sich der Arbeitsmarkt als grundsolide. Noch gibt es wenig Inflationsdruck, obwohl das Wachstum stattlich ist. Aber falls die Löhne überraschend deutlich steigen würden, kämen Diskussionen über schärfere Zinserhöhungen auf – und das würde wohl weltweit für Verwerfungen sorgen.
Ab wann wäre der Aktienmarkt durch höhere US-Zinsen gefährdet?
Wenn die zehnjährigen US-Anleihenrenditen 5% erreichen, geraten Aktien unter Druck. Das zeigt die Erfahrung aus den Fünfzigerjahren. Bis zu dieser magischen 5%-Grenze sind Zinserhöhungen für die Börse unterstützend, da sie eine Normalisierung des Wachstums signalisieren. Besonders Aktien aus den Sektoren Finanz und Industrie profitieren. Wenn die Wirtschaft überhitzt und die Zinsen schnell steigen, knickt der Gesamtmarkt schon vor Erreichen der 5%-Marke ein. So ein Zinsschock wäre das Letzte, was wir jetzt sehen wollen. Ein kontinuierlicher Anstieg des Zinsniveaus wie in den Fünfzigerjahren ist jedoch verkraftbar.
Die Konjunkturindikatoren zeigen eine Verlangsamung des Wachstums in der Eurozone an. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Nein, die rückläufigen Indikatoren zeigen nur eine abnehmende Geschwindigkeit an. Zuvor hat die Eurozone mit einer Beschleunigung des Wachstums über längere Zeit positiv überrascht. Es ist zu beobachten, dass in der Weltkonjunktur die USA und Europa abwechselnd die Führung übernehmen. Der relativ starke Euro hatte die Wirtschaft in der Eurozone, insbesondere die Exportindustrie, gebremst. Dass sich die Währung nun abschwächt, verheisst eine Unterstützung der europäischen Wirtschaft für das zweite Halbjahr. Zwar fehlen jetzt die positiven Überraschungen, aber Europa liefert immer noch ein beachtliches Wachstum.
Welche Schweizer Aktien bevorzugen Sie?
Die Schwergewichte Nestlé (NESN 75.3 0.03%), Novartis (NOVN 74.48 -0.29%) und Roche (ROG 210.85 -1.56%) sind auf absehbare Zeit nicht das lohnenswerteste Investment. Angesichts steigender Renditen in der USA sind diese defensiven Aktien nicht attraktiv. Nestlé ist zwar eines der besten Unternehmen im Nahrungsmittelsektor, aber der Sektor ist im Vergleich zur Historie einfach unglaublich teuer. Die Bewertungen der Pharmatitel sind zwar zurückgekommen, aber wir bevorzugen zyklische Sektoren. Dazu gehören Finanzvaloren und Spätzykliker wie etwa Industrietitel. Geberit (GEBN 436.5 0.46%) gehören zu unseren präferierten Aktien. Auch der Logistiker Panalpina (PWTN 127 0%) ist attraktiv. Zwei Sektoren, auf die man setzen sollte, findet man hierzulande jedoch praktisch nicht: Energie und Technologie. Ansonsten gilt, dass man als Schweizer Anleger bestens im Heimatmarkt investiert sein kann.
Setzen Sie im Technologiesektor auf Aktien der US-Konzerne?
Für Schweizer Anleger ist es am einfachsten, den breiten Nasdaq-Index zu kaufen. Wer dazu noch mittelgrosse schweizerische Aktien hält, hat schon das Beste beider Welten im Portfolio. Auf unserer US-Kaufliste stehen Facebook (FB 193.28 -0.37%), Microsoft (MSFT 101.67 0.87%) und Adobe. In Europa präferieren wir SAP (0NW4 99.24 1.48%) und ASML. Aber auch Asien bietet interessante Technologiewerte wie Alibaba (BABA 208.95 2.26%), Tencent (Tencent 53.28 1.83%) und Baidu. Auffällig ist, dass die Schwellenländerindizes inzwischen zu einem grossen Teil von chinesischen Technologieaktien angetrieben werden. Schwellenländer waren ja traditionell ein rohstoffnahes Investment.
Sind die Bewertungen der chinesischen Technologieaktien nicht schon zu hoch?
Die Titel sind teuer, aber man muss abwägen, ob die Bewertungen durch das Wachstum gerechtfertigt werden. Man muss aufpassen, dass die Kurse nicht jede Bodenhaftung verlieren. Bisher sind die Bewertungen noch vertretbar.
Ist ein durch die USA ausgelöster Handelsstreit ein Risiko für die Aktienmärkte?
Der Grund für die Ankündigung von Zöllen durch die US-Regierung dürften die im November anstehenden Zwischenwahlen gewesen sein. Die aggressive Rhetorik hat sich für die Republikaner gelohnt. Die Wahrscheinlichkeit ihres Wahlsiegs ist deutlich gestiegen. Die Zölle werden das Wachstum kaum spürbar tangieren. Die bisher betroffenen Industrien wie Stahl und Aluminium sind für die US-Wirtschaftsleistung nicht sehr bedeutend. Hoffen wir, dass die Wahlen vorüber sind, bevor die Massnahmen die wichtigeren Bereiche wie die Autoindustrie und den Technologiesektor treffen.
Nach den Wahlen sollte sich die Rhetorik beruhigen?
Es wird weniger heiss gegessen, als es gekocht wird. Die Rhetorik ist Teil der Drohkulisse. Die US-Regierung kann ja nicht abschätzen, was der reale Effekt von Zöllen sein würde. Es kann sein, dass sie sich nur in höherer Inflation niederschlagen werden. Washington weiss auch, dass die USA nicht auf Zölle angewiesen sind, um neue Jobs zu schaffen. Die gute Binnenkonjunktur reicht dafür aus.
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