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15:53 Uhr - 10.03.2016

«EZB liefert mehr als erwartet»

Die Massnahmen der Europäischen Zentralbank zeugten von Nervosität und müssten womöglich nochmals ausgeweitet werden, kommentieren Marktbeobachter. Die Schweizerische Nationalbank gerate unter Druck.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen herabgesetzt, das Anleihenkaufprogramm aufgestockt und die Liquiditätszufuhr an die Banken ausgeweitet (lesen Sie hier mehr dazu). Die Aktienmärkte reagierten erfreut, und am Devisenmarkt hat sich der Euro abgeschwächt. Die Schweizerische Nationalbank hat wohl interveniert, um den Franken-Euro-Kurs zu stützen.

«Die EZB hat etwas mehr geliefert als erwartet», kommentiert Bruno Gisler, Chefökonom des Vermögensverwalters Aquila in Zürich. Nachdem die EZB die Anleger im Dezember enttäuscht hatte, habe sie an ihrer Sitzung im Januar grosse Erwartungen hinsichtlich einer weiteren Lockerung der Geldpolitik geweckt. Das Wertschriftenkaufprogramm wurde von 60 Mrd. € pro Monat auf 80 Mrd. erweitert, dies übertreffe den Konsens.

Das grosse Bündel an Massnahmen zeuge «von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter», sagt Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank. Sie müssten sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. «Die Bilanz ist ernüchternd.»

Sich nicht gegen die EZB positionieren

EZB-Präsident Mario Draghi habe die Erwartungen in den meisten Punkten übertroffen, bestätigt Portfoliomanager Gary Kirk von TwentyFour Asset Management. Der Stimulus werde signifikant ausgeweitet. «Das sollte risikobehafteten Anlagen aus dem Euroraum markanten Auftrieb verleihen.» Die geldpolitischen Beschlüsse seien ein Schock für Anleger, die mit Verkaufspositionen (Short) auf eine Baisse gesetzt hatten. Dies erinnere an den bewährten Spruch, man solle nicht gegen die EZB kämpfen.

Auch der Makrostratege Nick Kounis von ABN Amro schätzt die EZB-Massnahmen als bedeutende geldpolitische Lockerung ein. In den kommenden Monaten müsse die Zentralbank jedoch mit weiteren Schritten nachlegen, angesichts des schlechter werdenden Ausblicks für das Wirtschaftswachstum und die Inflation.

Der Druck auf die SNB nimmt zu

Was bedeutet das für den Franken und für die Schweizerische Nationalbank, die in einer Woche ihre vierteljährliche geldpolitische Lagebeurteilung abhält? Gisler erklärt, während der Euro gegen den Dollar rund 1,5 Cent nachgegeben habe, sei er gegen den Franken fast unverändert geblieben. «Trotzdem gehen wir davon aus, dass die EZB mit ihren Beschlüssen die SNB (SNBN 1093 0.28%) unter zusätzlichen Druck gesetzt hat.»

Die Aktienmärkte sind nach dem EZB-Entscheid gestiegen. Gisler wendet ein: «Die positiven Auswirkungen der Aktion der EZB werden wohl nicht lange anhalten.» Unter diesen Vorzeichen bleibe die Aktienquote unverändert bei der neutralen Gewichtung.

Risiken und Nebenwirkungen

Auch grundsätzliche Kritik kommt auf. «Die EZB verschärft erneut ihre extreme Geldpolitik, ohne Rücksicht auf zunehmende Risiken und Nebenwirkungen für das Finanzsystem», sagt Heinz-Werner Rapp, Investmentchef des unabhängigen Vermögensverwalter Feri in Frankfurt. Mit dem heute beschlossenen Massnahmenpaket setze die EZB ihre bisherige Ausweitung der Anleihenkäufe und Negativzinsen fort. «Damit zeigen die obersten Währungshüter wenig Selbstreflexion.»

Die EZB ignoriere, dass schon bisher das Hauptziel ihrer Geldpolitik, ein Inflationsanstieg, deutlich verfehlt wurde, führt Rapp aus. Und sie blende die zunehmende Kritik anderer europäischer Zentralbanken aus. «Die EZB ebnet damit den Weg für ein monetäres End Game – die faktische Übernahme von Staatsschulden durch die Zentralbanken.» (Lesen Sie hier den Kommentar von Heinz-Werner Rapp.)

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