Zurück zur Übersicht
12:54 Uhr - 23.01.2015

Ingves: «Es bräuchte zwei Leitzinsen»

Stefan Ingves, Chef der schwedischen Zentralbank, schliesst Anleihenkäufe zur Erreichung des Inflationsziels nicht aus.

Schweden hat ähnliche Probleme wie die Schweiz. Beides sind eher kleine, offene Volkswirtschaften mit einer eigenen Währung, die eng mit dem Schicksal der Eurozone verknüpft sind. «Finanz und Wirtschaft» hat am Rande des Asian Financial Forum in Hongkong mit dem schwedischen Zentralbankpräsidenten Stefan Ingves über die Folgen und die Grenzen der Nullzinspolitik gesprochen. Um die Verschuldung der Privathaushalte im Griff zu halten, seien auch aufsichtsrechtliche Massnahmen nötig, ist der 61-jährige Ökonom überzeugt. Der seit 2006 amtierende Riksbank-Chef ist seit 2011 auch Vorsitzender des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht.Stefan IngvesStefan Ingves: besorgt über tiefe Zinsen Bild: Bobby Yip/Reuters

Herr Ingves, was sagen Sie zur Aufgabe des Euromindestkurses durch die SNB (SNBN 1023 -0.1%)?
Ich bin überzeugt, dass sie ihr Bestes tut, wenn es um das Wohl der Schweiz geht.

Wie die Schweiz ist Schweden eine kleine, offene Volkswirtschaft mit extrem niedrigen Zinsen. Was sind die Folgen davon?
Was uns seit mehreren Jahren Sorgen macht, ist der Immobilienmarkt. Wir schlittern in eine Situation, die nicht nachhaltig ist. Privathaushalte nehmen immer mehr Schulden auf, und sie amortisieren ihre Kredite immer weniger. Es bräuchte eigentlich zwei Leitzinsen, einen für die Privathaushalte und einen für die Unternehmen. Das lässt sich aber technisch nicht umzusetzen. Als Zentralbank können wir das nicht tun, da wir nur einen Leitzins haben.

Wie kann man die Verschuldung bremsen?
Es braucht sowohl aufsichtsrechtliche  respektive makroprudenzielle als auch fiskalpolitische Massnahmen. Bei Letzteren geht es vor allem um die Absetzbarkeit von Zinsausgaben von der Einkommenssteuer. Diese Absetzbarkeit sollte abgeschafft werden. Momentan wird auf diesem Gebiet aber zu wenig unternommen, daher muss mehr auf der makroprudenziellen Seite getan werden. Andernfalls wächst das Risiko, dass der Immobilienmarkt aus dem Gleichgewicht gerät.

Aber gegen mehr makroprudenzielle Massnahmen gibt es sicher auch in Schweden Widerstand.
Es gibt immer Druck in die andere Richtung. Momentan haben wir einen maximalen Beleihungsgrad von 85%. Und die Finanzmarktaufsicht verlangt eine Amortisierung von etwa jährlich 2% der Hypothek. Das ist besser als nichts, aber meiner Meinung nach zu wenig.

Warum braucht es eigentlich so niedrige Zinsen? Ist das Wachstum derart schwach?
Die Wachstumszahlen sind in Schweden im europäischen Vergleich nicht so schlecht. Auch der Staatshaushalt ist in guter Verfassung. 2014 dürfte die Wirtschaft rund 2% gewachsen sein. Für 2015 erwarten wir eine Zuwachsrate von 2,5% und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Wenn unsere Prognosen zutreffen, werden wir auf ein Wachstum von 3% zusteuern, eine sinkende Arbeitslosigkeit haben und gleichzeitig einen Leitzins von 0% aufweisen. Eine solche Kombination gab es noch nie. Das Problem ist die zu niedrige Inflationsrate. Wir importieren sie. Mit normalen fiskal- und geldpolitischen Massnahmen können wir den Effekt etwas kompensieren, aber nicht vollständig.

Schweden weist derzeit leicht negative Inflationsraten aus. Ist ein Absinken des Preisniveaus wirklich so schlimm?
Es kommt darauf an, was mit einer Volkswirtschaft geschieht und woher die Preissenkungen kommen. Ein wenig Deflation muss nichts Schlechtes sein. Wenn Computer immer schneller und Flachbildschirme immer flacher werden, sind die Leute besser dran. Aber wenn die Preise in einer Volkswirtschaft durchgehend fallen, wird es gefährlich. In Schweden wäre vor allem die hohe Verschuldung der Privathaushalte ein Problem. Der reale Wert dieser Schulden würde steigen. Es ist daher im Interesse der Riksbank, ihr Inflationsziel von 2% zu erreichen. Das ist aber schwieriger, als viele erwartet haben.

Warum ist das so schwierig?
Die Instrumente, die wir heute verwenden, kommen aus einer Zeit, als man die Inflation nach unten drücken musste. Die meisten konnten sich nicht vorstellen, dass die Inflation einmal zu niedrig sein könnte. Inflation an sich aber ist ein monetäres Phänomen. Man kann als Zentralbank immer Inflation schaffen. Doch dazu muss man ins Extrem gehen, was man vermeiden will. Denn dann können die Dinge ausser Kontrolle geraten. Die Inflation soll langsam und in geordneten Bahnen zurück an die Zielmarke geführt werden.

Der Leitzins ist schon bei 0%. Wie wollen Sie das Inflationsziel erreichen?
Der aktuelle Leitzins von 0% bis Mitte 2016 sollte ausreichen, um unser Inflationsziel zu erreichen. Wenn sich die Dinge ändern, müssten wir reagieren und mehr Geld in das System pumpen. Dazu gibt es verschiedene mögliche Werkzeuge. Eine Möglichkeit ist, den Banken Geld zu leihen. Dann kann man natürlich auch Staatsanleihen kaufen. Aber wenn ich die Werkzeuge beschreibe, heisst das nicht, dass wir sie auch einsetzen.

Bei der Bankenregulierung hat Schweden strengere Eigenkapitalvorschriften eingeführt, als nach Basel III vorgeschrieben ist. Wie erklären Sie das den Banken?
Das risikogewichtete Kapital der schwedischen Banken ist hoch. Aber das liegt zum Teil daran, dass die Risikogewichte niedrig sind. Daher argumentiert die Zentralbank, dass es einen maximalen absoluten Verschuldungsgrad braucht. Wir glauben, diese Leverage Ratio sollte bei 4% beginnen und auf 5% steigen. Man kann über diese Zahlen endlos diskutieren. Verglichen mit jeder anderen Industrie ist eine Leverage Ratio von 5% niedrig. Es gibt keine Hinweise darauf, dass strengere Eigenkapitalvorschriften dem Bankgeschäft schaden.

Warum statten sich die Banken dann nicht freiwillig mit mehr Eigenkapital aus?
Das liegt wohl daran, dass der Wettbewerbsdruck im Finanzsektor den Banken eine kurzfristige Sicht aufdrängt. Wer die Bilanz vergrössert, verdient kurzfristig Geld. Die Risiken werden ausgeblendet, bis es zu spät ist. Am Ende muss die öffentliche Hand den Schaden aufräumen. Das Land zahlt dafür meist mit niedrigerem Wachstum für viele Jahre. Das ist ein hoher Preis, den die Aktionäre der Banken nie vollständig tragen müssen.

Sie sagen, gerade kleinere Volkswirtschaften müssten sich an neue Entwicklungen anpassen.  Ist Schweden darin besser als andere Länder?
In meiner Ecke der Welt hat man auf die harte Art gelernt, dass man sich anpassen muss. Wenn das nicht gelingt, wird sich schliesslich der Lebensstandard verschlechtern. Die Schweden haben sich an Strukturbrüche gewöhnt. Sie mögen sie zwar nicht unbedingt, aber es ist schon oft geschehen. Ein Beispiel: In den Siebzigerjahren war Schweden einer der weltgrössten Produzenten von Schiffen. Diese Industrie ist vollständig verschwunden. Man muss bereit sein, solche Anpassungen vorzunehmen. Strukturen in einer Volkswirtschaft festzuzurren, ist keine gute Strategie.

 

 

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.