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16:11 Uhr - 20.01.2016

«Bis April erwarten wir Kurse wie zu Jahresanfang»

Marcel Schnyder, Chief Investment Officer der Privatbank Reichmuth & Co., kauft «gezielt Aktien zu». Nervöses Kapital sei abgeflossen. Das sei nun in Wartestellung und könnte bald wieder einsteigen.

Herr Schnyder, in Ihrer Anlageallokation zu Anfang Jahr waren Sie sehr positiv gegenüber Aktien. Hat Sie die heftige Korrektur überrascht?
Korrekturen von bis 15% sind immer möglich. Wir beobachten, dass nervöses Geld – Fast Money – aus dem Aktienmarkt sehr schnell herausgezogen wurde. Das hat auch schon in den letzten Monaten immer wieder zu erhöhter Volatilität geführt. An unserer grundsätzlichen Einschätzung zur Attraktivität von Aktien hat sich nichts geändert.

Aber der niedrige Ölpreis und die Sorgen um China sind doch nicht unbegründet?
Das ist richtig, nur ist dies weder neu noch relevant für den gesamten Aktienmarkt. Wir sind in den Sektoren Energie und Rohstoffe, mit Ausnahme einer dedizierten Goldquote, seit längerem untergewichtet. Es gibt Überangebote, zudem wächst China nicht mehr im gleichen Tempo wie noch vor einigen Jahren; dies war zu erwarten. Auch kontrollierte Währungsabwertungen im chinesischen Renminbi dürften niemanden überraschen. Solche Entwicklungen haben immer einen direkt negativen Effekt auf die entsprechenden Sektoren. Die Risikoaufschläge für Anleihen aus diesem Bereich sind deutlich angestiegen, Ausfälle werden wahrscheinlicher. Kritisch für den Gesamtmarkt würde es, wenn grössere Liquiditäts- oder Schuldenprobleme der Rohstoffunternehmen auf den Finanzsektor übergreifen. Dafür haben wir bis dato keine Indikationen.

Warum dann die jetzige Panikstimmung?
Technisch gesehen sind die Märkte angeschlagen, einige Trends nach unten gebrochen. Viele Stop-Loss-Order sind nun ausgelöst worden. Investoren sind verunsichert, das Kurzfrist-Sentiment ist schlecht, so negativ, dass man dies als Kontraindikator nutzen sollte. Entsprechend kaufen wir gezielt Aktien, die uns vor einigen Wochen noch zu teuer waren, oder wir verkaufen mit hohen Prämien Put-Optionen auf den EuroStoxx, den Dax oder einzelne Aktien.

Neben Rohstoffen und der China-Schwäche scheinen nun auch die Schätzungen für die Unternehmensgewinne zunehmend nach unten revidiert zu werden. Ist das kein Verkaufssignal?
Die Gewinne vieler Unternehmen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Besonders in den USA, aber auch bei einigen grossen Schweizer Konzernen muss man mit erhöhtem Margendruck rechnen. Eine geringere Arbeitslosigkeit in Amerika führt zu höheren Lohnforderungen. Auch der stärkere Dollar belastet exportorientierte Unternehmen. Für uns bleiben Aktien im Vergleich zu den möglichen Alternativen die beste Wahl.

Die Bewertungen sind also nicht zu hoch?
Je nachdem welche Bewertungskennzahlen man betrachtet, gibt es einzelne Regionen wie die USA oder die Schweiz, die bereits etwas teuer erscheinen. Im Vergleich zu den möglichen Alternativen sind viele Märkte fair bis attraktiv. Die Dividendenrenditen zum Beispiel stehen deutlich über dem Zinsertrag vergleichbarer Unternehmensanleihen. Wenn Pensionskassen in der Schweiz etwa 2 bis 3% Rendite erwirtschaften müssen, gibt es heute keine echte Alternative zu Aktien. Sie können zwar kurzfristig aussteigen, doch sobald sich die Märkte stabilisieren, müssen sie wieder einsteigen.

Die Investoren werden also wieder in Aktien zurückkommen?
Bezogen auf Institutionelle Investoren aus Europa oder Multi Asset Funds, ja. Wer jetzt Aktien verkauft, hält Cash und wartet ab. Dieses Geld muss wieder investiert werden. Im festverzinslichen Markt werden wenn überhaupt kaum mehr vernünftige Renditen geboten. Alternative Anlagen sind noch immer nicht sehr beliebt, entweder aufgrund ungenügender Transparenz, zu hoher Kosten oder enttäuschender Resultate der Vergangenheit.

Wie lange wird diese Korrektur dauern?
Punktprognosen sind unseriös. Aber vergangene Korrekturen haben gelehrt, dass auch Erholungsphasen rasch einsetzen können. Zuletzt dauerte dies jeweils nur einige Wochen. Daher erwarten wir, dass die Aktienkurse bis im April 2016 wieder in der Region der Jahresanfangskurse stehen.

Sie sehen also keine Krise wie 2008 oder beim Platzen der Internetblase?
Bei den damaligen Einbrüchen waren die Bewertungen wesentlich höher. Und es gab aussergewöhnliche Auslöser, die eine systemische Krise auslösten. Etwa die Probleme am Subprime-Markt oder sieben Jahre zuvor das Platzen der Dot-Com-Bubble und die Betrügereien bei Worldcom und Enron. Ähnliche Verwerfungen sind zwar nie auszuschliessen, aber es sieht nicht danach aus. Das maximale Verlustpotenzial schätze ich heute auf 20 bis 25%, nicht auf 50%.

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