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07:38 Uhr - 25.03.2015

«Italien sieht gut aus – und Indien ebenfalls»

Thomas Härter, Swisscanto-Chefstratege, setzt auf europäische Aktien. Ein Interview mit der FuW.

Zur PersonThomas Härter ist Anlagechef von Swisscanto. Bild: Michael Kessler

Herr Härter, nach der Freigabe des Frankenwechselkurses sah man die Schweiz in eine Rezession rauschen. Mittlerweile hat sich der Eurokurs zum Teil erholt, Schweizer Aktien ebenfalls. Ist alles doch nicht so schlimm, wie es aussah?
Die Wahrscheinlichkeit einer leichten Rezession in der Schweiz ist nach wie vor gegeben. Bremsspuren wird man erst nach sechs bis zwölf Monaten sehen. Gemessen an der Kaufkraftparität war der Franken vorher schon überbewertet, und das wurde durch die Wechselkursfreigabe noch verstärkt. In der Regel bleibt ein Wechselkurs nur relativ kurze Zeit extrem überbewertet. Er normalisiert sich tendenziell, wie das jetzt geschieht.

Wo sehen Sie die zehnjährigen Schweizer Zinsen in zwölf Monaten?
Sie werden immer noch nahe bei null oder sogar negativ sein. Das muss nicht unbedingt eine Katastrophe für Anleger sein. Denn die Schweizer Zinskurve ist ja vergleichsweise steil, und man rollt nach unten. In dieser Konstellation kann sich trotz negativem Return immer noch eine positive Gesamtrendite einstellen.

Zum Beispiel?
Eine zehnjährige Frankenobligation hat heute eine Negativverzinsung von 8 Basispunkten, bei einer neunjährigen sind es minus 20 Basispunkte. Ändert sich die Zinskurve nicht, wird aus dem zehnjährigen Bond in einem Jahr ein neunjähriger. Unterstellt man Nullcouponanleihen, ergibt sich für dieses eine Jahr eine positive Gesamtrendite von rund 1%.

Institutionelle haben Mühe, den gesetzlichen Mindestzins zu erwirtschaften?
Mit sicheren Anlagen kann man den Mindestzins nicht mehr erzielen. Dafür haben die Zentralbanken gesorgt. Auch ist die Investitionsnachfrage noch sehr gering, weil die Unternehmen die Welt noch als zu unsicher ansehen. Sparer legen bei gegebenem Zins jetzt mehr zurück, weil sie immer noch im Angstsparmodus sind und viele noch Schulden tilgen müssen.

An der Investitionsunlust der Unternehmen krankt auch die Liquiditätsvergabe der Europäischen Zentralbank?
Die EZB hat nicht nur den Abdiskontierungssatz noch weiter nach unten manipuliert, sie sendet auch ein Unsicherheitssignal aus. Sie gibt zu verstehen, dass sie solche verzweifelten quantitativen Lockerungen für notwendig hält, damit die Wirtschaft in Gang kommt, die Schuldenspirale nicht ausser Kontrolle gerät und die Eurozone nicht in die Deflationsfalle rutscht.

Kommt die Botschaft an?
Das versteht ein Anleger wie ein Unternehmer, der sich überlegt, ob er investieren soll. Die Botschaft von der unsicheren Welt versteht aber auch ein Arbeiter, wenn es um Lohnverhandlungen geht. Niemand weiss, ob das riesige geldpolitische Experiment der EZB zum Erfolg führt.

Und wie kommt man aus dieser Unsicherheit heraus? In Europa stehen die Zeichen nicht schlecht, Aktien laufen bestens.
Unsere grösste Aktienwette ist ein sehr hohes Übergewicht europäischer Titel. Das Wachstum in Europa wird sich beschleunigen – dafür sprechen mehrere Effekte. Da ist zunächst der sinkende Ölpreis. Der wichtigste Rohstoff der Wirtschaft wird billiger, das senkt die Produktionskosten. Der Konsument kann mehr Geld ausgeben, weil er weniger an der Tankstelle lässt. Das mag Erdölproduzenten nicht gefallen, ist aber gesamtwirtschaftlich ein grosser Vorteil.

Der zweite Effekt?
Das Wirtschaftswachstum in Europa hätte schon vor einem Jahr eingesetzt – dann kam der Rückschlag mit der Ukrainekrise.

Und drittens die Abwertung des Euros?
Ja, denn die Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar entzieht den Vereinigten Staaten Nachfrage und hilft der Konjunktur in Europa. Begleitend dazu – das ist der vierte Effekt – wurden in Europa negative Zinsen eingeführt.

Sicher keine gute Idee aus Anlegersicht?
Die EZB zwingt Anleger, die den negativen Strafzins nicht akzeptieren, in riskantere Anlagen, wie Aktien und riskantere Bonds.

Böse Zungen behaupten, die Europäische Zentralbank finanziere die Staaten der südlichen Europeripherie.
Was die EZB mit ihrem Anleihenkaufprogramm letztlich erreichen kann, ist, dass die bisherige Kreditklemme in der Peripherie, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, wahrscheinlich erfolgreich bekämpft wird. Die  KMU müssen nicht mehr unter Restriktionen leiden, der Peripheriemalus schwindet.

Die Europeripherie wird für Investoren interessant?

Wir setzen auf periphere Aktienmärkte. Da sieht vor allem Italien gut aus. Wenn man die Unternehmensgewinne normalisiert, ist es nach den früheren grossen Gewinneinbrüchen ein sehr günstiger Markt. Wenn man italienische Titel nicht nach aktuellem oder prognostiziertem Kurs-Gewinn-Verhältnis bewertet, sondern konservativ am normalisierten Gewinn, ist es einer der billigsten Märkte weltweit.

Was bedeutet normal?
Man setzt krisenfreie Verhältnisse voraus und ermittelt, was unter diesen Bedingungen an Gewinn anfallen würde. Technisch lässt sich das mit HP-Filtern machen. Man legt einen Trend durch die Gewinnzeitreihe und glättet sie. Im Grunde läuft das auf die von Robert Shiller entwickelte Methode zur Ermittlung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, die Shiller P/E, hinaus. Shiller legt nicht kurzfristige Entwicklungen zugrunde, sondern stützt sich auf den Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Er bekommt so ein normaleres Bild.

Das Gewinnpotenzial der Peripherieaktien ist demnach hoch?
Es hat sich schon einiges normalisiert. So hat zum Beispiel Spanien schon viel reformiert, auch im Arbeitsmarkt.

Aber Sie bevorzugen Italien?
Der spanische Aktienmarkt hat eine weniger gute Sektorzusammensetzung als der italienische, der alle Branchen umfasst. Italien war traditionell immer stark in der Industrieproduktion, Spanien ist nicht so gut diversifiziert, es gibt es viele Banken, ein paar Versorger und sonst wenig.

Gehören zu den risikoreichen Anleihen, die Sie als Alternativen genannt haben, auch Schwellenländer-Bonds?
Bei Schwellenländeranleihen ist Vorsicht geboten. Es ist davon auszugehen, dass sich Marktteilnehmer in der jahrelangen Tiefzinsperiode exzessiv verschuldet haben. Sie dürften in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn die Zinsen, ausgehend von den USA, wieder steigen. Leider wissen wir nicht im Einzelnen, wer ein Kreditproblem bekommen würde. Dafür sind die Daten zu unvollständig, die Firmenverknüpfungen kaum durchschaubar. Es ist schwierig, die schwarzen Schafe schon vorher ausfindig zu machen. Das war beim Ausbruch der Finanzkrise genauso.

Also Finger weg von Schwellenländern?

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Wir haben in ausgewogenen Portfolios bei  Schwellenländeraktien ein Übergewicht, allerdings sehr selektiv: in Taiwan, Korea und vor allem Indien. Koreanische Aktien sind grundsätzlich billig, da sie mit einem Abschlag gehandelt werden, der der latenten Bedrohung aus Nordkorea Rechnung trägt. In Indien, so scheint es, kümmert sich die neue Regierung erfolgreich um die Verbesserung der schlechten Infrastruktur und um eine Beschleunigung der für ihre Langsamkeit berüchtigten Bürokratie. Ausserdem hat Indien weltweit eine der besten Bevölkerungsstrukturen – wenig Alte, viele Junge im arbeitsfähigen Alter. Die Wirtschaft wächst stark, der Return on Equity ist hoch. Wenn die Reformen weitergehen, könnte noch viel mehr Wachstumspotenzial freigesetzt werden.

Bietet Indien Investoren bessere Voraussetzungen als China?
Das politische System ist in Indien wahrscheinlich stabiler als in China. Hinzu kommt, dass die ehemalige Kronkolonie das angelsächsische Rechtssystem übernommen hat. Eigentumsrechte sind einklagbar – im totalitären China ist das nicht unbedingt der Fall. Die Wirtschaften sind unterschiedlich fokussiert: China produziert, Indien liefert Dienstleistungen.

Wie halten Sie es mit anderen Regionen?
Von Südamerika lassen wir die Finger. Osteuropa sieht sehr günstig aus, für ein Engagement scheint es aber noch zu früh zu sein. Erst wenn sich die Lage in der Ukraine nachhaltig beruhigt, werden Märkte wie Polen hochinteressant.

Bei einem Aktienübergewicht sind Sie folglich in Anleihen untergewichtet?
Wir sind in ausgewogenen Portfolios in Anleihen etwas stärker untergewichtet, 8%, als wir in Aktien übergewichtet – 5% – sind. «Eidgenossen» sind zu teuer, wir sind auf Immobilien ausgewichen. Die sind in der Schweiz auch teuer, aber vergleichsweise weniger als Bundesanleihen. Es gibt zum Teil Probleme bei Gewerbeimmobilien, vor allem im grenznahen Raum. Bei Wohnimmobilien sehen wir keine Blase entstehen. Dazu müsste es ausser steigenden Preisen auch ein Überangebot geben, das zu Leerbestand führt. Die mobilitätsbedingt hohe Nachfrage verhindert jedoch Leerstand.

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