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11:45 Uhr - 04.07.2016

«Wenn es kracht, gibt es Kaufgelegenheiten»

Thomas Braun und Georg von Wyss, Partner von Braun, von Wyss & Müller, erläutern im Interview mit FuW, wie sie auf den Brexit reagiert haben und wo sie gute Chancen orten.

Die Fondsmanager Thomas Braun und Georg von Wyss haben in ihrem «60 Rappen Blog» ihre Kunden am Mittwoch darauf aufmerksam gemacht, dass der Brexit den Classic-Fonds nicht gut getan und Zykliker sowie Banktitel hart getroffen habe. Er werde mittelfristig jedoch keinen grossen Einfluss auf den inneren Wert der meisten Unternehmen im Portfolio haben, sind die beiden Value-Investoren überzeugt. Im Interview zeigen sie sich denn auch sehr entspannt.

Herr Braun, Herr von Wyss, in den ersten Tagen nach der Abstimmung am 23. Juni verloren Ihre Fonds Classic Global und Classic Value fast 13%. Als Antizykliker sehen zoomSie in den Turbulenzen aber sicher auch Chancen.
Von Wyss: Ja, wir haben am Freitag, dem 24. Juni, gekauft. Als es an den Märkten sehr turbulent zu- und hergegangen ist.

Bei dem Nebel, der um die Folgen des Brexit wabert: War das nicht zu früh?
Braun: Stimmt, am Montag hätten wir günstiger einsteigen können. Aber mittlerweile ist diese Position 9% im Plus.

Stockten Sie eine bestehende Position auf?
Von Wyss: Ja. Den Namen des Unternehmens sagen wir nicht. Aber es handelt sich um einen globalen Konzern, der seine Produkte auch in England absetzt, den es aber nur am Rande interessiert, was dort geschieht. Trotzdem wurde er von der Börse abgestraft. Auch in den USA haben wir inzwischen eine Position erhöht, die nichts mit Grossbritannien zu tun hat.

Vor dem Brexit waren sich fast alle Stimmen darin einig, dass der Austritt der Briten aus der EU katastrophale Folgen für die Wirtschaft hätte, nicht nur in Europa.
Von Wyss: Die Unsicherheit hatten wir auch, aber am Mittwoch ist die Börse ja schon wieder gestiegen. Das hat damit zu tun, dass sich die EU inzwischen bereits auf die Grundrisse einer Verhandlungsposition gegenüber den Briten geeinigt hat. Die Reaktion an der Börse sagt uns, dass sich unter dem Strich nicht viel ändern wird.

Braun: Am Ende werden die Parteien ein vernünftiges Verhältnis zueinander finden, weil es im Interesse beider ist. Das hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel signalisiert. Sie scheint da die Führung zu übernehmen. Es wird einen politischen Kompromiss geben, der nicht zu hart für die Briten sein darf, da man weiter miteinander Geschäfte machen will, aber auch ein wenig wehtun muss, um Rosinenpicker abzuschrecken.

Die Börsen haben sich schon erholt, nicht aber Bankaktien wie Credit Suisse (CSGN 10.49 -0.38%).
Braun: Der Sektor spielt verrückt. Die Bewertungen sind vielerorts auf sehr tiefem Niveau. In der Schweiz speziell bei Credit Suisse. Dort fing es damit an, dass britische Investoren dem neuen CEO Tidjane Thiam die Strategie nicht abkauften. Es ist ähnlich wie beim Versicherer Prudential (PRU 15.555 0.06%), wo Thiam als CEO wie bei CS eine zweigleisige Strategie mit Wachstumsinvestitionen verfolgte, während Analysten auf Kostenreduktion fokussierten. Aber es wird jetzt bei Credit Suisse gespart. Die geplanten Ersparnisse betragen netto 2,2 Mrd. Fr. nach Steuern. Wird darauf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 appliziert, übertrifft allein das Sparpotenzial den heutigen Börsenwert der CS von 20 Mrd. Fr.

Sie setzen auf CEO Thiam, während viele im Markt ihm kaum Vertrauen schenken?
Von Wyss: Zu Credit Suisse sind viele negative Stimmen zu hören. Das hängt damit zusammen, dass viele Investmentbanker in London und New York Angst um ihren Job haben müssen. Und Investmentbanker haben ein gutes Verhältnis zu den Medien, das gehört zu ihrem Geschäftsmodell. In einer anderen Industrie wäre so ein Stellenabbau nicht ein derart grosses Thema. Thiam war bei Prudential sehr erfolgreich und hat bewiesen, was er kann.

Wo sehen Sie den inneren Wert von CS?
Braun: Bei mindestens 20 Fr. je Aktie. Hätten wir das Geld, würden wir zum aktuellen Kurs die ganze Bank kaufen. Im Banking haben Sie eben immer extreme Zyklen. Entweder geht vieles gleichzeitig in die Hose oder vieles gut. Für uns waren CEO Thiam und seine Strategie ein Auslöser, um in CS einzusteigen.

2014 waren Sie zu Grossbanken noch sehr skeptisch und sagten, die Schweizer seien Weltmeister im Herabrechnen von Risiken.
Braun: Das war ein Problem. Doch der Casinobereich ist stark abgebaut, und beim Kapitalaufbau ist viel passiert. Wir haben auch niemals nie zu Banken gesagt. Wir sagten, man müsse sie nicht ewig halten. Wir haben nun zum dritten Mal Credit Suisse gekauft.

Von Wyss: Es leidet ja nicht nur CS. Der Brexit hat alle noch mehr unter Druck gebracht. Wir haben zurzeit ein falsches Regime in Europa. Die Regulatoren erhöhten die Kapitalanforderungen für das ganze System. Aber die Banken hatten keine Chance, den Anforderungen im schwierigen Tiefzinsumfeld nachzukommen.

Heisst das, die Regulatoren sind ein Risiko?
Von Wyss: Das Hauptrisiko für den Sektor ist, dass der Regulator die Vorschriften nochmals verschärft.

Sie schauen gewiss auch auf die Regulatoren in Italien, wo Sie in Banca Monte dei Paschi investiert haben.
Von Wyss: Alle Banken Italiens haben eine hohe Quote an faulen Krediten. Das belastet die Wirtschaft. Die notleidenden Kredite sind mit 40% in den Bilanzen, während Bären darauf hinweisen, dass der Marktwert nur die Hälfte davon beträgt. Das ist hypothetisch, da es praktisch keine Abschlüsse gibt und die Banken nicht verkaufen müssen. Das System bräche zusammen, wären die Banken zum Verkauf gezwungen.

Monte dei Paschi hat eine der schlechtesten Bilanzen in Italien. Sorgen Sie sich nicht um einen Bankrott, wie Sie ihn nach 2008 mit der US-Bank IndyMac erlebt haben?
Von Wyss: Wir stiegen in Monte dei Paschi im Mai 2015 ein, nachdem die Europäische Zentralbank das Institut streng durchleuchtet und eine Kapitalerhöhung gefordert hatte. Zu früh, aber heute ist der Titel bewertungsmässig an einem extrem tiefen Punkt. Und die EZB und Italien können Monte dei Paschi nicht pleitegehen lassen. Sonst geht das ganze System bankrott. Das wirkt wie eine Absicherung. Zudem sind selbst die faulen Kredite werthaltig. Das war bei IndyMac, wo das Vergabewesen verludert war, überhaupt nicht der Fall.

In den Classic-Portfolios finden sich weitere Titel, die nach dem Brexit sehr stark gelitten haben, so wie die beiden Personalvermittler Randstad (RAND 35.28 -1.31%) und Adecco (ADEN 48.78 -1.67%).
Von Wyss: Wären wir nicht schon investiert, würden wir zukaufen. Randstad wie Adecco verdienen enorm viel Geld in dem vom Brexit nicht tangierten Nordamerika.

Wichtige Märkte für beide sind auch Grossbritannien und, noch mehr, Frankreich.
Von Wyss: In Frankreich verdienen sie so viel, weil ihnen Präsident François Hollande ein Steuergeschenk gewährt. Das ziehen wir in der Berechnung des inneren Werts ab. Aber ja, wir haben nun eine Phase der Unsicherheit, und das Personalvermittlungsgeschäft ist stark zyklisch.

Braun: Aber die Welt geht dann eben doch nicht unter. Wer glaubt, dass die Wirtschaft in drei Jahren einigermassen rund läuft, muss diese Titel heute kaufen. Wir meinen auch, dass bis spätestens nach dem dritten Quartal zu sehen ist, dass die Wirtschaftswachstumsraten gar nicht stark sinken.

Interessieren Sie sich als Antizykliker auch für Uhren- und Luxusgütertitel wie Swatch Group (UHR 285.9 -0.07%) oder Richemont (CFR 57.2 -0.26%), die schon vor dem Brexit, aber auch danach gelitten haben?
Von Wyss: Unsere grösste Position ist Fossil (FOSL 29.43 3.15%), der amerikanische Uhrenhersteller.

Kein Schweizer, fast ein bisschen frech. Warum nicht Swatch Group oder Richemont?
Von Wyss: Fossil ist billiger. Die Aktien litten unter dem Aufkommen der Smartwatches. Aber Fossil hat nun ein überzeugendes Konzept, das das Funktionale und das Emotionale von Uhren vereint. Die Amerikaner sind auch nicht im Luxussegment. Sie verkaufen Modeuhren, die dienen nicht als Beamtengeschenke und sind von Chinas Antikorruptionskampagne nicht betroffen.

Sie bleiben also skeptisch gegenüber den beiden Schweizer Uhrenherstellern?
Braun: Sie haben ein paar Probleme. Man weiss nicht, ob die Preise von Luxusuhren nicht zu stark erhöht wurden. Zudem sind die Lager dort immer noch zu hoch. Aber natürlich behalten wir die beiden im Auge.

Bei britischen Aktien halten Sie sich jetzt aber doch zurück?
Von Wyss: Die Engländer werden eine Wirtschaftsschwäche haben. Von unseren britischen Titeln leidet primär der Do-it-yourself-Anbieter Kingfisher. Ich glaube nicht, dass man ihn schon kaufen muss. Aber grundsätzlich gilt: Kracht es an den Börsen, gibt es Kaufgelegenheiten.

Value-Investor als SchnäppchenjägerDem Value-Investor geht es darum, ein Unternehmen unter seinem effektiven Wert zu kaufen. «Der Preis ist, was man bezahlt, der Wert ist, was man dafür erhält», lautet eine vielzitierte Anlegerweisheit des US-Value-Investors Warren Buffett. Aus der Differenz zwischen Preis und Wert wird ein nachhaltiger Wertzuwachs angestrebt. Sie bietet dem Anleger auch eine Sicherheitsmarge, um Verluste möglichst zu vermeiden.
Dieser Anlagephilosophie hat sich auch der Schweizer Vermögensverwalter Braun, von Wyss & Müller verschrieben. Die Manager der zwei bekannten Fonds Classic Global und Classic Value berechnen jeweils den inneren, fairen Wert der Aktien. Im Normalfall erwerben sie einen Titel erst dann, wenn der Kurs auf 60% des inneren Wertes ­gefallen ist. Sie kaufen einen Franken für 60 Rappen, daher der Name ihres Blogs.
Extrem in seiner Auffassung war der Vater des Value-Investing, Benjamin Graham. Er investierte nur in Unternehmen, bei denen er sogar im Fall einer Zwangsliquidation noch mit einem Gewinn rechnen konnte – was im heutigen Marktumfeld kaum möglich ist.
Anlagechancen ergeben sich für Value-Investoren etwa aus Marktverwerfungen, wenn Aktien auf negative Unternehmensmeldungen oder politische und wirtschaftliche Nachrichten mit übertriebenen Kursabschlägen reagieren. Aktuelles Beispiel ist der Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union: Plötzlich überlagern Angst und Unsicherheit die Ertragskraft und Wachstumsaussichten eines Unternehmen. Value-Investoren benötigen aber viel Geduld. Denn die Tatsache, dass ein Unternehmen günstig bewertet ist, heisst nicht zwingend, dass der Aktienkurs bald steigen wird.

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