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14:30 Uhr - 27.07.2022

Autoneum blickt zuversichtlich nach vorn

Nach einem schwachen ersten Halbjahr erwartet der Automobilzulieferer deutliche Fortschritte im zweiten.

Es mutet wie ein surrealer Roman an, von jemandem, der in eine Warteschleife gerät und nicht mehr herauskommt. Doch was Autoneum (AUTN 101.00 +4.99%) in den vergangenen Jahren erlebt hat, ist real. Das Warten auf eine geschäftliche Normalisierung dauert schon eine gefühlte Ewigkeit. Die Hoffnung auf eine Gewinnerholung ist immer wieder enttäuscht, der Aufschwung vertagt worden.

Das erste Halbjahr 2022 markiert ein weiteres Kapitel dazu. Erneut muss der Automobilzulieferer schlechte Zahlen präsentieren. Ein im Vergleich zur Vorjahresperiode bloss gehaltener Umsatz (–0,2% in Franken, +0,5% in lokalen Währungen), dazu eine am Betriebsgewinn (Ebit) gemessene Marge von mageren 0,7% und 13 Mio. Fr. Verlust (vgl. Tabelle).

Die Gewinnwarnung vom 15. Juni bereitete darauf vor. Unter den gegebenen Umständen hat der Marktführer für Lärm- und Hitzeschutzsysteme jedoch ansprechend gearbeitet. Sieht man von dem durch einen Sonderaufwand in Nordamerika zusätzlich belasteten Gewinn ab, fiel das Zahlenset eher besser aus als von Analysten gemäss AWP-Konsens befürchtet.

Zahlreiche Erschwernisse

Der Hindernisse waren viele: Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, die beschleunigte Preissteigerung für Rohmaterialien, Energie und Transport sowie die Herausforderungen in der Überwälzung der höheren Kosten auf Kunden sind nur ein Teil davon.

Im Zusammenhang mit letzterem Punkt unterteilte CFO Bernhard Wiehl den Sachverhalt in drei Kategorien. Für Ein-Material-Produkte sind Preiserhöhungen umgesetzt, in materialseitig komplexeren Produkten befinden sich die Verhandlungen weltweit auf gutem Weg und sind weitgehend schon abgeschlossen. Aufwendiger ist aber vor allem die Weitergabe der höheren Energiekosten bezogen auf Autoneum-Produkte. Solches sei bislang nicht vorgesehen gewesen. Das gelte es nun zu implementieren, um es in eine Preisindexierung zu bekommen. Wiehl geht davon aus, dass dies im zweiten Halbjahr gelingen werde.

Weitere Hindernisse waren die Verknappungen von Komponenten in der Automobilproduktion – zu den Halbleitern gesellten sich in Europa Kabelbäume aus der Ukraine. Das damit einhergehende Stop-and-go verlangt auch in der Fertigung von Autoneum kurzfristige Anpassungen, was erhebliche Kosten verursacht – und entsprechend Marge kostet (vgl. Grafik). Nicht zuletzt haben auch die coronabedingten Lockdowns in China die Zeit in der Warteschleife weiter verlängert.

Davor waren es die selbst verursachte Misere im Nordamerikageschäft, die Pandemie mit all ihren Auswirkungen sowie die schon länger anhaltenden Versorgungsengpässe im Automobilbau. Vor allem der Halbleitermangel limitiert die Volumen nach wie vor. Die vorhandene Nachfrage kann nicht befriedigt werden. Die Automobilhersteller vermögen das über höhere Verkaufspreise – Knappheitspreise – zu kompensieren. Die Zulieferer nicht. Sie bleiben auf dem Schwarzen Peter sitzen.

Nicht ob, sondern wann

Die Frage lautet aber nicht, ob die Erholung kommt, sondern vielmehr wann. Autoneum-CEO Matthias Holzammer erwartet sie schon im zweiten Halbjahr. Dazu trägt unter anderem eine leicht erhöhte Prognose des Marktforschers IHS Markit für die weltweite Automobilproduktion bei. Statt von 4,1% Wachstum wie im Mai vorausgesagt (im Februar waren es rund 9%), wird neu von 4,7% auf 80,8 Mio. Neuwagen ausgegangen (vgl. Grafik aus der Präsentation von Autoneum).

Für das zweite Halbjahr setzt das eine Steigerung um 8,8% gegenüber dem ersten voraus. Die Zuversicht entspringt der Annahme spürbar steigender Produktionsvolumen in China und in Europa. In China sollen weniger einschneidende Lockdowns dazu beitragen, in Europa der weitgehend behobene Kabelbaumengpass. Dazu kommt eine gewisse Entspannung in der Halbleiterkrise.

Weil sich diese im nächsten Jahr fortsetzen soll, geht IHS Markit für 2023 von einem weiteren deutlichen Wachstum der Automobilproduktion um 8% auf dann 87,3 Mio. Stück aus.

Vor dem Hintergrund eines freundlicheren Umfelds in der zweiten Jahreshälfte hat Autoneum den im Juni revidierten Jahresausblick bekräftigt: ein Umsatzwachstum im Einklang mit dem Markt, 2 bis 3% Ebit-Marge sowie einen freien Cashflow im mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbereich. Unterstützt von erfolgreichen Verhandlungen mit Automobilkonzernen «im Hinblick auf eine faire Kostenverteilung» sehen die Ziele erreichbar aus.

Freier Cashflow als Highlight

Der freie Cashflow war ein Highlight im Halbjahresbericht. Die realisierten 42 Mio. Fr. haben es Autoneum erlaubt, die Nettoverschuldung zum Stand vom Dezember (251 Mio. Fr.) weiter zu senken – trotz Auszahlung der Dividende. Im zweiten Halbjahr wird der freie Cashflow laut CFO Wiehl wegen Investitionen in neue Kundenprojekte allerdings niedriger sein als im ersten. Die Eigenkapitalquote dagegen ist aufgrund fehlender Gewinne nach wie vor knapp, konnte im Vorjahresvergleich aber gehalten werden.

Die FuW-Gewinnschätzung für das laufende Jahr wird wegen geänderter Annahmen zum Finanzergebnis und zur Steuerlast auf 1.65 Fr. je Aktie gesenkt, die für nächstes Jahr bleibt mit 9.30 Fr. je Titel unverändert. Eine zentrale Frage mit Blick auf 2023 wird sein, wie sich die Konjunkturabschwächung auf den Automobilmarkt auswirken wird. Zwar besteht aufgrund der nun schon länger währenden Lieferengpässe ein stattlicher Nachholbedarf. Ein schlechteres wirtschaftliches Umfeld könnte den Elan jedoch dämpfen.

Höhere Kurse sollten für Autoneum vom derzeit gedrückten Niveau aus dennoch drin liegen. Wenn die Hindernisse nach und nach verschwinden oder wenigstens an Bedeutung verlieren, wird sich die Stimmung für die Titel wieder zum Besseren wenden. Unter der Annahme, dass ein Ausbruch aus der Warteschleife doch noch gelingt – es handelt sich ja nicht um einen surrealen Roman –, sind Autoneum deshalb eine mit viel Risiko behaftete Kaufempfehlung.

 

Die komplette Historie zu Autoneum finden Sie hier. »

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