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07:34 Uhr - 22.12.2014

Biosimilars sorgen für Unruhe

Über Kopien von biotechnologisch hergestellten Medikamenten wird seit Jahren emsig debattiert. Nun werden aus Konzepten marktreife Produkte. Zahlreiche Hersteller gehen in Stellung. Besonders verletzlich wirkt mit Blick auf die neue Konkurrenz Roche.

Biosimilars waren für die Pharmabranche lange Zeit mit der Midlifecrisis aus der Perspektive eines  Dreissigjährigen gleichzusetzen. Jeder Medikamentenhersteller wusste, dass Kopien von margenträchtigen Biotech-Medikamenten eines Tages auf den Markt kommen würden, doch schien der Zeitpunkt dafür jahrelang entfernt.

Damit ist Schluss. 2015 kündigt sich als das Jahr an, ab dem Biosimilars erste Spuren in den Rechnungen von Pharmakonzernen hinterlassen. Der Umsatzrenner Remicade der US-Riesen Johnson & Johnson (JNJ 105.55 -1.18%) und Merck (MRK 59.58 1.02%) & Co gegen rheumatoide Arthritis dürfte nach seiner erfolgreichen EU-Zulassung erstmals grössere Einnahmen in Europa generieren.

Wie ernst das Thema für die Branche geworden ist, deuten die vielfältigen Versuche von etablierten Medikamentenherstellern an, in diesem Markt Fuss zu fassen. Merck & Co und die ebenfalls amerikanischen Pharmamultis Eli Lilly (LLY 72.4 -0.07%) und Pfizer (PFE 31.94 -0.09%) sowie Novartis (NOVN 93.05 1.03%) und der Biotech-Riese Amgen (AMGN 170.17 1%) sind bestrebt, durch den Vertrieb eigener Biosimilars Verluste im Geschäft mit Originalpräparaten zumindest teilweise zu kompensieren.

Story für Investoren

Aktiencheck: Hospira
Ypsomed
Coherus
Das Thema Biosimilars ist inzwischen derart gereift, dass es sich anders als noch vor zwei oder drei Jahren als Investmentstory verkaufen lässt. In den USA sind mit Epirus, Phenex und zuletzt Coherus (CHRS 12.76 -2.97%) drei spezialisierte Anbieter an die Börse gekommen.

An den branchenweiten Einnahmen aus dem Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten ist der Anteil sogenannter Biologika oder biotechnologisch hergestellter Medikamente zwischen 2002 und 2012 von 11 auf 18% gestiegen. Vom gesamten Biologikaumsatz von rund 170 Mrd. $ entfallen gemäss den Marktforschern von IMS Health erst knapp 1,5% auf Biosimilars und die damit verwandten, vor allem in Schwellenländern beliebten Non-Original Biologics (NOB). Bis 2017 dürfte der Anteil aber bereits 2 bis 5% erreichen. Gemessen an einem dann erwarteten Biologikagesamtmarkt von rund 220 Mrd. $ würde das einem Volumen von gut 4 bis 11 Mrd. $ entsprechen. Eine andere Prognose, von BernsteinResearch, geht bis 2020 allein für die USA von einem 10 Mrd. $ schweren Biosimilars-Markt aus.

Anders als in Europa, wo bereits sieben Biosimilars die Zulassungshürde genommen haben, ist in den USA erst eine Kopie für ein Insulinpräparat (von Eli Lilly) zum Verkauf freigegeben worden. Zwei weitere Kopien von Biologika sind im Zulassungsverfahren. Wegen des beschränkten US-Angebots beurteilen die meisten Branchenteilnehmer die kurzfristigen Geschäftsaussichten zurückhaltend. Hoch sind die Erwartungen dagegen auf längere Sicht. Die auf Generika spezialisierte Novartis-Tochtergesellschaft Sandoz schielt auf einen Markt von 100 Mrd. $, der sich aus dem Gesamtvolumen der bis 2020 von Patentverlusten betroffenen Biologika ergibt.  Konkurrenz Hospira (HSP 62.66 0.35%) aus den USA sieht einen Markt von bis zu knapp 70 Mrd. $ vor der Öffnung.

Sandoz erwirtschaftet als Marktführer im Biosimilars-Geschäft erst einen Umsatz von rund 500 Mio. $, erwartet aber eine starke Belebung ab 2020. Amgen verspricht sich aus der Lancierung von fünf Biosimilars zwischen 2017 und 2019 Einnahmen von anschliessend gut 3 Mrd. $ pro Jahr. Wie rasch sich Biosimilars durchsetzen, wird insbesondere davon abhängen, mit welchen Rabatten sie gegenüber Originalpräparaten lanciert werden. Harald Schwarz, der für Medical Strategy den Fonds Medical BioHealth-Trends verwaltet, beziffert den Preisabschlag auf 30%, falls für ein Originalbiologikum eine bis drei Kopien auf den Markt kommen. «Mit zunehmender Konkurrenz rechne ich mit Rabatten von über 50%», sagte er zu FuW.

Ein Blick auf die Entwicklungspipelines der Biosimilar-Hersteller lässt ein beträchtliches Gerangel erwarten. Die Analysten von Bernstein zählen allein für das Roche-Medikament Rituxan gegen rheumatoide Arthritis und Krebs sieben Studien in fortgeschrittenem Stadium (Phase III), verteilt auf vier Parteien (Sandoz, Boehringer Ingelheim, Pfizer und die gemeinsam mit Celltrion aus Südkorea operierende Hospira). Für das ebenfalls von Roche (ROG 270.4 -6.34%) stammende Brustkrebspräparat Herceptin laufen sechs Studien in Phase III (von Pfizer, Hospira/Celltrion, Amgen/Actavis (ACT 265.39 0.62%), Samsung (SMSD 373 4.06%) Bioepis).

Auch AbbVie ist gefährdet

Roche erzielte 2013 mit den primär von Biosimilars bedrängten Blockbustermedikamenten Rituxan, Herceptin und Avastin einen Umsatz von 19,3 Mrd. Fr. oder 41% des Konzernerlöses. Das macht den Basler Pharmakonzern im Wettbewerb mit Nachahmern besonders verwundbar. Fabian Wenner, Pharmaanalyst bei Kepler Cheuvreux, befürchtet, dass die Stimmung unter Investoren schon 2015 zuungunsten von Roche kippt.

Überdurchschnittlich zu schaffen dürfte der Aufstieg der Biosimilars auch dem amerikanischen Pharmakonzern AbbVie machen. Sein vorab gegen Arthritis verabreichter Umsatzrenner Humira ist ebenfalls im Visier einer Reihe von Nachahmern. Ein eher unerwarteter Nutzniesser  der Biosimilar-Welle könnte dagegen das auf Diabetiker spezialisierte Burgdorfer Medtech-Unternehmen Ypsomed (YPSN 85.5 0%) sein.

 

Aktiencheck:

 

hospira-big S

Hospira

Der Coup machte weitherum Schlagzeilen. Mit Inflectra/Remsima haben der amerikanische Generikakonzern Hospira und sein südkoreanischer Partner Celltrion Ende Juni 2013 als Erste in der EU die Zulassung für ein Biosimilar erhalten, das auf einem monoklonalen Antikörper beruht. Damit sind die beiden Unternehmen berechtigt, eine Kopie für eines der umsatzstärksten Medikamente der Welt, das primär zur Behandlung von rheumatoider Arthritis eingesetzte Remicade, zu vermarkten.

Der Verkauf des Biosimilar dürfte sich in den Zahlen von Hospira erstmals 2015 stärker niederschlagen. Das Unternehmen sieht sich unter den drei weltgrössten Biosimilar-Anbietern und will trotz wachsender Konkurrenz weiterhin eine Topposition einnehmen. Für Engagements in Hospira sprechen auch die marktführende Stellung des US-Konzerns im Verkauf intravenös verabreichter Medikamente und der dafür benötigten Infusionstechnikprodukte.

 

YPSOMED, AG, MEDIZINALTECHNIK, MEDIZINTECHNIK, INJEKTIONSSYSTEME, SPRITZENSYSTEME, KONTROLLE, PRODUKTION

Ypsomed

Auf Biotech-Basis hergestellte Arzneien werden zum Grossteil injiziert. Führende Biologikaanbieter wie die Insulinproduzenten Sanofi, Novo Nordisk und Eli Lilly verfügen über eigene Injektionssysteme, in der Fachsprache auch Pens genannt. Viele der Unternehmen, die nun in den Markt mit Biologikakopien drängen, sind jedoch auf Drittanbieter dieser Technologie angewiesen. Für den Schweizer Pen-Spezialisten Ypsomed öffnet sich damit ein lukrativer Absatzmarkt.

Der Gründer und VR-Präsident Willy Michel erwartet, dass allein im Insulingeschäft eine Handvoll Biosimilar-Anbieter global und zahlreiche weitere lokal um Marktanteile kämpfen werden. Insuline zur Behandlung von Diabetes sind mit einem Volumen von 14 Mrd. $ bzw. einem Anteil von 16,5% nach den primär gegen Arthritis eingesetzten Anti-TNF-Medikamenten sowie Krebspräparaten der drittgrösste Biologikamarkt. Aus Anlegersicht nach wie vor problematisch ist, dass nur 14% der Ypsomed-Aktien im Streubesitz sind. Hauptaktionär Michel will durch den Verkauf von Anteilen aber Abhilfe schaffen.

 

COHERUS BIOSCIENCES LOGO

Coherus

Unternehmen, die sich ganz der Entwicklung von Biosimilars verschrieben haben, sind rar. Mit dem US-Unternehmen Coherus steht Anlegern seit neustem dennoch ein Spezialist zur Verfügung. Die Titel der Kalifornier werden seit November am Nasdaq gehandelt.

Für die Analysten von Credit Suisse (CSGN 25.28 0.72%) sind die zu je 13.50 $ emittierten Aktien bis zu einem Niveau von 22 $ kaufenswert. Coherus profitiert nach ihrer Einschätzung von einem Managementteam, dessen Mitglieder je 25 Jahre und mehr Erfahrung u. a. bei Biotechnologiegrössen wie Amgen und Genentech gesammelt haben. Phase-III-Daten aus der Erforschung eines ersten Hauptprodukts, das auf dem Blockbuster Humira von AbbVie basiert, werden für 2015 erwartet. Die CS-Analysten trauen ihm bis 2024 einen jährlichen Spitzenumsatz von rund 800 Mio. $ zu. Die Gewinnschwelle sollte Coherus nach ihrer Erwartung erstmals 2019 überschreiten.

Bilder: Hospira: ZVG
Ypsomed: Martin Rüetschi/Keystone
Coherus : ZVG

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