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18:14 Uhr - 06.01.2015

«Eurokrise wird wie früher wieder abklingen»

Im Interview mit der FuW macht sich Thomas Steinemann, der CIO der Privatbank Bellerive, keine grossen Sorgen wegen Griechenland, hält einen Schuldenschnitt aber für unausweichlich.

Herr Steinemann, die Diskussion über einen Austritt Griechenlands aus dem Euro ist wieder aufgeflammt. Ein Sturm im Wasserglas oder mehr?
Vermutlich ist es ein Sturm im Wasserglas. Allerdings ist es zu begrüssen, dass endlich auch in der höchsten deutschen Politik über Alternativen zum Status quo nachgedacht wird. Das «Denkverbot», dass man aus dem Euro austreten kann, ist offenbar aufgehoben.

Thomas Steinemann Bild: ZVGBeim ersten Griechenlandschock tippten die meisten Ökonomen für die Griechen auf eine Austrittswahrscheinlichkeit von über 50%. Wie ist es heute?
Ich war damals der Auffassung, dass ein Austritt äusserst unwahrscheinlich ist, weil das europäische Bankensystem viel zu anfällig war und dies zu enormen Kosten geführt hätte. Zudem war der politische Wille, den Status quo aufrechtzuerhalten, sehr stark. Heute sieht das anders aus. Ein Austritt Griechenlands wäre zwar noch immer schmerzlich, wäre aber mittlerweile zu verkraften. Und politisch wird zumindest darüber diskutiert – das ist zu begrüssen. Die Wahrscheinlichkeit eines Austritts im Fall eines Wahlsiegs der linkspopulistischen Syriza-Partei ist deshalb grösser als damals. Allerdings glaube ich nicht, dass es dazu kommen wird.

Wie steht es mit dem Schuldenschnitt, den eine neue Regierung anstreben würde?
Im Fall eines Austritts würde sich die neue griechische Währung massiv abwerten. Das würde die in Euro denominierten Schulden von Griechenland noch weiter drastisch erhöhen und wohl unweigerlich zu einem Schuldenschnitt führen. Im Fall eines Verbleibs des Landes im Euro wird ein Schuldenschnitt zwar ebenfalls unausweichlich, kann aber länger hinausgezögert werden.

Wie gross ist bei einem Austritt oder einem Schuldenschnitt die Gefahr, dass andere Länder – Spanien, Portugal, Italien – nachziehen?
Die Ansteckungsgefahr hat sich im Vergleich zur Situation vor vier Jahren, als Griechenland ein Referendum über die Reformpläne abhielt, deutlich verringert. Der Markt unterscheidet viel stärker als damals. Das psychologische Signal hingegen wäre fatal. Besonders Irland, aber auch Spanien, Italien und Portugal haben ihre wirtschaftliche Situation mit mehr oder weniger grossen Anstrengungen verbessert. Wie will man diesen Ländern den aus einem Austritt folgenden unausweichlichen Schuldenschnitt Griechenlands erklären? Das wäre ein sehr schwieriges Unterfangen.

Was wären die Folgen eines griechischen Schuldenschnitts für Europas Banken?
Es wären sicher Abschreibungen nötig, aber in deutlich geringerem Ausmass als vor vier Jahren. Die Bilanzen wurden gesäubert, ein Grossteil der Staatsanleihen der Peripherieländer liegt bei der EZB, den griechischen Banken und institutionellen Investoren. Die europäischen Bankaktien haben auf den neuerlichen Ausbruch von «Grexit» entsprechend wenig reagiert.

Wäre ein Euro ohne Griechenland stabiler?
Vermutlich nein, und zwar aus dem Grund, dass die Signalwirkung an die anderen lautet: Wenn die Schulden nur gross genug sind, werden sie einem erlassen. Das kann den Reformwillen negativ beeinflussen. Langsam dämmert es allen, was für ein fataler Fehler die Aufnahme von Griechenland in den Euro war.

Wie viel, glauben Sie, wird der Euro zum Dollar noch an Wert verlieren?
Parität ist durchaus denkbar, das bedeutete einen Dollar-Franken-Kurs von 1.20.

Wird der Euromindestkurs zum Bumerang für die Schweiz?
Das erklärte Ziel der Schweizerischen Nationalbank ist es, den Franken zum Euro nicht aufwerten zu lassen. Ein schwächerer Euro und somit auch Franken hilft bei der Bekämpfung der deflationären Tendenzen, und er hilft der Exportindustrie. Die Konsequenz ist ein immer grösser werdender Euroberg in der SNB-Bilanz zu einem nicht abschätzbaren Preis. Was hingegen klar scheint: Ein Ende der Mindestkursanbindung mit entsprechendem Anstieg der Eurobestände ist nicht in Sicht.

Wo finden Anleger Schutz vor turbulenten Märkten: im Dollar, in US-Staatsanleihen, trotz historisch niedriger Rendite und Zinsänderungsrisiko?
Solange die Diskussion über einen allfälligen Euroaustritt von Griechenland die Märkte bestimmt, sind der Dollar, Staatsobligationen und Cash ein relativ sicherer Hafen. Erfahrungsgemäss ebben Eurokrisen aber auch immer wieder ab. Dann ist man mit Obligationen schlecht, mit dividendenstarken Qualitätsaktien hingegen gut beraten.

Wie verwegen ist es umgekehrt, auf Peripherieanleihen zu setzten, selbst auf griechische mit ihrer wieder deutlich höheren Rendite auf Verfall?
Im Gegensatz zu den Aktien- haben die Obligationenmärkte bisher sehr gelassen reagiert. Mit Ausnahme der griechischen Staatsanleihen sind die Renditen anderer Peripherieländer weiter gesunken. Risikofreudige Anleger können einmal mehr auf den Verbleib Griechenlands in der Eurozone spekulieren. Der Ausgang ist allerdings ungewiss.

Die zweite Keule zum Jahresauftakt ist der niedrige Ölpreis. Weshalb die Aufregung, wo der Preisverfall den meisten Volkswirtschaften doch zu Hilfe kommt?
Zurzeit interpretiert der Markt den fallenden Ölpreis als Zeichen der Konjunkturschwäche. Das dürfte sich aber bald ändern. Denn mit Ausnahme der Energie- und Rohstoffbranche werden so ziemlich alle Branchen von niedrigeren Energie- und Rohwarenpreisen profitieren. Die Konsumenten, allen voran diejenigen in den USA, dürften ihren Konsum hochfahren, wirken Ölpreissenkungen doch wie eine Steuersenkung.

Wohin steuern die Märkte in den nächsten Monaten?
Die Unruhe dürfte noch einige Zeit anhalten. Auch die geopolitischen Krisen in der Ukraine und in Syrien sind noch nicht vorüber. Ebenfalls dürfte die bevorstehende Straffung der Geldpolitik in den USA die Märkte in Atem halten.

Was sollen Anleger in dieser nicht einfachen Situation tun?
Trotz unruhiger Märkte erscheinen Aktien von Unternehmen, die vom erstarkenden US-Binnenkonsum profitieren, attraktiv. Dabei muss es sich nicht zwingend um US-Titel handeln wie Walt Disney (DIS 91.89 -0.53%), Microsoft (MSFT 45.65 -1.46%), Apple (AAPL 106.26 0.01%) und Kellogg. Nutzniesser sind durchaus auch Aktien europäischer Exportkonzerne wie der deutschen Automobilhersteller Daimler (DAI 66.61 0.67%), VW und BMW (BMW 85.83 0.88%) oder Anheuser-Busch InBev. In Kanada machen die Autozulieferwerte  Magna einen verlockenden Eindruck.

Welches Rezept hilft längerfristig, auf ein bis zwei Jahre und länger? Sehen Sie zum jetzigen Zeitpunkt Handlungsbedarf?
Die niedrigen Zinsen bieten jetzt Gelegenheit, sich von Obligationen zu trennen und auf Cash, etwas Gold (Gold 1219.25 1.32%)/Goldminen sowie auf dividendenstarke, international diversifiziert Blue Chips zu setzen. Langfristig bleibt der Sektor Pharma/Biotech interessant und wird angesichts der demografischen Entwicklung wohl weiter an Bedeutung zulegen. Zudem haben Novartis  mit 41% und Roche (ROG 273.8 -0.54%) mit 39% des Umsatzes ein bedeutendes Exposure in den Dollarraum. Interessant dürfte der Technologiebereich bleiben mit Stichworten wie Cloud Computing, Internethandel, Internet der Dinge, 3D-Drucker.

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