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13:39 Uhr - 21.07.2015

«Es ist jetzt nicht die Zeit, komplett umzuschichten»

Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck, erklärt die Vorliebe der Münchner Privatbank für europäische Aktien trotz weiterer Unsicherheit rund um Griechenland.

Herr Greil, ist die Griechenlandkrise ausgestanden?
Zumindest fürs Erste. In den nächsten Wochen stehen weitere, sicher turbulente Verhandlungen bevor. Aber letzten Endes dürften die Gespräche zu neuen Geldern für die Griechen führen. Aus unserer Sicht war es eine gute Einigung: Keine der beiden Seiten ging als Sieger hervor. Die Auflagen für Athen werden europafeindliche Parteien in anderen Ländern wie Spanien und Portugal im Zaum halten.

Gerade in Deutschland gibt es Zweifel an der Verlässlichkeit des Verhandlungspartners Griechenland. Wie sehen Sie das?
Die Umsetzungsrisiken einiger der Vereinbarungen sind in der Tat immens – vor allem bei den Privatisierungsvorhaben.

Trotz solcher Unsicherheiten gewichten Sie europäische Aktien jetzt «stark über»?
Das Thema Griechenland dürfte in den Hintergrund treten. Damit schauen die Finanzmärkte wieder verstärkt auf Fundamentaldaten. Und da sprechen zahlreiche Frühindikatoren für gute Konjunkturaussichten in Europa. Zudem sitzen Investmentfonds auf so viel Liquidität wie nicht mehr seit der Lehman-Krise – Geld, das darauf wartet, investiert zu werden.

Viele Titel sind aber recht teuer.
Vergessen wir nicht: In den vergangenen vier Jahren hatten wir negative Gewinnrevisionen der Analysten. Fast von Monat zu Monat wurden die Schätzungen korrigiert. Das hat im Frühjahr gedreht. Jetzt werden Prognosen optimistischer, das unterstützt die Bewertungen.

Schätzungen sind die Theorie.
Ja, aber wir sehen gute Chancen, dass die Gewinnschätzungen mindestens erreicht werden. Die Stimmung unter den Unternehmen und noch mehr unter den Konsumenten bleibt überwiegend gut. Finanzanalysten haben im Durchschnitt zu Jahresanfang mit einem Wachstum in der Eurozone von 1% gerechnet, mittlerweile gehen sie von 1,5% aus. Niedrige Rohstoffpreise, besonders für Öl, und der schwächere Euro schaffen für Aktien ein gutes Umfeld. Auch für die USA sind wir positiv: Die US-Wirtschaft wird im zweiten Halbjahr wieder dynamischer wachsen.

In den USA steht die Zinserhöhung bevor. Wann ist es so weit?
Wir erwarten den ersten Schritt für September. Wichtig ist, dass der voraussichtliche Zinspfad vom Fed bereits gut angedeutet worden ist – das war früher nicht immer der Fall. Doch bedeutender als der Zeitpunkt scheint uns die Frage des weiteren Vorgehens: Wir gehen davon aus, dass das Tempo der Zinsschritte sehr moderat sein wird – noch gemässigter als derzeit vom Markt angenommen. Sollten die Wirtschaftslage und der Arbeitsmarkt sich weiter robust präsentieren, werden wir dieses Jahr wohl eine weitere Erhöhung, und 2016 graduelle Anhebungen sehen.

Wann steigen die Zinsen in Europa?
Die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank erwarten wir frühestens für 2017.

Was bringen die Anleihenkäufe der EZB?
60 Mrd. € an neuem Geld, und das Monat für Monat: Selbstverständlich treibt das die Kapitalmärkte. Glaubt man der EZB, fliesst der «Schmierstoff» mindestens bis September nächsten Jahres, mit Betonung auf «mindestens». Die Zentralbank hat sich alles offengehalten, um die Inflationsrate wieder in Richtung 2% zu bringen.

Kann die EZB ihre Politik durchhalten?
Es gibt einige Faktoren, die anders laufen könnten als erwartet. Die Inflation kann sich beispielsweise durch unerwartet stark steigende Rohstoffpreise schneller in Richtung der Zielgrösse bewegen als gedacht. Dieses Jahr wird die EZB ihr Programm sicher durchziehen. Und nächstes Jahr kommt es darauf an, frühzeitig einen Plan zu kommunizieren, wie der Ausstieg gelingen soll. Das Tapering des Fed beim dritten Quantitative-Easing-Programm hat gezeigt, wie es geht.

Falls Inflation kommt, was spricht gegen sichere Häfen wie Immobilien oder Gold (Gold 1107.4 0.73%)?
Die Inflation muss erst mal steigen – das dauert noch. Viel Geld blieb zuletzt bei Banken hängen. Die Institute vergeben nun langsam bereitwilliger Kredite, vor allem in südeuropäischen Ländern. Aber wir dürfen nicht vergessen: Das umfassende Programm der EZB wirkt erst seit März, und es dauert, bis es sich in die Realwirtschaft durcharbeitet. Die Unsicherheit rund um Griechenland hat einiges vom erhofften Effekt verpuffen lassen. Wenn wir von sicheren Häfen sprechen, bevorzugen wir solche, die Ertrag abwerfen, also lieber eine Wohnung als Gold.

Gold ist gerade nicht sehr beliebt.
Stimmt, nicht einmal die Unsicherheit um Griechenland hat dem Goldpreis geholfen. Längerfristig orientierte Anleger halten sich an Goldminen. Diese Gesellschaften sichern den Goldpreis bisher kaum ab. Anders als früher. Sie erwarten also mindestens einen stabilen Preistrend.

Sieht Merck (MRK 59 0.31%) Finck weiteres Ungemach von der Währungsfront?
Wie man es nimmt: Der globale Abwertungswettlauf wird weiter ausgefochten. Die Japaner verhalten sich in diesem Punkt noch deutlich aggressiver als die Europäer. Die Bank of Japan hat bezogen auf die Wirtschaftsleistung des Landes das grösste QE-Programm der Welt lanciert. Aktuell nutzen japanische Unternehmen diesen Rückenwind, um Gewinne anzuhäufen. In einem nächsten Schritt könnten sie, mit dem schwachen Yen im Rücken, ihre Produkte günstiger anbieten und so weltweit ihre Marktanteile ausbauen. Man stelle sich nur vor, Toyota verkauft die Wagen billiger. Das wäre für die westliche Automobilindustrie eine Herausforderung.

Wie steht die Schweiz da?
Das grösste Risiko für die Schweiz ist es, weltweit weiter als Fluchthafen angesehen zu werden. Das würde den Franken noch mehr stärken – mit Folgeproblemen für die Wirtschaft. Nichtsdestotrotz sehen wir aber Chancen in ausgewählten Titeln.

Welche Schweizer Werte mögen Sie?
Unser Aktienteam empfiehlt weiterhin Roche (ROG 280.3 -0.36%) (RO 270 -0.74%). Der Pharmakonzern hat mehr margenstarke Krebs-Blockbuster im Portfolio als jeder andere. Die Pipeline ist gut gefüllt: Rund sechzig Mittel befinden sich in Phase II oder III. Notabene bevorzugen wir aus dem Sektor auch Bayer. Da befinden sich ebenso Blockbuster im Portfolio oder in Vorbereitung. Der Bereich MaterialScience wird entweder Anfang 2016 an die Börse oder über eine Sonderdividende zu den Aktionären gebracht. Spannend.

Was gefällt Ihnen darüber hinaus?
Wir legen starkes Gewicht auf das Thema Technologie, besonders in den USA. Als grösstes Unternehmen im Sektor bevorzugen wir Apple (AAPL 132.07 1.89%). Das iPhone 6 läuft bestens, vor allem in China. Die Produktion des nächsten iPhone ist schon gestartet. Dazu kommt eine solide Bilanz mit viel Liquidität und kaum Nettoverschuldung. Auch Vodafone (VOD 238.6 -0.19%) ist eine Überlegung wert: Der Telco-Anbieter ist in vielen Regionen präsent, sei es in Europa, Afrika oder in Indien. Der Kauf von Kabelgesellschaften wie Kabel Deutschland und Ono in Spanien sollte sich zusammen mit Investitionen ins Mobilfunknetz auszahlen.

Was empfehlen Sie noch in den USA?
Wir haben auch Starbucks (SBUX 56.21 0.93%) und Wells Fargo auf unserer Liste. Starbucks ist nach wie vor eine Wachstumsstory, vor allem in Asien. Der Aktiensplit hat den Titeln genutzt. Wells Fargo betreibt die grösste Bank der Staaten. Auf Basis einer soliden  Bilanz und des Fokus auf das klassische Privat- und Firmenkundengeschäft sollte das Institut von den US-Konjunkturperspektiven profitieren. Und wie bei Vodafone gibt es eine attraktive Dividende. Das passt zu unseren vermögenden Kunden.

Auf der einen Seite weitere Unsicherheit durch Griechenland, auf der anderen Rückenwind durch die EZB. Sollten Anleger jetzt ihr Portfolio umschichten auf Nummer sicher – oder gerade nicht?
Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um komplett umzuschichten. Themen wie Griechenland haben vorübergehend Bedeutung, verändern aber nicht den Lauf der Welt. Das muss man realistisch sehen.

Also weiter stark in Aktien bleiben?
Wir sind sehr positiv für Aktien eingestellt – und negativ für Anleihen. Gerade für Rentenpapiere von Staaten und öffentlichen Institutionen erhalten Anleger derzeit keine adäquate Risikoprämie. Wenn Anleihen, dann vor allem solche von Unternehmen mit guter Bonität oder mit entsprechend hohen Renditeaufschlägen. Zudem investieren wir etwa in Schwellenländeranleihen in harter Währung.

Und sehen Sie Aktien in Emerging Markets generell auch positiv?
Da sind wir vorsichtiger. Wir bevorzugen aktuell Rohstoffimporteure wie China oder Indien. Solche, die exportieren, leiden, wie Russland oder Brasilien. Bei Russland kommen die Ukrainekrise und damit die Sanktionen noch dazu. Das scheint noch lange nicht ausgestanden zu sein. Diese Krise könnte sich noch mehr ausweiten als die griechische.

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