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11:47 Uhr - 11.06.2018

China kauft immer gezielter zu

Der massenhafte Aufkauf westlicher Unternehmen hat spürbar nachgelassen. Doch das immer strategischere Vorgehen der Chinesen schafft neue Brisanz.

Aufregung in den Verwaltungsräten, Vorstösse der Politik. Chinesische Übernahmen erhalten neue Brisanz – obwohl es immer weniger davon gibt. Sie sind jedoch von einer neuen Qualität, und zwar gleich in mehrerer Hinsicht: Chinesen sind zu geübten Akquisiteuren geworden, und sie gehen immer zielgerichteter vor – in einem neuen Einklang mit den nationalen Interessen Chinas.

«Über die letzten Jahre sind chinesische Käufer bei Übernahmen merklich ambitionierter und geschickter geworden», sagt Colin Banfield, Managing Director bei Citi, der aus Hongkong das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen in Asien-Pazifik leitet. «Einige chinesische Unternehmen sind zu wahren Serienkäufern geworden, beispielsweise ChemChina.» Der Konzern hat für 43 Mrd. $ Syngenta (Syngenta 0 0%) übernommen, nachdem er sich zuvor bereits den italienischen Reifenhersteller Pirelli (Pirelli 0 0%) und den deutschen Maschinenbauer Krauss Maffei einverleibt hatte. HNA hat sich in der Schweiz Gategroup, Swissport sowie weitere Beteiligungen unter den Nagel gerissen. Im Ausland kamen Hotelketten und Immobilien hinzu. Kurz: Die Bildung von Imperien herrschte vor, oft ohne klar ersichtliche Strategie.

Unkontrollierte Einkaufstour

Die meisten Deals sind weniger prominent, folgten jedoch einer bestimmten Logik. «Die Zukäufe waren nicht von betriebswirtschaftlichen strategischen Überlegungen oder volkswirtschaftlichen Interessen getrieben», sagt eine chinesische Quelle, die ihren Namen aus Furcht vor Repressalien nicht in der Zeitung lesen will: «Die Zukäufe dienten dem Ziel einzelner zu Wohlstand gekommener Chinesen, Teile ihres Vermögens ins Ausland zu transferieren.» Auch mit Hilfe von unerwarteter Seite: «Die chinesischen Käufer finanzierten die Übernahmen nicht mit Eigenkapital, sondern über Fremdkapital – oft durch Kredite von Staatsbanken.»

In der Zwischenzeit hat Chinas Präsident gehandelt: «Xi Jinpings Antikorruptionskampagne hat zur Folge, dass die Staatsbetriebe nun von Leuten geleitet werden, die dem Präsidenten ergeben sind», sagt die chinesische Quelle. Die Vorgaben sind klar: «Mit dem industriellen Masterplan ‹Made in China 2025› hat die chinesische Regierung klare Richtlinien aufgestellt, in welchen neuen Technologien China nach globaler Führerschaft strebt», sagt M&A-Banker Banfield: Energieeffizienz, neue Antriebstechnologien wie Brennstoffzellen, Halbleiter, Robotertechnologie und medizinische Hochleistungsapparate sind Beispiele. In anderen Worten: Dem unkontrollierten Geldabfluss ins Ausland hat die Regierung Grenzen auferlegt. Die Akquisitionsstrategie chinesischer Unternehmen ist in Einklang mit den nationalen Interessen gebracht.

Nationale Interessen

Schon länger im nationalen Interesse agiert die chinesische Wettbewerbsbehörde. Mofcom ermöglicht China, bei der Freigabe grosser internationaler Transaktionen mitzureden und ausländischen Konzernen Auflagen abzuverlangen. Die 30-Mrd.-$-Fusion der beiden kanadischen Rohstoffgiganten Agrium (Agrium 0 0%) und Potash hat Mofcom Ende vergangenen Jahres nur unter der Bedingung erlaubt, dass ihr chilenisches Lithiumgeschäft veräussert wird. Diesen Mai hat sich die chinesische Tianqi Lithium für 4 Mrd. $ in dieses Geschäft eingekauft. Lithium ist ein Grundstoff für Batterien und Elektromobilität eine erklärte Zieltechnologie Chinas. Die grössten Lithiumvorkommen befinden sich in China, in Australien, wo die Chinesen bereits präsent sind, und eben in Chile, wo sie nun ebenfalls den Fuss in der Tür haben.

Ähnliche Fälle im Technologiebereich: Die chinesische Wettbewerbsbehörde monierte, die Akquisition von Alcatel-Lucent (Alcatel-Lucent 0 0%) durch Nokia (NOKIA 4.95 0.12%) kreiere eine Patentübermacht im Bereich Mobiltelefonnetzwerke. Gelöst wurde das Problem, indem Nokia in China ihre gesamten Entwicklungen und Patente in ein Joint Venture mit der chinesischen Investmentfirma Huaxin einbrachte. Kommunikationstechnologie ist sicherheitspolitisch zentral, und China hat sich zum Ziel gesetzt, beim neuen Standard 5G vorne mit dabei zu sein.

Forsche neue Gangart

Der jüngste chinesische Coup ist die Beteiligungsnahme an Daimler (DAI 60.79 -1.89%). Li Shufus hat sich im Frühling auf einen Schlag für rund 7 Mrd. € einen Minderheitsanteil an Daimler gesichert und Kooperationsgespräche verlangt. Li Shufus ist der Gründer des chinesischen Autobauers Geely, der bereits Volvo (VOLV A 148.2 -0.34%) übernommen hat. «Dass Geely so schnell und völlig unerwartet fast 10% an Daimler erwerben konnte, ist zu einem wichtigen Thema in den Verwaltungsräten vieler grosser europäischer Unternehmen geworden», berichtet Citi-Banker Banfield aus direkten Gesprächen. Die Verwaltungsräte suchten nach den Beweggründen für solch eine Investition.

Aus den Beispielen lässt sich resümieren: Daimler ist ein logisches Ziel. Die Chinesen suchen neue Antriebstechnologien, interessieren sich für autonomes Fahren und wollen Technologie, um Fahrzeuge untereinander sowie mit der Umwelt zu vernetzen. In diesen Bereichen sind die deutschen Automobilkonzerne führend. BMW (BMW 84.85 -0.92%) ist familiendominiert, bei Volkswagen (VOW 185.3 -0.7%) kommt Eigentümerschaft durch das Land Niedersachsen hinzu. Daimler hat keinen Ankeraktionär. Neu an diesen chinesischen Avancen ist, dass der Einstieg feindlich war. Kooperationsgespräche sind offiziell zwar noch nicht aufgenommen worden. Deutsche Medien berichten jedoch von Treffen hinter den Kulissen: Li Shufus wolle Daimler zu einer Kooperation mit Volvo bewegen. Mit dieser hat der Geely-Gründer bereits einen Technologietransfer nach China etabliert.

Chinas Ziel ist letztendlich das Ausrollen neu erworbener Technologie im eigenen Land und darüber hinaus: «Die Belt-and-Road-Initiative – auch bekannt als neue Seidenstrasse – fokussiert darauf, den Handelsfluss zu steigern und neue Investitionsgelegenheiten zwischen China und rund 65 Ländern auszuloten», sagt M&A-Banker Banfield. Übernahmen seien ein Element dieser Initiative, doch im Kern gehe es um grosse und langfristige Infrastrukturprojekte. Ziel: die Länder empfänglich für chinesische Investitionen und Technologien zu machen.

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