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13:37 Uhr - 13.11.2020

«Mathematik und Statistik dominieren»

Ralph Ossa vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich erklärt, wie die moderne Ökonomie wichtige gesellschaftliche Fragen beantwortet.

Das Department of Economics der  Universität Zürich bildet künftige Ökonomen aus. Die Anforderungen des renommierten Studiengangs haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. So müssen die Studenten heute neben den theoretischen Fachkenntnissen auch in den Fächern Mathematik und Statistik fit sein. Am Ende des Studiums können die Teilnehmer wichtige gesellschaftliche Fragen theoretisch oder empirisch analysieren, wie Ralph Ossa, Vorsitzender des ­Departments, im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» berichtet. Die meisten Studenten finden nach ihrem ­Abschluss eine Anstellung bei Zentral­banken, Behörden oder internationalen Organisationen, und seit Kurzem zeigen auch Tech-Unternehmen Interesse an ihren Fähigkeiten.

Herr Ossa, was genau bietet das Ökonomiestudium an der ­Universität ­Zürich?
In der modernen Ökonomie geht es ­letztlich darum, wichtige gesellschaftliche Fragen rigoros zu beantworten, und genau dazu wollen wir unsere Studenten auch befähigen. Uns beschäftigt zurzeit insbesondere, wie unsere Gesellschaft ökologische Nachhaltigkeit erreichen, die digitale Revolution managen, die Globalisierungskrise überwinden, Armut und Ungleichheit reduzieren sowie mit Populismus und Extremismus umgehen kann.

Warum sagen Sie Globalisierungskrise und  nicht einfach Globalisierung?
Denken Sie nur an den Handelskrieg, die Eurokrise oder den Brexit. Die Globali­sierung war schon lange nicht mehr so umstritten wie heute. Wir wollen dazu ­beitragen, diesen heftigen Streit zu versachlichen, damit die Welt zu vernünftigen Lösungen kommt.

Deckt sich das mit den Erwartungen Ihrer Studenten an das Fach?
Viele unserer Studenten interessieren sich in der Tat zunächst einfach ganz allgemein für das Fach. Im Laufe der Zeit kristallisieren sich dann konkrete Schwerpunkte und Berufswünsche heraus.

Welche denn?
Die meisten orientieren sich noch an den klassischen Berufsbildern für Ökonomen. Sie wollen also zum Beispiel zu Zentralbanken, Behörden, internationalen Organisationen, Banken, Versicherungen oder natürlich auch in die Wissenschaft. Allerdings beobachten wir einen Trend in den USA, wo viele ausgebildete Ökonomen mehr und mehr zu Tech-Unternehmen wie Microsoft (MSFT 215.44 -0.51%), Google oder Uber (UBER 46.40 +0.37%) wechseln. Diese Unternehmen wissen unsere Fähigkeiten sehr zu schätzen. Ausserdem verfügen sie über eine Fülle von Daten, was sie wiederum für uns sehr interessant macht. Diesen Trend erwarte ich auch bald bei uns in Europa.

Was macht die Ökonomie als Disziplin denn genau aus?
In der Ökonomie hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Wir definieren uns mittlerweile eher über Methoden als über Themen, wobei Mathematik und Statistik eine dominierende Rolle während des Studiums spielen. 

Welche Fähigkeiten haben Ihre Studenten demnach am Ende ihrer Ausbildung und welche nicht?
Sie können wichtige gesellschaftliche Fragen rigoros beantworten. Das bedeutet im Kern, dass sie komplexe Probleme auf ihre wesentlichen Bestandteile reduzieren und diese dann sauber theoretisch oder empirisch analysieren können.

Was meinen Sie mit sauber?
Sauber heisst zum Beispiel, dass man aus einer Korrelation nicht sofort eine Kausalität folgert, was gerade bei gesellschaftlichen Fragen leider viel zu oft geschieht.

Das klingt sehr theoretisch. Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?
Ja. Es wird doch beispielsweise oft behauptet, dass ein Kaiserschnitt schlecht für die Gesundheit des Babys sei. Und es stimmt tatsächlich, dass Babys, die eine natürliche Geburt durchleben, im Durchschnitt gesünder sind. Aber geht es den Babys nun wirklich wegen des Kaiserschnitts schlechter? Eine Kollegin hat sich genau dieser Frage angenommen.

Dies würde man gar nicht in der ­Ökonomie ­vermuten.
Genau, es ist aber gesellschaftlich relevant und ein gutes Beispiel für unsere Heran­gehensweise. Meine Kollegin konnte zeigen, dass der Kaiserschnitt besser ist als sein Ruf, indem sie Eingriffe untersucht hat, die eindeutig nicht auf eine schwache Gesundheit des Babys zurückzuführen sind. Dafür machte sie sich zunutze, dass es zum Beispiel am Abend besonders viele Kaiserschnitte gibt, einfach weil die Ärzte nach Hause wollen. 

Welche grundsätzlichen Überlegungen müssen sich künftige Studenten zu Beginn des Studiums machen? Für wen ist die ­Ökonomie geeignet und für wen nicht?
Künftige Studenten müssen sich für wirtschaftliche Zusammenhänge interessieren und keine Berührungsängste bei Mathematik oder Statistik haben. In fast ­allen unseren Veranstaltungen spielen Mathematik oder Statistik eine wichtige Rolle. Für jemanden, dem dies schwerfällt und der daran auch keinen Spass hat, wird es ungemütlich. Aber keine Sorge, bei uns geht es nicht zu wie in der Physik. Die Mathematik, die wir anwenden, baut auf dem Wissen auf, das heute an den Gymnasien vermittelt wird. Wer da gut durchkommt, ist gut vorbereitet.

Programmiersprachen wenden Sie auch an?
Ja, aber erst im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten.

Wie hat die Coronazeit den Lehrbetrieb ­verändert, und was sind diesbezüglich Ihre Erwartungen für die Zukunft?
Wir mussten im Frühling praktisch über Nacht auf Onlinebetrieb umstellen. Das war eine grosse Herausforderung, hat aber insgesamt gut geklappt. Onlinekurse ersetzen natürlich nicht den Präsenzunterricht, aber es läuft doch besser als gedacht. Die grösste Herausforderung waren die Prüfungen, die die Studenten zu Hause absolvieren mussten. Dafür haben wir unsere Klausuren umgestellt. 

Wie genau?
Es wurde weniger Wissen abgefragt, dafür wurden mehr Transferaufgaben gestellt. Das war für meine Kollegen mit viel Arbeit verbunden, aber letztlich sind viele Klausuren nun sogar besser geworden. Denn wenn die Transferfragen in den Prüfungen gut beantwortet werden, ist das Thema wirklich verstanden worden. Die Frage zum Beispiel «Wie verändert die Coronakrise den Handel zwischen der Schweiz und Deutschland?» kann man zu Hause nicht einfach nachschlagen oder googeln.  

Was sind die Vorteile von Online Learning, und was geht verloren?
Ein grosser Vorteil ist, dass der Lernstoff den Studenten nun in der Regel auch per Video zur Verfügung steht und sie ihn sich so in ihrer eigenen Lerngeschwindigkeit aneignen können. Das erfordert natürlich viel Disziplin. Ein grosser Nachteil ist, dass die persönlichen Kontakte unter den Studenten verloren gehen, die ja eigentlich auch ein wesentlicher Teil des Studiums sind. Am besten hat sich das ­sogenannte Blended-Learning-Konzept bewährt. Hierbei eignen sich die Studenten das Basiswissen zuerst per Video an, und wir vertiefen es dann in einer inter­aktiven Präsenzveranstaltung.

Wird sich die nun beginnende ­Generation von Studenten von den ­vorherigen unterscheiden?
Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Es ist alles nicht optimal, aber wir lernen, mit der Situation, wie sie im Moment leider ist, umzugehen.

Und in der Forschung, was hat Corona da angerichtet?
Wir sind alle sehr viel gereist, um uns zum Beispiel auf internationalen Konferenzen auszutauschen. Das war in diesem Jahr natürlich nicht möglich, sodass viel mit Online Workshops experimentiert worden ist. Dabei ist uns allen klar geworden, dass wir unsere Reisetätigkeit auch in ­Zukunft ein Stück weit reduzieren können. Manche echte Treffen sind unersetzlich, viele aber eben auch nicht.

Welche Trends ­beobachten Sie gerade an den ­US-Universitäten?
Einige US-Universitäten stehen natürlich wegen der Coronakrise vor Schwierigkeiten, zum Beispiel weil die Studiengebühren von ausländischen Studenten aus­bleiben. Aber das politische Klima in den USA bereitet mir da viel grössere ­Sorgen, weil es den Wissenschaftsstandort USA schwer beschädigt. US-Univer­sitäten sind in der Forschung nach wie vor das Mass aller Dinge. Aber das ist nur so, weil sie die besten Köpfe der Welt in die USA locken, und die können auch schnell wieder gehen. Wir kriegen zum Beispiel immer mehr Anfragen gerade von europäischen Kollegen, die angesichts der politischen Situation nicht mehr in den  USA bleiben möchten.

Wäre das eine Chance für Europa als ­Wissenschaftsstandort?
In gewisser Weise schon, ja, aber über so eine Chance freut man sich natürlich nicht unbedingt.

Und auf der Ebene Austauschprogramme?
Die sind natürlich im Moment nicht mehr so möglich wie zuvor. Einige Programme laufen online, aber das ist ein schwacher Trost. Wir müssen das Beste aus der Lage machen. Ich denke aber, diese Möglichkeiten zum Auslandaufenthalt wird es bald wieder geben.

Haben Sie oder Ihre Kollegen aktuelle ­Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen der Coronapandemie in der Pipeline? Was können wir von Ihrem Institut erwarten?
Ja, da tut sich vieles. Eine Kollegin untersucht zum Beispiel gerade die Auswir­kungen von Covid-19 auf wirtschaftliche Ungleichheit, ein anderer den Einfluss von Desinformation auf die Verbreitung von Covid-19. Einige meiner Kollegen beraten auch die Politik im In- und Ausland, etwa als Mitglied der Swiss National ­Covid-19 Science Task Force.

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