Ernst Bärtschi, VR-Präsident von Conzzeta und China-Kenner, sieht Chinas Wirtschaftspolitik auf gutem Weg und relativiert die oft kritisierte hohe Verschuldung.
Chinas Wirtschaft befindet sich in einer kritischen Phase. Die Wachstumsrate sinkt, in wichtigen Sektoren gibt es hohe Überkapazitäten, und die Verschuldung steigt. Viele westliche Ökonomen und Investoren betrachten das Land skeptisch. Wie beurteilt ein Wirtschaftslenker, der in China aktiv ist, die Perspektiven der zweitgössten Wirtschaftsmacht der Welt? Ernst Bärtschi hat als ehemaliger Schindler- und Sika-Manager lange China-Erfahrung und bis heute gute Beziehungen ins Reich der Mitte. Er zeichnet ein positives Bild und rechnet mit mehr Druck auf die westlichen Industrieländer.
Zur PersonBegründet hatte Ernst Bärtschi (63) sein Wissen und seine guten Kontakte zu China in seiner Zeit als Schindler-Manager in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Er sass damals im VR der Joint-Venture-Tochter in China. Später, als CEO der Bauchemiegruppe Sika, schaffte er es, einen substanziellen Marktanteil im chinesischen Bauchemiegeschäft zu erobern. Heute hält er unter anderem als Aufsichtsrat des irischen Zementkonzerns CRH, der auch in China aktiv ist, und als Berater des chinesischen Private-Equity-Investors CRCI China Renaissance Capital Investment Kontakt zu China. In der Schweiz amtet er als VR-Präsident von Conzzeta und als Verwaltungsratsmitglied von Bucher Industries – beide mit Aktivitäten in China.Herr Bärtschi, im Westen schaut man besorgt auf China. Ist das gerechtfertigt?
Es gilt, die Proportionen zu wahren. Während der Westen trotz stimulierender Massnahmen nicht richtig auf Touren kommt, verfolgt die chinesische Führung eine längerfristige Vision. Und mit Wachstumsraten von über 6% ist sie auf dem besten Weg, diese zu realisieren. Ein solches Wachstumstempo ist wohl immer noch sehr respektabel. China wird damit Jahr für Jahr das jährliche BIP zuerst der Türkei, dann der Niederlande und Indonesiens obendrauf bauen, eine fast unvorstellbare Grössenordnung.
Mehr zum Thema» Der neue chinesische Fünfjahresplan
» Der «Made in China 2025»-PlanDoch wie stabil ist das System, welche Wirtschaftspolitik wird sich durchsetzen?
Im chinesischen Export dominieren heute die sehr effizienten Privatunternehmen. Nur noch 8% der industriellen Exporte werden von Staatsbetrieben erarbeitet. 2015 wurden 82% der neuen Jobs in den Städten von privaten Unternehmen geschaffen. Die chinesische Führung versteht die wichtige Rolle der Unternehmer und dürfte weitere Liberalisierungen eher unterstützen als bremsen.
Wie transparent sind die wirtschaftspolitischen Absichten Chinas?
Durch die öffentlich dargelegten Fünfjahrespläne – der jüngste wurde eben im März verabschiedet – ist die Kommunikation aus meiner Sicht relativ transparent. Der neue Plan kann im grossen Ganzen als Fortsetzung der bisherigen Wachstumspolitik verstanden werden.
Die Planwirtschaft hat aber auch zu den hohen Überkapazitäten in der Schwerindustrie geführt.
Visionen schaffen Wachstum – aber auch Überkapazitäten: Im Zementbereich, in den ich etwas Einblick habe, verbrauchte der chinesische Markt jahrelang 60% des Weltmarktes. Doch jetzt bestehen 50% Überkapazität. Da bedarf es Korrekturen und Restrukturierungen. Doch tiefgreifende Eingriffe sind in China nichts grundsätzlich Neues: Bereits unter Premierminister Zhu Rongji wurden vor 15 Jahren 60 000 Staatsbetriebe geschlossen.
Wie wird der angestrebte Strukturwandel weg von der Schwerindustrie hin zu mehr Konsum gesteuert?
Alle westlichen Unternehmen, die in China tätig sind, klagen über stark steigende Löhne. Diese sind aber Grundlage für Wohlstand und höheren Konsum. Auch die jetzt anlaufende Einführung von Pensionskassenlösungen erlaubt – wie damals bei uns –, dass in China weniger fürs Alter gespart werden muss und mehr Geld für den Konsum übrig bleibt.
Doch China kauft sich Wachstum mit stark steigenden Schulden – geht das gut?
Die Verschuldung ist in erster Linie ein Zeichen von Wachstum. Stark wachsende Unternehmen oder Länder werden sich immer höher verschulden und sich erst danach wieder dem üblichen Verschuldungsgrad anpassen. Bei Tesla und Elon Musk findet man das sexy, bei China hat man Bedenken.
Auch zu Tesla gibt es kritische Stimmen …
… und es gibt weitere Unterschiede: Anders als in den meisten Staaten des Westens ist die Aktivseite der chinesischen Volkswirtschaft üppig ausgestattet mit Staatsbetrieben, riesigen staatseigenen Landvorräten und grossen staatseigenen Infrastrukturvermögen wie Flughäfen, Strassen oder Eisenbahnen. Das alles könnte im Bedarfsfall verkauft werden. Da China alle Schulden landesintern finanziert, bestehen für Nicht-Chinesen keine Kreditausfallrisiken.
Wie will sich die chinesische Wirtschaft in der Welt positionieren?
Staats- und Parteichef Xi Jinping lancierte 2013 die Idee einer «neuen Seidenstrasse». Sie entspricht dem Bemühen der Chinesen, in den angrenzenden Ländern – ja bis nach Europa – den Wohlstand zu fördern und Absatzmärkte für die eigene Exportwirtschaft zu schaffen. Vielleicht verstehen wir diese Initiative im Westen besser unter dem Oberbegriff «Marshall-Plan».
China baut und finanziert in Schwellenländern Infrastrukturausrüstungen wie Züge oder Tramlinien. Damit drängen sie private, westliche Anbieter aus dem Markt.
Das Vordringen Chinas in Afrika und Südamerika ist ein Fakt. Das hohe Anwendungsknowhow des Westens, besonders auch der Schweiz, wird es unserer Industrie aber erlauben, gegen die Konkurrenz aus China mit hochwertigen Produkten und Servicelösungen mindestens im «Goldsegment» global zu bestehen. Mit Vorteil sind wir aber in China selbst vertreten, um bezüglich der neuen Technologien am Ball zu bleiben.
Die neuen Technologien kommen aus China?
Immer mehr. Dazu hat China grosse Programme gestartet – zum Beispiel durch Festlegung von Fokus-Gebieten, in denen das Land die klare globale Nummer eins sein will.
Was strebt China hier konkret an?
Das ist im «Made in China 2025»-Programm recht klar formuliert. Dieses beinhaltet beispielsweise die gesamte Palette der Industrie-4.0-Thematik, vom 3D- Printing bis zur Robotik. Wir haben bei unseren Kundenbesuchen bereits die angelieferten Roboter gesehen, welche zur Installation bereitstehen und massenweise Mitarbeiter selbst in heute schon sehr effizient produzierenden Fabriken freisetzen werden. China will ja nicht mehr nur kopieren, sondern die Zukunft im mittleren Qualitätssegment, ich nenne es Silbersegment, vorwegnehmen!
Wird dadurch der Druck aus China auf den Rest der Welt, besonders den Westen, weiter zunehmen?
Der Druck wird weiter steigen, ja. Aber den gibt es schon lange. Denken Sie an den Aufstieg Japans in den Achtzigerjahren. Wir im Westen stehen vor neuen Herausforderungen, die uns zwingen werden, herauszufinden, wo wir Chancen haben und wo wir besser die günstigeren Produkte gleich von China beziehen. Man kann vermuten, dass generell die günstigste brauchbare Lösung künftig von China kommen wird.
Das klingt, als ob sich der Westen mit Nischen zufriedengeben muss, in einer von China dominierten Weltwirtschaft?
Nein. China hat zwar seine Zielmärkte definiert und wird in einigen dieser Märkte mit gewaltigen Anstrengungen eine Marktführerschaft erreichen – aber China will und wird nicht alle Bereiche dominieren. Das war schon mit Japan ähnlich. Ob es uns allerdings gelingen wird, wie damals bei den Uhren in den Neunzigerjahren im Luxussegment die Marktführerschaft zurückzugewinnen, hängt auch von uns ab.
Was muss ein ausländischer Unternehmer heute in China am stärksten beachten? Wie soll er dort vorgehen?
Nur wer im dereinst sehr grossen Markt China eine starke Position erringt, wird künftig auch global eine grosse Rolle spielen können. Wer bisherige globale Marktanteile halten will, kann das nur, wenn er in China ähnlich erfolgreich ist wie im Rest der Welt. Erfolg in China kann selbst für grössere Unternehmen durchaus eine Verdoppelung des Umsatzes – allerdings mit entsprechendem Kapitaleinsatz – bedeuten.
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