Flemming Ornskov, der CEO des irischen Pharmaunternehmens Shire, sieht in einem Schulterschluss mit dem amerikanischen Konkurrenten AbbVie keine Logik, wie er im Interview mit der FuW erläutert.
Die irische Pharmagruppe Shire wird vom US-Wettbewerber AbbVie (ABBV 48.7 0.93%) bedrängt. Schon dreimal haben die Amerikaner einen Übernahmevorschlag, zuletzt im Gesamtwert von rund 46 Mrd. $, unterbreitet. Doch der Verwaltungsrat von Shire sagte jedes Mal nein. Konzernchef Flemming Ornskov lässt sich von der Aufregung nicht aus der Ruhe bringen. Die Sommerferien mit seiner Familie in Kalifornien hat er fest eingeplant, und auch die WM-Spiele verfolgt der passionierte Fussballspieler regelmässig.
Herr Ornskov, um Shire kursierten in den vergangenen Jahren wiederholt Übernahmespekulationen, doch der Name AbbVie fiel dabei nie. Sind Sie überrascht, dass AbbVie auf Shire zugekommen ist?
Dass Shire immer wieder als Übernahmekandidat genannt wird, ist mir natürlich bekannt. Doch AbbVie figurierte nicht auf der Liste der wahrscheinlichsten Kaufinteressenten. Insofern ist der Annäherungsversuch schon eine Überraschung.
AbbVie scheint es mit dem Übernahmebegehren ernst zu sein. Bereits zweimal haben die Amerikaner einen höheren Kaufpreis vorgeschlagen. Wie gross schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich Shire ihrem Griff noch entziehen kann?
AbbVie hat mitgeteilt, dass sie vor allem eine Optimierung ihrer Steuerstruktur anstrebt. Offenbar hegt die Gesellschaft die Befürchtung, diese Möglichkeit wegen politischer Änderungen in den USA bald nicht mehr zu haben.
Nochmals gefragt: Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Shire trotz der Avancen von AbbVie unabhängig bleibt?
Solche Dinge lassen sich schwer voraussagen. Unser Verwaltungsrat hat sich dreimal ganz deutlich gegen eine Übernahme ausgesprochen. Eine andere Frage ist, ob sich weitere Unternehmen als Kaufinteressenten einschalten, nachdem nun schon mehrere Wochen über das Angebot von AbbVie in den Zeitungen zu lesen war.
Rechnen Sie mit einem Wettbieten?
Das ist nicht ausgeschlossen. AbbVie selbst wurde von der britischen Übernahmekommission eine Frist von 28 Tagen gesetzt, um formal ein Angebot zu unterbreiten. Die Frist läuft am 18. Juli aus.
Analysten halten eine Erhöhung des AbbVie-Angebots von derzeit rund 47 auf über 50 £ pro Aktie für möglich. Würde der Shire-Verwaltungsrat unter diesen Umständen seinen Widerstand aufgeben?
Das Prozedere wäre dasselbe. Der Verwaltungsrat würde zusammentreten, ich und mein Team würden aufzeigen, welches Wachstum wir aus eigener Kraft erzielen können, und zwei Banken würden als externe Partner den Wert von Shire bestimmen. Aufgrund dieser Faktenlage würde der Verwaltungsrat dann entscheiden, ob er das Angebot unterstützt oder nicht.
Welche Argumente neben steuerlichen Vorteilen hat das AbbVie-Management in den Gesprächen mit Ihnen und Verwaltungsratspräsidentin Susan Kilsby sonst noch vorgebracht?
Wie auch der Präsentation von AbbVie zu entnehmen ist, betraf das meiste die Reduktion des Steuersatzes. Die AbbVie-Führung möchte zudem Zugriff auf Kapital ausserhalb der Vereinigten Staaten erhalten, das bisher wegen der hohen fiskalischen Belastung in den USA nicht repatriiert werden konnte.
Im Pharmamarkt herrscht wachsender Preisdruck. Wäre es da nicht auch für Shire von Vorteil, zusammen mit AbbVie über mehr Gewicht und damit auch zusätzliche Macht in Preisverhandlungen zu erhalten?
Aus Sicht von Shire ist Grösse wie auch Präsenz in mehr Ländern kein stichhaltiges Argument. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung und den Verkauf von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen. Dieses Geschäft beschränkt sich auf gut vierzig Länder. Wir brauchen keine zusätzlichen Absatzmärkte und auch nicht mehr Kapital und Verkaufsleute.
Wird die Behandlung der ADHS-Erkrankung oder des Darmleidens Colitis Ulzerosa, auf die Shire ebenfalls spezialisiert ist, nicht über kurz oder lang auch ein Thema in vielen Schwellenländern?
Wir erwarten hier nur sehr beschränkt Impulse. Wir versuchten schon, in diesen Märkten stärker Fuss zu fassen. Die Fortschritte sind jedoch beschränkt.
Ihr wichtigster Konkurrent in der Behandlung seltener Erkrankungen, Genzyme, wurde 2011 vom Pharmariesen Sanofi geschluckt. Wollen Sie sich und Ihren Mitarbeitern ein ähnliches Schicksal ersparen?
Sanofi kaufte Genzyme damals für 20 Mrd. $. Von aussen betrachtet scheint es nicht, dass Genzyme als Teil von Sanofi heute innovativer ist und die Marktposition verbessert hat. Genzyme hat in der Zwischenzeit auch nicht viele Deals abgeschlossen, obschon das Unternehmen theoretisch Zugang zu mehr Kapital hat.
Unter dem Druck der AbbVie-Avancen haben Sie die Prognose gemacht, den Umsatz von Shire bis 2020 auf 10 Mrd. $ zu verdoppeln bzw. jährlich im Durchschnitt um mehr als 10% zu steigern. Verschiedene Analysten kritisieren, das basiere auf übertriebenen Annahmen. Sind Sie zu optimistisch?
Was wir in Aussicht stellen, ist sehr moderat. Im bestehenden Geschäft rechnen wir mit einer Umsatzexpansion von 5,5 auf 7 Mrd. $. Das entspricht ziemlich genau dem, was alle Analysten erwarten. Es beruht zudem auf einem deutlich geringeren Wachstum als dem zurzeit erzielten. Mit Blick auf unsere dreizehn Produkte, die sich im späten Stadium der klinischen Entwicklung befinden, haben wir nicht gesagt, dass alle die Marktreife erlangen würden. Wir haben eine durchschnittliche Erfolgsrate als Basis genommen, was bis 2020 rund 3 Mrd. $ mehr Umsatz ergibt.
Shire ist dafür bekannt, selbst fleissig zu akquirieren. Wie viel Umsatz versprechen Sie sich von künftigen Zukäufen?
Unsere Wachstumsannahme beruht darauf, in den nächsten fünf Jahren nichts weiter zu akquirieren. Das wäre unwahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass wir allein in den vergangenen achtzehn Monaten sechs Transaktionen gemacht haben. Kritikern, die unsere Erwartungen als optimistisch einstufen, halte ich entgegen: Wir sind eher pessimistisch.
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