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16:05 Uhr - 04.07.2014

«Shire braucht nicht mehr Verkaufsleute»

Flemming Ornskov, der CEO des irischen Pharmaunternehmens Shire, sieht in einem Schulterschluss mit dem amerikanischen Konkurrenten AbbVie keine Logik, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Die irische Pharmagruppe Shire wird vom US-Wettbewerber AbbVie (ABBV 48.7 0.93%) bedrängt. Schon dreimal haben die Amerikaner einen Übernahmevorschlag, zuletzt im Gesamtwert von rund 46 Mrd. $, unterbreitet. Doch der Verwaltungsrat von Shire sagte jedes Mal nein. Konzernchef Flemming Ornskov lässt sich von der Aufregung nicht aus der Ruhe bringen. Die Sommerferien mit seiner Familie in Kalifornien hat er fest eingeplant, und auch die WM-Spiele verfolgt der passionierte Fussballspieler regelmässig.

Zur Person
Flemming Ornskov gehört zur nicht kleinen Gruppe von Medizinern, die es bis an die Spitze im Management von Pharmaunternehmen geschafft haben. Der gebürtige Däne, der seit Ende April 2013 als CEO von Shire fungiert und Vater von vier Kindern ist, arbeitete nach dem Medizinstudium in Kopenhagen zunächst mehrere Jahre in der Pädiatrie. Kinder sind auch die Hauptzielgruppe des irischen Unternehmens Shire, das auf die Behandlung seltener Erbkrankheiten wie des Fabry-Syndroms und der Hunter-Erkrankung spezialisiert ist. Vor seinem Wechsel zu Shire verantwortete Ornskov während gut drei Jahren das Marketing des deutschen Pharma- und Chemiekonzerns Bayer. Ornskov wohnt seit mehr als zehn Jahren in Erlenbach am Zürichsee. In die Schweiz brachte ihn damals eine Anstellung bei Novartis, wo er zuletzt das globale Geschäft im Bereich Ophthalmologie (Augenheilkunde) leitete.
Im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» legt Ornskov dar, weshalb aus seiner Sicht den Shire-Aktionären mit einem Alleingang besser gedient wäre.

Herr Ornskov, um Shire kursierten in den vergangenen Jahren wiederholt Übernahmespekulationen, doch der Name AbbVie fiel dabei nie. Sind Sie überrascht, dass AbbVie auf Shire zugekommen ist?
Dass Shire immer wieder als Übernahmekandidat genannt wird, ist mir natürlich bekannt. Doch AbbVie figurierte nicht auf der Liste der wahrscheinlichsten Kaufinteressenten. Insofern ist der Annäherungsversuch schon eine Überraschung.

AbbVie scheint es mit dem Übernahmebegehren ernst zu sein. Bereits zweimal haben die Amerikaner einen höheren Kaufpreis vorgeschlagen. Wie gross schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich Shire ihrem Griff noch entziehen kann?
AbbVie hat mitgeteilt, dass sie vor allem eine Optimierung ihrer Steuerstruktur anstrebt. Offenbar hegt die Gesellschaft die Befürchtung, diese Möglichkeit wegen politischer Änderungen in den USA bald nicht mehr zu haben.

Chronologie zu Übernahmespekulationen und Annäherung zwischen AbbVie und Shire
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Nochmals gefragt: Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Shire trotz der Avancen von AbbVie unabhängig bleibt?
Solche Dinge lassen sich schwer voraussagen. Unser Verwaltungsrat hat sich dreimal ganz deutlich gegen eine Übernahme ausgesprochen. Eine andere Frage ist, ob sich weitere Unternehmen als Kaufinteressenten einschalten, nachdem nun schon mehrere Wochen über das Angebot von AbbVie in den Zeitungen zu lesen war.

Rechnen Sie mit einem Wettbieten?
Das ist nicht ausgeschlossen. AbbVie selbst wurde von der britischen Übernahmekommission eine Frist von 28 Tagen gesetzt, um formal ein Angebot zu unterbreiten. Die Frist läuft am 18. Juli aus.

Analysten halten eine Erhöhung des AbbVie-Angebots von derzeit rund 47 auf über 50 £ pro Aktie für möglich. Würde der Shire-Verwaltungsrat unter diesen Umständen seinen Widerstand aufgeben?
Das Prozedere wäre dasselbe. Der Verwaltungsrat würde zusammentreten, ich und mein Team würden aufzeigen, welches Wachstum wir aus eigener Kraft erzielen können, und zwei Banken würden als externe Partner den Wert von Shire bestimmen. Aufgrund dieser Faktenlage würde der Verwaltungsrat dann entscheiden, ob er das Angebot unterstützt oder nicht.

Welche Argumente neben steuerlichen Vorteilen hat das AbbVie-Management in den Gesprächen mit Ihnen und Verwaltungsratspräsidentin Susan Kilsby sonst noch vorgebracht?
Wie auch der Präsentation von AbbVie zu entnehmen ist, betraf das meiste die Reduktion des Steuersatzes. Die AbbVie-Führung möchte zudem Zugriff auf Kapital ausserhalb der Vereinigten Staaten erhalten, das bisher wegen der hohen fiskalischen Belastung in den USA nicht repatriiert werden konnte.

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Weiter verspricht sie sich durch das Zusammengehen mit Shire eine Diversifikation des Umsatzes. Bekanntlich stammen fast 60% der AbbVie-Verkäufe von einem Medikament, dem vor allem gegen Arthritis eingesetzten Humira. Kleinere Überschneidungen würden sich gemäss AbbVie im Bereich der Behandlung von Magen-Darm-Krankheiten ergeben.

Im Pharmamarkt herrscht wachsender Preisdruck. Wäre es da nicht auch für Shire von Vorteil, zusammen mit AbbVie über mehr Gewicht und damit auch zusätzliche Macht in Preisverhandlungen zu erhalten?
Aus Sicht von Shire ist Grösse wie auch Präsenz in mehr Ländern kein stichhaltiges Argument. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung und den Verkauf von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen. Dieses Geschäft beschränkt sich auf gut vierzig Länder. Wir brauchen keine zusätzlichen Absatzmärkte und auch nicht mehr Kapital und Verkaufsleute.

Wird die Behandlung der ADHS-Erkrankung oder des Darmleidens Colitis Ulzerosa, auf die Shire ebenfalls spezialisiert ist, nicht über kurz oder lang auch ein Thema in vielen Schwellenländern?
Wir erwarten hier nur sehr beschränkt Impulse. Wir versuchten schon, in diesen Märkten stärker Fuss zu fassen. Die Fortschritte sind jedoch beschränkt.

Ihr wichtigster Konkurrent in der Behandlung seltener Erkrankungen, Genzyme, wurde 2011 vom Pharmariesen Sanofi geschluckt. Wollen Sie sich und Ihren Mitarbeitern ein ähnliches Schicksal ersparen?
Sanofi kaufte Genzyme damals für 20 Mrd. $. Von aussen betrachtet scheint es nicht, dass Genzyme als Teil von Sanofi heute innovativer ist und die Marktposition verbessert hat. Genzyme hat in der Zwischenzeit auch nicht viele Deals abgeschlossen, obschon das Unternehmen theoretisch Zugang zu mehr Kapital hat.

Unter dem Druck der AbbVie-Avancen haben Sie die Prognose gemacht, den Umsatz von Shire bis 2020 auf 10 Mrd. $ zu verdoppeln bzw. jährlich im Durchschnitt um mehr als 10% zu steigern. Verschiedene Analysten kritisieren, das basiere auf übertriebenen Annahmen. Sind Sie zu optimistisch?
Was wir in Aussicht stellen, ist sehr moderat. Im bestehenden Geschäft rechnen wir mit einer Umsatzexpansion von 5,5 auf 7 Mrd. $. Das entspricht ziemlich genau dem, was alle Analysten erwarten. Es beruht zudem auf einem deutlich geringeren Wachstum als dem zurzeit erzielten. Mit Blick auf unsere dreizehn Produkte, die sich im späten Stadium der klinischen Entwicklung befinden, haben wir nicht gesagt, dass alle die Marktreife erlangen würden. Wir haben eine durchschnittliche Erfolgsrate als Basis genommen, was bis 2020 rund 3 Mrd. $ mehr Umsatz ergibt.

Shire ist dafür bekannt, selbst fleissig zu akquirieren. Wie viel Umsatz versprechen Sie sich von künftigen Zukäufen?
Unsere Wachstumsannahme beruht darauf, in den nächsten fünf Jahren nichts weiter zu akquirieren. Das wäre unwahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass wir allein in den vergangenen achtzehn Monaten sechs Transaktionen gemacht haben. Kritikern, die unsere Erwartungen als optimistisch einstufen, halte ich entgegen: Wir sind eher pessimistisch.

Investoren rechnen damit, dass AbbVie im Poker um Shire gewinnt
Für die Aktionäre des irischen Pharmaunternehmens Shire sind Übernahmespekulationen eine Konstante. Bereits Ende Juni 2012 kursierte das Gerücht, der US-Pharmariese Pfizer habe ebenso wie Novartis und der aus Israel stammende weltgrösste Generikaanbieter Teva ein Auge auf Shire geworfen. Im März 2013 war angeblich Bristol-Myers Squibb an einer Übernahme interessiert. Die Gesellschaft gehört wie AbbVie, die sich Anfang 2013 vom Medizinaltechnikanbieter Abbott Laboratories abgespalten hat, zum Kreis mittelgrosser amerikanischer Pharmaunternehmen.

Aktien aus dem Gesundheitssektor waren in den letzten zwei Jahren ohnehin begehrt, doch die stetigen Übernahmespekulationen haben die Nachfrage nach den Shire-Valoren zusätzlich angeheizt. Seit Juni 2012 hat sich der Kurs beinahe verdreifacht. Das Management von AbbVie ist in den letzten zwei Monaten dreimal auf den Verwaltungsrat von Shire zugekommen. Das erste informelle Angebot von 39.50 £ pro Shire-Aktie enthielt eine Prämie von 14% zum letztmals vor Beginn der Gespräche am 2. Mai erreichten Schlusskurs. Im zweiten Anlauf offerierte AbbVie mit 40.97 £ eine Prämie von 18%. Das aktuelle dritte Angebot, das den Shire-Anteilseignern für jeden Titel 0,7988 AbbVie-Aktien sowie 20.44 £ in bar verspricht, beläuft sich auf Basis des AbbVie-Schlusskurses vom Donnerstag auf 47.55 £. Gegenüber der Schlussnotierung vom 2. Mai beträgt der Aufpreis damit bereits 37%. Am Freitagmorgen notierten die Shire-Aktien auf dem Stand von 45.80 £ nur noch knapp unter der jüngsten Offerte. Offenbar gehen die Anleger zunehmend davon aus, dass AbbVie sich durchsetzt, obschon der Verwaltungsrat von Shire bisher sämtliche drei Offerten als deutlich zu niedrig zurückgewiesen hat. Gemäss den britischen Übernahmeregeln bleibt AbbVie bis 18. Juli Zeit, um ein formelles Angebot zu unterbreiten. Anderenfalls dürfte sich der US-Pharmakonzern frühestens sechs Monate später wieder auf Shire zubewegen.

Am 20. Juni, als die Öffentlichkeit erstmals von den Gesprächen zwischen AbbVie und Shire erfuhr und auch über das jüngste Angebot ins Bild gesetzt wurde, stiegen die Shire-Aktien knapp 17% auf 43.71 £. Dass sie sich inzwischen beinahe dem Angebot angenähert haben, könnte das AbbVie-Management bestärken, sich direkt an die Aktionäre von Shire zu wenden und damit eine feindliche Übernahme des irischen Konkurrenten zu wagen. Alternativ dazu könnte AbbVie versuchen, durch eine nochmals höhere Offerte den Widerstand des Shire-Verwaltungsrats zu brechen und den Wettbewerber damit auf freundlichem Weg zu schlucken. Nach Einschätzung der Pharmaanalysten von Credit Suisse könnten die Amerikaner rund 52 £ pro Shire-Aktie bieten. Die Kollegen von Barclays halten gar ein Angebot von bis zu 55 £ für möglich. Sie haben berechnet, dass AbbVie in diesem Fall den Gewinn pro Aktie bis 2017 noch immer um 2 bis 3% steigern könnte. Auf Basis des aktuellen Angebots betrüge die erwartete Gewinnzunahme 4 bis 5%.

Bei aller Fantasie um eine Übernahme müssen die Aktionäre von Shire auch das Risiko einkalkulieren, dass sich AbbVie, entnervt über die Opposition der Shire-Führung, zurückzieht. Der Gesichtsverlust hielte sich dabei in Grenzen. AbbVie verfügt mit dem Arthritispräparat Humira über ein Erfolgsprodukt, dessen Potenzial noch nicht ausgeschöpft ist. Zudem entwickelt der Konzern vielversprechende Produkte gegen Hepatitis C und Krebserkrankungen. Shire ist ebenfalls gut aufgestellt, doch würden die Aktien wohl vorübergehend Terrain einbüssen, falls ein formelles Übernahmeangebot durch AbbVie ausbleibt.

 

 

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