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17:52 Uhr - 16.01.2015

«Die SNB hatte keine Chance»

William White, der ehemalige Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, erklärt, warum die SNB zum Befreiungsschlag ausholte.

Das Ende der Mindestkurspolitik der SNBDie Schweizerische Nationalbank (SNB) hebt nach drei Jahren den Euromindestkurs auf und überrascht damit die Märkte und Unternehmen. Lesen Sie hier alles zum Entscheid der SNB.Die Schweizerische Nationalbank (SNB (SNBN 1057 -0.94%)) hat am Donnerstag für einen Paukenschlag gesorgt. Ihr Entscheid, den Mindestkurs aufzugeben, hat an den Finanzmärkten eine Panikwelle ausgelöst. «Sie hat das Beste aus ihren Möglichkeiten gemacht», sagt allerdings William White im Interview mit «Finanz und Wirtschaft».

Der langjährige Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), erklärt, warum die Anbindung an den Euro für die SNB  zunehmend riskant wurde. Mit ihrem Entscheid hat sie den Befreiungsschlag gewagt und die Risiken neu verteilt. Damit geraten zahlreiche ­Unternehmen noch stärker unter Druck, sich an das neue Umfeld anzupassen. White glaubt trotz des überraschenden Entscheids nicht, dass die SNB nun an Glaubwürdigkeit verloren hat.

Zur PersonWilliam «Bill» White hat neununddreissig Jahre seines Berufslebens in der Welt der Zentralbanken verbracht. Der gebürtige Kanadier – er stammt nach eigenen Angaben aus dem «Outback im Norden Ontarios» – arbeitete nach Abschluss seines Ökonomiestudiums während drei Jahren für die Bank of England. Danach folgten zweiundzwanzig Jahre in den Diensten der Bank of Canada, wo er 1979 die Abteilung für Wirtschaftsforschung übernahm. 1988 wurde er zum Vizepräsidenten der Zentralbank ernannt.

1994 stiess er zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, der «Zentralbank der Zentralbanken». Dort bekleidete er bis 2008 das Amt des Chefökonomen. Er zählt zu den wenigen, die schon vor 2007 gewarnt hatten, dass das exzessive Kreditwachstum zu einer Finanzkrise führen wird. Nach seiner Pensionierung von der BIZ wurde er 2009 zum Vorsitzenden des OECD-Prüfungsausschusses für Wirtschafts- und Entwicklungsfragen ernannt. Der Ausschuss bewertet regelmässig Politikmassnahmen von OECD-Mitgliedländern.

White, der 1943 geboren wurde, lebt mit seiner Frau in der Nähe von Basel und pendelt zur Arbeit nach Paris.
Herr White, wieso hebt die SNB die Kurs­untergrenze zum Euro gerade jetzt auf?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen hatte die Schweizer Realwirtschaft in den vergangenen dreieinhalb Jahren Zeit, sich auf eine Aufwertung des Frankens vorzubereiten. Die SNB dürfte nun zum Schluss gekommen sein, dass diese Zeit sinnvoll genutzt wurde – das zumindes wäre eine vernünftige Annahme. Zudem hat sich das makroökonomische Umfeld verändert: Die Turbulenzen in Russland, eine Erstarkung des Dollars und die Aussicht auf ein grosses Anleihenkaufprogramm (Quantitative Easing, QE, Anm. d. Red.) der Europäischen Zentralbank lassen die Anbindung an den Euro zunehmend unklug erscheinen. Risiken, die ­bislang als überschaubar galten, haben für die SNB eine andere Dimension angenommen. Ich denke im Übrigen, dass ein QE in Europa nicht funktionieren wird.

Warum nicht?

Das europäische Bankensystem ist nach wie vor in Schieflage. Deshalb erhalten etwa mittelständische Unternehmen in den Peripherieländern keine Kredite. Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB wird das Bankenproblem aber nicht lösen. Die US-Notenbank hat mit ihrem QE-Programm die Bondrenditen gesenkt und so für Wachstumsimpulse gesorgt. Doch der Bondmarkt ist in Europa für die Unternehmensfinanzierung kaum von Bedeutung, dieser Mechanismus spielt daher nicht. Die Banken dominieren alles. Abgesehen davon befinden sich die Renditen für Staatsanleihen europäischer Länder – mit Ausnahme von Griechenland – bereits auf historisch niedrigen Werten.

War der Entscheid der SNB ein Akt der Verzweiflung, oder hat sie weise gehandelt?

Beides trifft zu. So lange die Nachfrage nach Franken anhält oder sogar noch weiter zunimmt, kann sich die SNB nur wehren, indem sie mehr und mehr interveniert und Euro kauft. Sie kam möglicherweise zum Schluss, dass sie nicht mehr bereit ist, dieses Risiko weiterzutragen. Damit war sie gezwungen, den Mindestkurs aufzugeben. Man muss aber auch bedenken, warum die SNB die Massnahme im Septemter 2011 überhaupt ergriffen hat: Damals stand der Franken unter immensem Druck, und es drohte eine rasante Aufwertung. Ohne den Mindestkurs wäre die Exportindustrie unter die Räder gekommen. Hohe Arbeitslosigkeit wäre die Folge gewesen. Die SNB hat den Unternehmen Zeit verschafft. Niemand, der in der Exportbranche aktiv ist, durfte davon ausgehen, dass der Eurokurs von 1.20 Fr. für immer garantiert ist. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, um das Unvermeidliche zu akzeptieren.

Die SNB hat die Einführung des Mindestkurses immer mit der Bekämpfung deflationärer Tendenzen in der Schweiz begründet. Ist Deflation keine Gefahr mehr?
Alle Notenbanker scheinen der Ansicht zu sein, dass Deflation etwas Schlechtes ist. Die SNB teilt diese Meinung vermutlich. Ich bin davon absolut nicht überzeugt. Wir hören jetzt immer öfter, dass die niedrigen Energiepreise eine Deflation auslösen könnten und die Verbraucher ihre Konsumentscheide verschieben in der Hoffnung auf weiterhin fallende Preise. Ist das wirklich so? Ich kenne keine Studien, die diese These stützen. Wenn die Preise fallen, weil Energie und Lebensmittel günstiger werden, dann sagt doch der gesunde Menschenverstand, dass wir besser gestellt sind als Konsumenten.

Also muss sich die SNB keine Sorgen machen, dass die Schweiz unter importierter Deflation leidet?
Nein. Wird die Deflation durch eine stärkere Währung ausgelöst, werden ausländische Güter billiger. Ich sehe nicht, was daran schlecht sein soll – insbesondere, wenn es sich um Güter handelt, die ohnehin importiert werden müssen. Aber die Exportwirtschaft wird unter Druck kommen. Das Problem akzentuiert sich, wenn die Aufwertung zu schnell passiert. Insgesamt ist ein tieferes Preisniveau, ausgelöst durch eine stärkere Währung, für die einheimischen Konsumenten aber nicht schlecht.

Der Entscheid der SNB kam für die Finanzmärkte völlig überraschend. Eine Panikwelle fegte durch die Märkte. Hat die SNB an Glaubwürdigkeit verloren?
Genau das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Das Problem entstand ja genau deshalb, weil die Nachfrage nach Franken massiv zugenommen hatte. Alle flüchten in die Sicherheit des Frankens. Das globale Finanzsystem ist zutiefst zerrüttet. In diesem Umfeld hat die SNB schlechte Karten. Sie hatte nie wirklich eine Chance und musste letztlich zwischen einer schlechten und einer miserablen Alternative wählen. Sie hat das Beste aus ihren Möglichkeiten gemacht. Der Befreiungsschlag musste überraschend erfolgen, wie es am Donnerstag geschehen ist.

Ist die Schweiz ein Beispiel dafür, dass eine kleine, offene Volkswirtschaft keine Chance hat, sich gegen die riesigen globalen Kapitalströme zu stemmen?
Kleine Volkswirtschaften werden vom Internationalen Währungsfonds und anderen Institutionen gezwungen, die globale Finanzordnung zu akzeptieren und sich, so gut es geht, zu schützen. Ich bin schon lange skeptisch, dass sich Staaten ausserhalb des Dollar- und Euro-Währungsraumes überhaupt wehren können. Die Marktkräfte der grossen Volkswirtschaften sind enorm und wirken sich auf kleine Staaten fast zwangsläufig disruptiv aus. Heute ist das internationale Geldsystem ohne Anker. Das ist gefährlich.

Die SNB hat immerzu bekräftigt, dass sie nicht vom Mindestkurs abweichen wird. Nun hat sie es doch getan. Ist das ein erstes Zeichen dafür, dass die Allmacht der Zentralbanken doch begrenzt ist?
Weltweit haben die Zentralbanken mit ihren Massnahmen seit Ausbruch der Finanzkrise von 2008 unbekanntes Terrain betreten. Während der Krise waren sie die einzigen Spieler auf dem Spielfeld. Sie ­waren die effizientesten Nothelfer. Ihre Bedeutung war umso grösser, weil sich die Fiskalpolitik und die Regulierungsbehörden während der Krise oft noch in die falsche Richtung bewegten. Die Zentralbanken waren gezwungen, realen Problemen mit einer expansiven Geldpolitik zu begegnen. Die SNB hat sich in diesem Umfeld mit der Mindestgrenze sehr überzeugend gegen die Aufwertung des Frankens gestemmt. Weniger starke Massnahmen hatten zuvor nicht funktioniert. Die SNB hielt so lange an dieser Politik fest, wie sie es für vernünftig hielt.

Hat die SNB rückblickend irgendwelche Fehler begangen?
Das würde ich nicht sagen. Sie musste eine sehr schwierige und heikle Entscheidung treffen. Wie schnell darf oder muss sich der Franken aufwerten? Wie schnell ist zu schnell? Ich will das Urteil der SNB nicht infrage stellen. Der Franken wertet sich seit Jahrzehnten kontinuierlich auf. Die Schweiz kann damit umgehen, so lange die Aufwertung nicht zu schnell geschieht. Der Trend wurde kurzzeitig gestoppt und setzt sich nun fort. Aber vergessen Sie nicht, diese Entwicklung ist überhaupt nicht überraschend: Die Schweiz hat einen Leistungsbilanzüberschuss von 12 bis 15% des Bruttoinlandprodukts. Das ist riesig. Wäre die Schweizer Volkswirtschaft grösser, wäre der internationale Druck, den Franken noch mehr aufzuwerten, bedeutend grösser. Ihr könnt nur unter dem Radar fliegen, weil Ihr so klein seid.

Würden die Währungsreserven in der ­Bilanz der SNB zu den derzeitigen Marktpreisen bewertet, wäre ihr Eigenkapital ausradiert. Ist das ein Problem?
Nein. Das wäre ein Problem für eine Geschäftsbank, weil die Kunden dann um ihre Einlagen fürchten und ihr Vertrauen verlieren. Für eine Zentralbank gelten andere Überlegungen. Sie kann auch ohne Eigenkapital ihre Funktion erfüllen.

Wie wirkt sich die Aufhebung des Mindestkurses auf die Schweizer Wirtschaft aus?
Die SNB sieht verschiedene Schocks auf die Schweizer Wirtschaft zukommen. Mit ihrem Entscheid hat sie die Risiken neu verteilt. Sie ist nicht mehr bereit, die negativen Auswirkungen allein in ihrer Bilanz abzufedern. Ein Teil des Risikos wird nun vom höheren Frankenkurs und damit von etlichen Unternehmen aus der realen Wirtschaft getragen. Diese stehen nun noch stärker unter Druck, sich dem neuen Umfeld anzupassen. Es gibt keine Möglichkeit, einen  externen Schock abzuwenden. Die Frage ist, wie die Auswirkungen bewältigt werden sollen und wer den grössten Teil des Schocks absorbiert. Diesen Entscheid hat die SNB nun getroffen. Sie kann und will den Schock nicht mehr allein absorbieren. Sollte sich die Lage als Folge der Aufwertung massiv verschlechtern und die Wirtschaft in eine Rezession fallen, wird auch der Aufwertungsdruck auf den Franken nachlassen. Aber es ist ganz simpel: Die SNB hatte keine echte Chance.  Sie konnte nur entscheiden, ob sie die rechte oder linke Wange hinhalten will.

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