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07:36 Uhr - 05.02.2019

Neun Schweizer Start-ups mit Milliardenpotenzial

Einundzwanzig führende Venture-Capital-Gesellschaften haben aus dreihundert schnell wachsenden europäischen Jungunternehmen ihre fünfzig Favoriten auserkoren.

Eine ansehnliche Herde von neun potenziellen Einhörnern (Unicorns) – so werden Jungunternehmen genannt, die 1 Mrd. $ Umsatz machen – tummelt sich in schweizerischen Gefilden. Europaweit ist das laut der Tech-Tour-Growth-50-Liste hinter Deutschland die zweitgrösste Ansammlung privat gehaltener, stark wachsender Jungunternehmen mit Potenzial.

Tech Tour ist eine 1998 gegründete europäische Plattform, die Wachstumsgesellschaften aus dem High-Tech-Bereich mit Investoren weltweit zusammenbringen will. Die Top-fünfzig-Liste mit den am schnellsten wachsenden noch nicht börsengelisteten Jungunternehmen wird dieses Jahr zum fünften Mal erstellt. Dabei wählt ein Kommittee aus 21 Risikokapital- und Wachstumsfondsmanagern seine Favoriten.

Folgende Kandidaten aus der Schweiz haben es in die Liste geschafft:

  • Acronis aus Schaffhausen: Stellt Software für hybride Cloud-Sicherheit her. Die Kunden können damit Backups, Datenwiederherstellung und Datensynchronisierung durchführen.
  • Ava aus Zürich: Hat ein Armband entwickelt, mit dem Frauen ihren Menstruationszyklus überwachen und bestimmen können, wann sie fruchtbar sind.
  • Beqom aus Nyon: Cloud-basierte Software, die es Unternehmen erleichtert, Mitarbeiterentschädigungen zu managen.
  • Chronext aus Zug: Betreibt eine Online-Plattform für den Handel und den Service von Luxusuhren.
  • Coople aus Zürich: Jobbörse für temporäre Arbeitseinsätze, stundenweise oder im Schichtbetrieb.
  • Flyability aus Lausanne: Hersteller von Drohnen und Robotern, die sich sicher in Städten und Gebäuden bewegen oder anderweitig im Kontakt mit Menschen sicher sein sollen.
  • Nexthink aus Prilly: Hat eine Plattform, mit der Endverbraucher Programme für Informationssicherheit messen und managen können.
  • Scandit aus Zürich: Entwickelt Software und bietet Cloud Services, mit denen die Kunden eigene visuelle Applikationen auf der Basis von Strichcodes schnell entwickeln können, um Geschäftsabläufe zu rationalisieren.
  • Sophia Genetics aus Saint-Sulpice bei Lausanne: Entwickelt eine Plattform zur Genomanalyse, um Routinetests durchzuführen.

Die Schweizer Vertreter sind im Schnitt mit Gründungsjahr 2012 etwas jünger als der Durchschnitt aller fünfzig Wachstumsraketen (2010). Sie haben mit durchschnittlich 61 Mio. $ auch etwas weniger Kapital eingesammelt als der Gesamtdurchschnitt von 72 Mio. $. Was die Bewertung betrifft, gibt Tech Tour keine separaten Werte für die Schweizer Vertreter an. Für ein durchschnittliches Unternehmen auf der Liste wurde ein Wert von 456 Mio. $ errechnet. Alle zusammen haben gemäss Angaben der Gesellschaft mehr als 10’550 Stellen geschaffen.

Drei der neun Schweizer «Super Scale-ups» – Unternehmen, die sehr hohe Wachstumsraten aufweisen und von denen man annimmt, dass sie in absehbarer Zeit 1 Mrd. $ und mehr wert sein könnten – waren bereits unter den letztjährigen Schweizer Repräsentanten. Damals stellten diese erst vier von fünfzig auf der Liste.

Erfolg dank Bildung und Kapital

Der Vorsitzende des Komitees, das die Auswahl trifft, Falk Müller-Veerse, Partner der auf Wachstumsunternehmen spezialisierten Investmentbank Bryan Garnier & Co., erklärt den Sprung nach vorne einerseits mit den «hervorragenden technischen Universitäten» hierzulande, andererseits mit der guten Verfügbarkeit von Kapital. «Gerade für Wachstumsunternehmen ist es sehr wichtig, dass beides zusammenkommt», sagt er. Für die Verfügbarkeit des Kapitals ist in der Schweiz die Risikokapitalbranche nur teilweise verantwortlich. Denn sie macht nach Angaben von Tech Tour lediglich 3% des europäischen Gesamtvolumens aus. «In der Schweiz sind viele Family Offices und High Net Worth Individuals beheimatet, die sich an Finanzierungsrunden von jungen Unternehmen beteiligen», erklärt Müller-Veerse. High Net Worth Individuals sind Personen mit mehr als 5 Mio. $ an Mitteln, die sie in Wertpapiere investieren können.

Auffällig ist auch der Absturz der Vertreter aus dem Vereinigten Königreich. Schafften es letztes Jahr noch siebzehn – womit sie die Liste anführten –, sind es dieses Mal bloss vier Unternehmen. Laut Müller-Veerse könnte dafür der bevorstehende Austritt aus der EU verantwortlich sein. «Es hat nicht zuletzt wohl damit zu tun, dass der drohende Brexit auch die Investoren verunsichert hat.»

«In Italien ist ausserhalb des Maschinenbaus wenig vorhanden»

Einige Staaten haben keinen einzigen Vertreter in den Top fünfzig, etwa Österreich, Belgien, Irland, Norwegen, Dänemark, Polen und Portugal. Bevölkerungsreiche Länder wie Italien (ein Unternehmen) und Spanien (zwei) stellen nur wenige. Der Vorsitzende des Auswahlkomitees sagt, es sei absolut kein Kriterium gewesen, woher die Wachstumsfirmen kommen. Die Jurymitglieder hingegen wurden auch so ausgewählt, dass eine möglichst breite Vertretung der europäischen Länder und der Wirtschaftssektoren gewährleistet ist.

Die Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern sind laut Müller-Veerse zentral für die Frage, ob es gelingt, erfolgreiche Tech-Firmen anzusiedeln. Aber auch, was die Länder mitbringen an «technologischer Tiefe». «In Italien ist ausserhalb des Maschinenbaus wenig vorhanden», findet der Spezialist für Technologieunternehmen. Portugal hatte mit der Softwarefirma Outsystems einen Vertreter, der aber in die USA ausgewandert ist. Ausserdem hat das Unternehmen nun den Status eines Unicorn erreicht und wird schon deswegen nicht mehr berücksichtigt.

Aus dreihundert werden fünfzig

Gemäss den Auswahlkriterien sollten die infrage kommenden Firmen einen Wert zwischen 100 Mio. und 1 Mrd. $ aufweisen, mindestens 10 Mio. € Umsatz machen und ein Umsatzwachstum von mindestens 50% vorweisen können.

Tech Tour identifiziert in einem ersten Schritt anhand öffentlich zugänglicher Daten eine Liste von dreihundert potenziellen Kandidaten. Die Juryteilnehmer können dann Unternehmen streichen oder hinzufügen auf der Basis ihrer Marktkenntnisse.

Im zweiten Schritt kontaktiert Tech Tour die Gesellschaften und fragt, ob sie mindestens drei der vier finanziellen Kriterien erfüllen. Wer drei Kriterien erfüllt, erhält automatisch eine Stimme, wer vier erfüllt, startet mit zwei Stimmen. Jedes Mitglied des Auswahlkomitees wählt dann seine fünfzig Favoriten. Sie sind dabei angehalten, auch Kriterien zu berücksichtigen wie den geschätzten Einfluss, den die Unternehmen auf ihre jeweilige Branche haben werden, oder die Qualität des Managements. Die fünfzig Unternehmen mit den meisten Stimmen schaffen es auf die Liste.

Am 28. März treffen sich die CEO der Gesellschaften, die es auf die Liste geschafft haben, in Genf und Lausanne, wo die Gewinner des Growth Award und des Innovation Award 2019 bekannt gegeben werden. Zu den Sponsoren des Anlasses gehören auch der Kanton Waadt und die Mehrländerbörse Euronext. Sie dürfte ein Interesse an Börsengängen der Teilnehmer haben. Von den 121 Unternehmen, die in den letzten vier Jahren ausgewählt wurden, sind heute nach Angaben von Tech Tour elf gelistet. Gemeinsam bringen sie demnach eine Börsenbewertung von 28 Mrd. $ auf die Waage.

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