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10:34 Uhr - 31.07.2017

Wie die UBS in die Finanzkrise taumelte

Die Schweizer Grossbank investierte in grossem Stil in vermeintlich erstklassige US-Hypothekarpapiere. Als sie das Ausmass des Risikos erkannte, war es zu spät.

Am 6. Juli 2007 kommt es bei der UBS (UBSG 16.92 0.12%) zu einem abrupten Führungswechsel: Marcel Rohner, Chef der Vermögensverwaltung, wird mit sofortiger Wirkung CEO. Der bisherige Konzernchef, Peter Wuffli, tritt zurück. Kurz zuvor hatte die Grossbank mit ihrem hauseigenen Hedge Funds Dillon Read Capital Management (DRCM) Schiffbruch erlitten. Nach verlustreichen Spekulationen mit minderwertigen amerikanischen Immobilienkrediten wird der Fonds geschlossen.

Die Ereignisse markieren den Beginn eines Niedergangs, der im Oktober 2008 mit der staatlichen Rettung der grössten Schweizer Bank ihren Höhepunkt findet. Doch wie konnte das stolze, vermeintlich konservative Institut so tief fallen? Eine Spurensuche aus zehn Jahren Distanz.

Fataler Know-how-Verlust

Die Geschichte beginnt mit einer Ansage: «Unsere Investmentbank soll die Nummer eins werden.» Mit diesen Worten gibt VR-Präsident Marcel Ospel 2004 die Marschrichtung vor. John Costas, Chef der Investmentbank (IB), bekräftigt den Anspruch. UBS wolle Goldman Sachs (GS 223.61 0.96%) und Morgan Stanley (MS 46.66 -0.91%) bis 2008 überholen, erklärt er Anfang 2005 in einem Interview.

Wachstum heisst die Maxime. An einer Sitzung im Frühjahr 2005 sucht das Management unter Wuffli nach Wegen, um das Geschäft voranzutreiben. Zur Diskussion steht die Gründung eines eigenen Hedge Funds – eine Strategie, die Goldman Sachs und Morgan Stanley bereits mit Erfolg betreiben. Weil er befürchtet, Costas könnte die Bank verlassen, unterstützt CEO Wuffli die Lancierung eines Hedge Funds unter der Leitung des Amerikaners. Am 30. Juni 2005 gibt UBS die Gründung von DRCM bekannt. Costas gibt den Chefposten bei der Investmentbank ab, wechselt an die Spitze von DRCM und nimmt rund hundert seiner besten Händler mit. Es ist ein Entscheid, der sich später rächen wird.

Anfang 2007 zeigen sich erste Risse am US-Hypothekarmarkt. Die Häuserpreise sinken seit Mitte 2006, was allmählich Hypothekarschuldner mit zweifelhafter Bonität in Bedrängnis bringt. HSBC (5 757.9 2.23%) ist die erste Grossbank, die im Februar einen Milliardenverlust auf Subprime-Krediten meldet. Auch DRCM hat sich mit Ramschpapieren verspekuliert. Im ersten Quartal 2007 weist der UBS-Fonds einen Verlust von 150 Mio. Fr. aus. Die Konzernleitung fackelt nicht lang: Am 3. Mai informiert die UBS über die Schliessung des Hedge Funds. «DCRM war von Anfang an eine unausgegorene Idee», erinnert sich ein ehemaliger Topmanager der UBS, der nicht genannt werden will. Das Vehikel wird wieder in die UBS integriert. Costas und weitere Schlüsselfiguren aus dem Team verlassen die Bank.

Schlafwandler auf der Brücke

Die Eintrübung am US-Immobilienmarkt bleibt in der UBS nicht unbemerkt. Regelmässig prüft der Risikoausschuss die Subprime-Positionen, gibt jedoch stets Entwarnung: Die Bank hat zwar in grossem Stil in Subprime-Papiere investiert, doch handelt es sich dabei fast ausschliesslich um Verbriefungen bester Bonität (AAA). Ein Kreditausfall gilt als so gut wie ausgeschlossen. Die Positionen wurden zudem teilweise mit Credit Default Swaps (CDS) abgesichert. Gegenüber dem Management werden denn auch stets nur die ­Nettopositionen ausgewiesen. Abgesehen vom überschaubaren Verlust bei DRCM wird kein Problem identifiziert.

Der Optimismus führt dazu, dass UBS ihr Engagement in erstklassigen Subprime-Krediten im zweiten Quartal 2007 sogar weiter ausbaut. Per Ende Juni hält die Bank Subprime-Papiere im Wert von rund 45 Mrd. $ in der Bilanz.

Doch das stört niemanden. Die UBS gilt als sicher. Für Aufsehen sorgt im Juli einzig der abrupte CEO-Wechsel, bei dem ein Zusammenhang mit dem DRCM-­Fiasko vermutet wird. Allerdings sei der Wechsel schon 2005 aufgegleist worden, sagt der ehemalige UBS-Manager. Der Plan hatte vorgesehen, dass Ospel im Frühjahr 2008 abtritt, Wuffli VR-Präsident wird und Rohner Ende 2007 das Amt des CEO übernimmt. Doch dann bittet der VR Ospel, für eine weitere Amtszeit an Bord zu bleiben. Wuffli tritt daraufhin düpiert zurück, und Rohner wird über Nacht CEO.

Der Neue erhält keine Schonfrist. Am
9. August 2007 friert plötzlich der Interbankenmarkt ein. Es ist der Tag, an dem die französische Bank BNP Paribas (BNP 65.94 -0.24%) die Märkte schockt, indem sie die Rücknahmen in drei Investmentfonds aussetzt, die am US-Subprime-Markt engagiert sind.

Die Episode enthüllt erstmals Probleme mit den vermeintlich sicheren AAA-Papieren. Just zu dieser Zeit bereitet die UBS den Zweitquartalsbericht vor. Am
14. August weist sie einen Rekordgewinn von 5,6 Mrd. Fr. aus. Für Verwirrung sorgt allerdings der düstere Ausblick: «Sollten die aktuellen Markturbulenzen anhalten, könnte das schwere negative Auswirkungen auf unser Handelsergebnis im dritten Quartal haben», warnt die Bank.

Das wahre Ausmass der Gefahr bleibt aber unerkannt. Zum Verhängnis wird der Bank nun das fehlende Know-how mit amerikanischen Anleihen: Costas’ Abgang, zusammen mit dem Verlust erfahrener Händler, hinterlässt eine Lücke. Der neue IB-Chef, Huw Jenkins, hat sich zwar im Aktiengeschäft einen Namen gemacht, das US-Zinsgeschäft kennt der Brite aber kaum. Die UBS fliegt blind.

Im September weitet sich der Einbruch auf erstklassig bewertete Hypothekarpapiere aus; die Preise rutschen, die Liquidität versiegt. «Erst da wurde uns bewusst, dass grosse Bestände dieser Papiere in unseren Büchern schlummern», sagt der frühere UBS-Manager. «Im September 2007 versuchten wir erstmals, ein Extremszenario abzuschätzen.» Die Analyse ergibt, dass die UBS im schlimmsten Fall
mit einem Verlust von rund 6 Mrd. Fr.
auf ihren Subprime-Positionen rechnen muss. Demgegenüber steht ein Gewinn von knapp 9 Mrd. Fr. in den ersten neun Geschäftsmonaten. Wieder folgt der Befund: Das Verlustrisiko ist überschaubar.

Das böse Erwachen folgt am 1. Oktober. Die Verschlechterung des Marktumfelds zwingt die UBS, 3,4 Mrd. $ auf ihren Subprime-Papieren abzuschreiben. Huw Jenkins wird entlassen; Marcel Rohner übernimmt interimistisch die Leitung der Investmentbank. Doch auch ihm fehlt das Fachwissen im Zinsgeschäft.

Nun überschlagen sich die Ereignisse. Die Buchführungsregeln zwingen die UBS, ihre Positionen zu Marktpreisen zu berechnen. Am 10. Dezember schreibt sie weitere 10 Mrd. $ ab und kündigt eine erste Kapitalerhöhung über 13 Mrd. Fr. an. Den grössten Teil davon zeichnet GIC, der Staatsfonds von Singapur, der damit zum grössten Aktionär der UBS wird.

Doch die Wurzel der Fäulnis wird die Bank nicht los – die spekulativen Papiere bleiben auf den Büchern. Im Januar 2008 folgt die nächste Gewinnwarnung. An der Generalversammlung vom 23. April wird eine weitere Kapitalerhöhung von 15 Mrd. Fr. beschlossen. Unter Pfiffen der Aktionäre erklärt Ospel seinen Rücktritt, Peter Kurer übernimmt das VR-Präsidium. Bis Mitte 2008 schreibt die UBS 42,8 Mrd. $ auf ihren Subprime-Beständen ab.

Die Rettung

«Die Kapitalerhöhungen waren lebenswichtig», erinnert sich der ehemalige Manager. «Ohne sie hätten wir den Herbst nicht überstanden.» Denn am 15. September 2008 folgt der grosse Schock: Die ­Investmentbank Lehman Brothers meldet Konkurs an. Wenige Tage später steht das weltweite Finanzsystem vor dem Kollaps.

In der Schweiz hat sich inzwischen die Nationalbank (SNB (SNBN 2129 -1.21%)) eingeschaltet. Mit der UBS arbeitet sie ein Notfallszenario aus, das in Kraft treten soll, sobald die Liquiditätsreserven unter 100 Mrd. Fr. fallen. Am 20. September beruft die SNB eine Krisensitzung ein. Anwesend sind Jean-Pierre Roth, Philipp Hildebrand und Thomas Jordan von der SNB, Daniel Zuberbühler von der Eidgenössischen Bankenkommission, Peter Siegenthaler vom Finanzdepartement sowie die Konzernspitze der UBS. «Die Gespräche waren höchst professionell», sagt der frühere UBS-Manager. Mitten in die Verhandlungen platzt die nächste Hiobsbotschaft: Finanzminister Merz hat einen Herzinfarkt erlitten.

Am 16. Oktober 2008: die Rettung. Die SNB übernimmt toxische Kredite im Wert von bis zu 60 Mrd. $. Der Bund schiesst
6 Mrd. Fr. in Form einer Pflichtwandel­anleihe in die UBS ein. Die Massnahme stoppt den Brand – und stützt indirekt auch die Credit Suisse (CSGN 15.07 -0.4%). Monate später wird UBS für das Jahr 2008 einen Verlust von
20 Mrd. Fr. ausweisen – den grössten Verlust der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Am 9. März 2009 erreichen die UBS-Aktien mit 8.57 Fr. ein Rekordtief. An den Höhenflug von vor der Finanzkrise vermögen sie bis heute nicht mehr anzuknüpfen.

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